Hochamt für das Violoncello
Bachs Solo-Suiten in beeindruckenden Zusammenhängen
Pablo Casals (1876 – 1973) war es, der Bachs sechs Suiten für Cello solo vom Missverständnis befreite, sie seien „Lehrstücke“. Er erkannte den unendlichen Wert dieses Zyklus als Inkarnation einer freien Musik, die nur für sich selbst spricht. Julius Berger, Augsburgs international anerkannte Cello-Größe, hat in seiner neuen Aufnahme die Erkenntnisse des großen Katalanen in andere Dimensionen weitergeführt und in neue Zusammenhänge gestellt.
Die Suiten sind um 1720 in Köthen entstanden. Dort hatte er keine Kirchenmusik-Aufträge zu erledigen, sondern konnte sich mit seinen Instrumentalwerken der freien Fantasie, Spielfreude, dem „zweckfreien“ Klang widmen. So entfaltet sich in diesem Kosmos der sechs Suiten – sie sind das Hochamt für das Violoncello – pure Musik, die neue Räume, Figuren, Bedeutungen bloßlegt, die aus dem italienisch-französischen Suiten-Genre der Tänze, Lieder und Volksmusik eine künstlerisch überhöhte Kategorie entstehen lässt, die niemandem verpflichtet ist. Julius Berger geht in seiner Interpretation, die man eine Inszenierung nennen sollte, einen Schritt weiter. Jeweils den Zweierpaaren der Suiten lässt er die radikalen Klänge des Avantgardisten John Cage vorangehen, Fragmente aus dessen Komposition „One 8“. Sie zaubern mit ihrer Mischung aus Geräuschen, leuchtenden Flageolett-Linien, flirrenden Ton-Schleiern so etwas wie einen Ur-Nebel, aus dem sich Bachs Kunst erhebt (nicht aus der Forderung eines strengen Auftraggebers). Und um noch einen Zusammenhang ist es Berger gelegen: Den Cellisten begleiten seinen Zugang zur Musik – ob traditionell oder radikal neu – immer spirituelle, im weitesten Sinn durchaus religiöse Impulse und Sinngebungen. So trägt er Erkenntnissen von Bach-Forschern Rechnung, indem er den Cage-Szenen Choral-Sequenzen beimischt, die in den Suiten verwoben sind. Die Wirkung ist in der Tat spektakulär, wenn die unschuldig-naive Knabenstimme seines Sohns Immanuel Jun Berger glockenrein die drei Choräle „Vom Himmel hoch / Gelobt sei Gott im höchsten Thron / O Haupt voll Blut und Wunden“ zum Cage-Klang intoniert. So wird aus den Suiten eine Art Passions- und Erlösungsgeschichte. Doch das Ergebnis ist künstlerisch eigenständig. Julius Berger verleiht den Suiten mit suggestiven Strich- und Gebärden-Varianten, prallen Musizier-Gebilden und Stimmungswechseln eine stringente Dramaturgie. Die Spannweite ist groß, reicht von der hitzig-erregten Courante der 2. Suite bis zur karg verdichteten Intensität der Sarabande in der 5. Suite. Für Vinyl-Fans gibt es die Einspielungen auch in einer LP-Kassette!
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