Allgäuer stirbt im Syrien-Krieg: Zu wenig Hilfe für gefährdete Familien
Im Januar starb David G. in Syrien. Danach war die Betroffenheit groß. Gefährdete Jugendliche und ihre Familien finden aber immer noch zu wenig Hilfe. Wie soll das weitergehen?
Der Schock war groß, nachdem der erste junge Mann aus dem Allgäu im „Heiligen Krieg“ gestorben war: David G. aus Kempten war 18 Jahre alt, als er seine Familie verließ. Im Januar starb er im Alter von 19 Jahren als Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Viele Menschen in der Region äußerten ihre Betroffenheit, forderten, dass ein solcher Tod im Terrorkrieg nicht mehr geschehen soll, dass man dieser neuen radikalen Strömung im Allgäu etwas entgegensetzen müsse. Doch Fakt ist: Trotz vieler Ankündigungen hat sich nur wenig geändert. Die Islamistenszene in und um Kempten wächst leicht an, im Gefängnis machen die Radikalen zunehmend Probleme und für betroffene Familien gibt es noch immer keine Hilfe.
Keine offizielle Stelle nimmt sich Salafismus an
Zwar hatte Thomas Baier-Regnery, Leiter des Kemptener Amts für Jugendarbeit, vor einigen Monaten gesagt, man müsse Salafismus thematisieren. Doch das ist in der Stadtspitze und im Stadtrat offenbar nicht angekommen. Denn nach Auskunft Betroffener aus dem Umfeld der Radikalen gibt es – abgesehen von der Polizei – keine offiziellen Stellen, die sich des Problems annehmen und Hilfe anbieten.
In einem Kemptener Sportverein war kürzlich die Sorge groß, als ein Minderjähriger, der der islamistischen Szene angehört, nicht mehr beim Training erschien. Der Jugendliche hat bereits zweimal versucht, nach Syrien zu gelangen. Ein anderer Kemptener Salafist (er ist kürzlich 18 Jahre alt geworden) war früher in einem Programm für Jugendliche ohne Schulabschluss. Heute wird er nicht mehr betreut. Beide jungen Männer sind noch in Kempten, aber die Menschen in ihrem Umfeld fühlen sich mit ihren Sorgen allein gelassen.
Auch andernorts ist trotz Ankündigungen nicht viel passiert. Der türkisch-islamische Kulturverein der Moschee in der Kemptener Innenstadt hatte für den Spätherbst eine Konferenz zum Salafismus angekündigt. Dazu gekommen ist es bislang nicht. Korhan Erdoen erklärt dies mit einem Generationswechsel in der Moschee – er selbst gehört dem neuen Vorstand des Vereins an. Vor Weihnachten soll die Konferenz nun stattfinden. Ein Problem sei die Organisationstruktur der Ditib: Die Türkisch-Islamische Union mit fast 900 Ortsgemeinden sei groß und eher schwerfällig, man hänge außerdem von der türkischen Politik ab. Deshalb sei es schwierig, regionale Ideen auf den Weg zu bringen – „aber wir sind neu dran, wollen das intensiver angehen“, sagt Erdoen.
Vernetzt mit der Szene im Allgäu
Apropos türkische Politik: Wie berichtet, hatten sich Eltern der Allgäuer Salafisten im Sommer ans türkische Generalkonsulat gewandt. Dieses hatte erklärt, dass die jungen Männer zunächst in Deutschland aufgehalten werden sollen – notfalls müsse man sie in der Türkei verhaften. Das wiederum steht in krassem Widerspruch dazu, dass der vor kurzem ausgewiesene Salafist und von den Sicherheitsbehörden als IS-Unterstützer eingeschätzte Erhan A. in der Türkei auf freiem Fuß ist. Warum? Diese Frage hätte unsere Zeitung gerne dem Vertreter des türkischen Generalkonsulats gestellt – doch der ist seit Wochen nicht zu erreichen.
Erhan A. ist allerdings weiter auf Sendung. Von Anatolien aus lässt der 22-Jährige wissen, dass „ich doch nicht ausreise“. Was er meint: Syrien, den Terrorkrieg. Doch per Internet ist der radikale Kemptener von seinem Geburtsort nahe der 1,3 Millionen-Einwohner-Stadt Kayseri trotzdem bestens vernetzt mit der Szene im Allgäu, im Irak und dem benachbarten syrischen Kriegsgebiet.
Bleibt die Allgäuer Polizei, die mit Verfassungsschutz, Ausländer- und Meldebehörden sowie dem Innenministerium für die Salafistenszene zuständig ist. Man beobachte die Szene, heißt es aus dem Präsidium, es gebe regelmäßige Treffen mit Moscheegemeinden und türkischen Vereinen – in Kempten zuletzt im September.
Allerdings: Ein Insider berichtet, dass für Überwachungen wie zuletzt bei Erhan A. drei Mann Personal notwendig seien. Bei Gefährdern mit Anschlagsplänen benötige man etwa zwölf Beamte. Kann die Polizei das überhaupt leisten? Und wie viel kostet das?
Wer hilft denjenigen, die in "Gotteskrieger-Szene" abgerutscht sind?
Im bayerischen Innenministerium reagierte man am Dienstag kühl auf die Frage, wie der Stand der Dinge ist beim juristischen Nachspiel in Sachen Erhan A.: Man sei nicht die richtige Stelle für diese Auskünfte. Wie berichtet, wollen die Grünen überprüfen lassen, ob die Ausweisung rechtens war. Der Anwalt von Erhan A. hatte bereits eine Klage angekündigt.
Viel wurde also geredet, wenig ist geschehen auf vielen Ebenen. Zumindest einige Schulen im Allgäu greifen das Thema Salafismus auf. Nur: Was ist mit denen, die schon abgeglitten sind in die „Gotteskrieger“-Szene, wer hilft ihnen und ihren Familien?
David G. , die Geschichte eines Gotteskriegers, lesen Sie hier.
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