Das Erbe Gurlitts zwingt auch die Schweiz in die Verantwortung
Beim Erbe von Cornelius Gurlitt ist es nicht so, dass beim Kunstmuseum Bern die Lust landet und bei Deutschland die Last verbleibt. Auch die Eidgenossen haben aufzuarbeiten.
Als zu Wochenbeginn in Berlin die Entscheidung zur Annahme des Gurlitt-Erbes durch das Berner Kunstmuseum bekannt gegeben wurde, da gab es – Zeugen berichten es – für einen Moment Heiterkeit im Saal. Es war aber eine bittere Heiterkeit.
Sie brach aus, als der Stiftungsratspräsident des Berner Museums folgende Äußerung gemacht hatte: Kein Bild, das aus der Raubkunst stamme oder unter diesem Verdacht stehe, werde die „Schwelle des Kunstmuseums“ übertreten und auf Schweizer Boden gelangen.
Natürlich hatte der Schweizer Christoph Schäublin auch in diesem Moment ausschließlich von der Sammlung Gurlitt gesprochen, aber der pathetische, treuherzige Ton, den er anschlug, ließ wohl bei manchem Hörer im Hinterkopf wach werden: Nicht immer hat es die Schweiz so genau, so ernst genommen mit der Raubkunst aus Deutschland – und auch mit der so- genannten „Entarteten Kunst“.
Provenienzforschung in Sachen Gurlitt-Erbe auf Schweizer Kosten
Denn die Schweiz mit ihrer überkommenen Diskretion in Finanz- und Kunstwert-Sachen war und ist neben New York und London ein Hauptumschlagsplatz und Hauptverwahrungsort für wertvolle Bilder und Skulpturen. Hier wurde zu Zeiten und im Auftrag des deutschen Nationalsozialismus offiziell verkauft und versteigert, was zuvor den jüdischen Bürgern in Deutschland geraubt worden war – und auch manches von dem, was an „Entarteter Kunst“ aus den Museen entfernt worden war.
Und für heute noch darf gelten: Unter dem, was in den prall gefüllten, zollfrei behandelten Kunstlagerhallen von Genf liegt, dürften etliche unsauber erlangte, ihres unsauberen Weiterverkaufs harrende Stücke sein. Eingedenk dieser anhaltenden Handelsgeschichte kam wohl die bittere Heiterkeit über den pathetischen Tonfall auf. Freilich: Die Deutschen mit ihrer verbrecherischen Nazi-Vergangenheit haben den geringsten Anlass, mit dem Finger auf die Schweiz zu zeigen.
Aber gleichzeitig ist jetzt – durch was für ein Erbe! – ziemlich plötzlich der Umstand eingetreten, dass sich auch die Schweiz, insbesondere das Kunstmuseum Bern, mit einem bösen, lange verschleppten Thema befassen muss: erneut Nutznießer von (teilweise) erheblich komplikationsbehafteter Kunst zu sein. Deshalb die Angst, dass noch einmal Raubkunst auf Schweizer Boden gelangen könnte. Deshalb die Ankündigung, dass künftig auch Schweizer Historiker auf Schweizer Kosten an der Provenienzforschung in Sachen Gurlitt-Erbe mitarbeiten werden.
Der Fall Gurlitt nicht der letzte seiner Art?
Damit setzt nun auch in der Schweiz langsam jenes Verantwortungsgefühl ein, wie es in Deutschland erst kurz vor dem Schwabinger Fund in Gang kam – obwohl beide Staaten schon 1998 jene Washingtoner Erklärung unterschrieben hatten, die (rechtlich nicht bindend) anregt, Nazi-Raubkunst zu identifizieren und zurückzugeben. Bis heute gibt es selbst in Deutschland noch Unzufriedenheit mit dem Tempo der Aufarbeitung; ja, bis heute gibt es Anlass zur Behauptung, dass potenziell Restitutionsberechtigte mit ihren Anträgen gegen Wände des Schweigens laufen. Die Schweiz jedoch ist noch einen Schritt weiter zurück. Nun hat sie das heikle Erbe angenommen.
All das betrifft nur die Kunst in Museen. Die Erben des jüdischen Kunstsammlers Paul Rosenberg aber, die mit Rückgabe der „Sitzenden Frau“ von Matisse rechnen können, erklären, es gebe noch viele private Sammlungen mit Raubkunst. Der Fall Gurlitt sei nicht der letzte seiner Art. Auch deswegen dringt Bayerns Justizminister Bausback weiter darauf, die Verjährung in Sachen Raubkunst aufzuheben. Bundesregierung/Bundesrat sind damit befasst. Es gibt immer noch viel zu tun – auch bei uns.
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