A bisserl Panama in Bayern
Lange war eine norddeutsche Gemeinde der Geheimtipp unter Firmen, die Steuern sparen wollten. Warum sich das änderte und was das für Grünwald bei München bedeutet.
Dem Jäger und CSU-Matador Franz Josef Strauß wird die Erkenntnis zugeschrieben, Geld sei geil wie ein Bock und scheu wie ein Reh. Letzteres stimmt auf alle Fälle.
Das mit dem angeboren scheinenden Fluchtreflex alles Pekuniären vor dem Zugriff des Finanzamtes lässt sich detailliert im Zuge des Panama-Skandals studieren. Es wird zum Halali auf Schwarzgeld-Anleger und Briefkastenfirmen-Freunde in abgelegenen Regionen der Welt geblasen.
Aber auch hierzulande gehen Journalisten auf die Pirsch. Dabei taucht immer wieder die Behauptung des von allerlei sozialen Organisationen unterstützten Netzwerks Steuergerechtigkeit auf, Deutschland liege auf der Weltrangliste der Schatten-Finanzzentren auf Platz acht – also vor Panama.
In Grünwald leben zahlreiche Promis, etwa Oliver Kahn
Wer dabei den Lockrufen der globalisierungskritischen Aktivisten von Attac folgt, nimmt die Fährte für eine sehr deutsche, amüsante und letztlich auf legalem Grund stehende Geschichte auf. Sie fängt im südlich von München gelegenen Grünwald an, einem der reichsten Orte der Republik, dort, wo sich zuhauf Promis wie der frühere Bayern-Star Oliver Kahn zu Hause fühlen. Am Ende der Reise geht es rund 950 Kilometer weit nördlich in eine Mini-Gemeinde an der Nordsee. Dort klärt sich manches auf.
Also nach Grünwald. Die Attac-Experten kamen einmal zu dem Schluss, der Ort sei eine Steueroase. In der Gemeinde mit gut 11.000 Einwohnern gebe es „Steuerdumping zum Anfassen“. Liegt Panama also mitten in Bayern, eben in Grünwald? Ist Geld hier so geil wie ein Bock und scheu wie ein Reh? Dort soll es jedenfalls ein regelrechtes Briefkastenfirmen-Paradies geben, irgendwo unweit des Schlosshotels.
Ein Porsche biegt um die Ecke, ein anderer folgt ihm. Am Anfang der Schloßstraße, wo Klein-Panama ganz nah sein soll, steht eine riesige, schwer einsehbare Walmdach-Villa mit einem komplett bis zum Garagendach hinauf vergitterten einbrecherfeindlichen Eingangstor. In ähnlichen Objekten spielten manche Derrick-Krimis. Weit und breit aber kein Bayerisch-Panama.
Dann doch weiter unten in der Schloßstraße ein erstes, starkes Indiz. Auf einem großen Schild steht: „Privatparkplatz für Firmensitz in Grünwald.“ Etwas kleiner darunter bestätigt die Internetadresse „www.Gewerbe-Steuer-Sparen.de“, auf der richtigen Fährte zu sein.
Briefkasten mit 47 Firmenschildern fällt auf
Nach einem Durchgang fällt ein Briefkasten mit 47 kleinen Firmenschildern auf. Ganz schön viel Post für einen Kasten mit lauter Namen, die nur Insidern etwas sagen dürften. Briefträgern wird mitgeteilt: „Wenn voll, Briefkasten gegenüber.“
Hinter Glasscheiben kommen Firmenlogos dann noch größer und bunter zum Vorschein. Was alles an Vermögensverwaltungs-, Consulting-, Beteiligungs-, Logistik-, Parkettarbeiten- und Limousinenservice-Firmen auf rund 250 Quadratmetern Gesamtfläche Platz findet. Auf der Internetseite ist von virtuellen Büros in exklusiver Lage die Rede.
Post werde entgegengenommen und weitergeleitet. Das Basispaket gebe es ab 235 Euro monatlich zuzüglich Mehrwertsteuer. Ein Schnäppchenpreis in Grünwald. Für ein 150 Quadratmeter großes, ganz reelles, also nicht virtuelles Büro werden schon mal 3296 Euro Kaltmiete fällig.
Aber wer steckt hinter der Internetseite mit dem bebrillten Sparschwein und der Aufforderung, doch Steuern zu sparen? Zunächst einmal die Tatsache, dass sich Grünwald eines bundesweit extrem niedrigen Gewerbesteuerhebesatzes von 240 Prozent rühmt. Dieser Messwert liegt, wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ausgerechnet hat, im bundesweiten Durchschnitt bei 431 Prozent.
In München sind es 490 Prozent. So ergibt sich nach Berechnungen des DIHK für ein Unternehmen mit zwei Millionen Euro Jahresgewinn ohne Hinzurechnungen oder Kürzungen in Grünwald eine Gewerbesteuerlast von 168.000 Euro, während es in München 343.000 Euro sind.
Solche Vergleiche befördern das Geschäft von Marketing-Fachmann Bernhard Heudorf. Immer mehr Firmen nutzen die Dienste seines speziellen Büro-Zentrums in der Grünwalder Schloßstraße. Alles sei ganz legal, sagt er bei einem Telefongespräch: „Wir verlangen von jedem neuen Kunden einen Ausweis und einen Auszug aus dem Handelsregister.“
Im bayerischen Briefkastenfirmen-Zentrum geht es familiär zu. Der Bäcker um die Ecke übernimmt die Verpflegung, wenn Firmeninhaber zu Besprechungen nach Grünwald kommen. Der 55-jährige Heudorf ist von seinem Konzept eines „Smart Office“, eben schlanken Büros, überzeugt: „Heute kann jeder überall seinen Laptop einstöpseln und arbeiten.“
Der Unterschied zwischen Panama und Grünwald ist fundamental: In dem mittelamerikanischen Land war es bisher Sitte, die Herkunft der Gelder zu verschleiern, sodass Behörden aus den Heimatstaaten nicht mitbekommen, wem die Beträge gehören und vor allem, ob sie aus kriminellen Geschäften stammen.
In Grünwald haben die Behörden volles Zugriffsrecht
In Grünwald haben die Behörden natürlich volles Zugriffsrecht. Hier herrscht, um es bayerisch zu sagen, nur a bisserl Panama, also die Freude vieler Firmeninhaber, kräftig Gewerbesteuer zu sparen.
So kommt in Grünwald, wie Kämmerer Raimund Bader bestätigt, auf rund 11.000 Einwohner die extrem hohe Zahl von etwa 7000 Unternehmen. Der Ort zieht diese seit 2004 besonders an.
Damals wurde bestimmt, dass eine Gemeinde mindestens einen Gewerbesteuerhebesatz von 200 Prozent festlegen muss. Diese Aktion richtete sich vor allem gegen ein kleines, renitentes Dorf an der Nordseeküste.
Zu dieser Zeit wohnten in Norderfriedrichskoog südlich von Husum knapp 50 Menschen. Bis die politisch Verantwortlichen in Berlin den Wirbel um die friesische Steueroase satthatten und die „Lex Norderfriedrichskoog“ erließen, lag der Gewerbesteuersatz bei null Prozent. Das zog über 400 Firmen an. Bekannte Konzerne ließen hier Tochterunternehmen registrieren.
Der damalige stellvertretende und heutige erste Bürgermeister Jann-Henning Dircks erinnert sich: „Das war der Hammer: In unserem Ort mit 13 Bauernhöfen waren plötzlich Riesen wie die Deutsche Bank, RWE, Eon, Lufthansa, Unilever und Henkel mit Töchtern vertreten.“
Zum Teil wurden Kinderzimmer und Dachböden umgebaut, um Steuerflüchtlingen kleine Büroräume für den Pseudo-Repräsentanten vor Ort zu verschaffen. Einen Mitarbeiter mussten die Konzerne neben dem Briefkastenschild dann doch mindestens vor Ort haben.
Heute stehen die Räume zum Teil leer oder werden als Feriendomizile vermietet. Fast alle Firmen haben die Flucht ergriffen, hat doch Norderfriedrichskoog einen Gewerbesteuerhebesatz von 310 Prozent.
Weil Kapital flüchtig wie ein Reh ist, solle es einige der Unternehmen in die Steuerspargemeinde Grünwald verschlagen haben, berichtet ein Gewährsmann. So einfach ist das mit dem Geld. Es nimmt den Weg der niedrigsten Steuerbelastung – in unserem Fall auch noch legal.
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