Auf der Richterbank sitzt ein Blinder
Wie Rechtsreferendar Moritz Bißwanger trotz Behinderung einen Prozess in Augsburg verfolgt
Es ist ein Routinefall, der an diesem Morgen im Sitzungssaal 112 im Strafjustizzentrum abgeurteilt wird. Es geht um eine Drogenfahrt nach Holland, bei der 30 Gramm Kokain geordert wurden. Drei Angeklagte, drei Verteidiger, drei Wachtmeister, im Zuschauerraum eine Berufsschulklasse. Auf der Richterbank Walter Hell, zwei Schöffinnen, rechts außen der Rechtsreferendar Moritz Bißwanger und sein Assistent Julian Kohler. Unter dem Tisch versteckt nimmt die siebenjährige Schäferhündin Daggy Platz – eine absolute Ausnahme von der strengen Sitzungsordnung im Gericht. Bißwanger packt seinen Laptop aus mit einer Braille-Zeile vor der Tastatur. Einen Bildschirm braucht der 26-Jährige nicht. Er ist seit seinem fünften Lebensjahr blind. Sein Berufsziel: Richter oder Anwalt.
Moritz Bißwanger, der nach mehreren Gehirntumoroperationen sein Sehvermögen verlor, hat weder in der Schule noch im Studium einen Bonus bekommen. Aber er hat drei wertvolle Helfer. Da ist einmal sein ausgebildeter Führhund, mit dem er durch ein Geschirr verbunden ist und der ihn sicher auch durchs dichteste Verkehrsgewühl leitet. Da ist die nach dem Erfinder der Blindenschrift benannte Louis-Braille-Zeile, ein kleines Gerät, mit dem er Buchstaben in Blindenschrift ertastet und so lesen kann – Texte, die er selbst eingegeben hat, juristische Kommentare, die im System hinterlegt sind. Und da ist Julian Kohler, sein Assistent, der ihn im Auftrag des Integrationsamtes zehn bis 15 Stunden wöchentlich begleitet, juristisches Material besorgt und einscannt. Oder, wie jetzt im Prozess, Moritz erklärt, was um ihn herum so vor sich geht, was er nicht sieht. Beispiel: Als kurz vor Beginn der Verhandlung der falsche Angeklagte aus der Haftzelle in den Sitzungssaal geführt wird, sorgt das für Lacher. Diese ungewöhnliche Geräuschkulisse kann Bißwanger nicht zuordnen. Kohler klärt ihn flüsternd auf. Da muss auch Bißwanger schmunzeln. Der blinde Rechtsreferendar tippt während der Verhandlung immer wieder Notizen in seinen Laptop. Was die Angeklagten sagen, die Plädoyers der Staatsanwältin, der Verteidiger. Denn nach der Verhandlung muss er ein Urteil schreiben und juristisch wasserdicht begründen. Wie Richter Hell auch. Der ist von seinem blinden Referendar begeistert: „Er macht fundiertere Urteile als viele der Sehenden.“ Der angehende Jurist hat nach dem ersten Staatsexamen schon mit seiner Doktorarbeit begonnen – mit einem naheliegenden Thema: „Die rechtlichen Probleme mit dem Hilfsmittel Blindenführhund“. Da gebe es schwierige Rechtsfragen zu klären, wenn beispielsweise ein Führhund einen Blinden falsch leitet und es zu einem Unfall kommt.
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