Kindheit in Angst
Die Mutter Jüdin, der Onkel bei der SS: Der Augsburger Friedenspreisträger Helmut Hartmann erzählt, wie er als „Mischling“ den Holocaust überlebte
Helmut Hartmann, Mäzen und interkultureller Wegbereiter in der Augsburger Kultur- und Bildungsszene, wurde 1929 geboren und protestantisch getauft. Er ging als Kind in die Grundschule von St. Anna und in den Kindergottesdienst der Annakirche. Er gehörte dazu. Seine Eltern waren Teil des Augsburger Großbürgertums. Ihnen gehörte das traditionsreiche Papierunternehmen Hartmann & Mittler, dessen Zentrale Anfang der 20er Jahre in einen neuen vierstöckigen Bau in der Prinzregentenstraße 25 eingezogen war. Vater Karl war seinerseits Sohn des erfolgreichen Augsburger Papierfabrikanten und Kommerzienrats Hermann Hartmann. Mutter Nelly (1902-2007) stammte aus einer bekannten jüdischen Bankiers- und Intellektuellenfamilie in Frankfurt, die seit zwei Generationen zum Protestantismus konvertiert und assimiliert war.
Den Nationalsozialisten galt seine Mutter Nelly trotz ihrer Taufe als jüdisch, ihre Kinder nannten sie „Mischlinge“ und den Vater „jüdisch versippt“. Als Helmut sieben war, musste er zur Vermessung ins Augsburger Rathaus. Die untersuchten Abstände zwischen Augen, Ohren und Nase förderten bei ihm – anders als bei seinen älteren Brüdern – „vermehrt jüdische Merkmale“ zutage. Für Helmut Hartmann war diese rassebiologische Untersuchung ein Schlüsselerlebnis. Auf der Bühne des bis auf den letzten Platz besetzten Augustanasaals, im Gespräch mit der Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums, Benigna Schönhagen, erzählt er: „Ein weißer Kittel stand vor mir und der Mann vermaß mit einem Zirkel meinen Kopf. Hier wurde mir plötzlich klar gemacht, ich sei anders. Ich schämte mich.“ Bewegt aber ohne Verbitterung gewährt er im Rahmen der Matinée „Lebenslinien – deutsch-jüdische Familiengeschichten“ Einblick in die verstörenden, erniedrigenden und gefährlichen frühen Jahre seines Lebens. Es ist die zwölfte Matinée des Zeitzeugenprojekts, mit dem Kulturmuseum und Sensemble-Theater alljährlich Biografien von Augsburger Juden für die lokale Erinnerungskultur bewahren. Neben Helmuts Bruder Günther sitzt auch ihre Cousine mütterlicherseits, Corinna Metcalf, die unter dem nationalsozialistischen Druck mit ihren Eltern zur Emigration gezwungen wurde, im Publikum. Sie reiste an diesem Sonntag eigens aus Washington an.
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