Der Abgas-Skandal hat die Angst nach Ingolstadt gebracht
Die Stadt und die ganze Region sind eng mit Audi verflochten. Der Konzern war über Jahrzehnte ein Garant für „Brot und Spiele“. Jetzt gehen viele Ängste um.
Ingolstadts Christkindlmarkt ist einer der ältesten Bayerns. Gerade hat er begonnen. Zwischen den stilvollen Weihnachtshäuschen vermischt sich der Duft von Glühwein und Bratwurst mit dem Dunst des Abgas-Skandals. Der ist Thema Nummer eins – überall.
Seit Wochen liegt die Nebelglocke wie Blei über dieser Stadt, in der bisher so ziemlich alles möglich war mit den vielen Millionen vom Mutterkonzern Volkswagen, der die Gewerbesteuer für Audi überweist. Neben dem vielen Geld haben die vier Ringe die Vollbeschäftigung gebracht. Die Boomtown prosperiert, die Jobmaschine brummt, alle Kenndaten zeigen steil nach oben. Nach wie vor.
Aber dieser Dunst. Viele halten jetzt etwas den Atem an. Vor Wochen beruhigte man sich noch, der Abgas-Skandal betreffe hauptsächlich VW; Audi werde schlimmstenfalls einen Bagatellschaden haben. „Jetzt erst recht! Mia san Audi!“, skandierte die Belegschaft vieltausendfach nach dem Takt des Betriebsrates bei einer Versammlung. Waren halt schon immer sehr selbstbewusst, diese Frauen und Männer, die sich stolz „Audianer“ nennen und gerne das Bild vom Familienunternehmen zeichnen. Nur dass dieser Familienbetrieb halt etwas groß geworden ist. Und jetzt ist auch die Ingolstädter Staatsanwaltschaft angerückt. Irgendwelche Familienoberhäupter könnten fatale Fehler gemacht haben.
Das Rathaus vermeidet peinlich jede kritische Äußerung gegenüber Audi
Die Stimmung an den Bändern ist eine andere geworden. Und die IG Metall Ingolstadt – immerhin über 46000 Mitglieder – hat die Konzernleitung inzwischen deutlich aufgefordert, lückenlos aufzuklären. Auch außerhalb der Werkstore werden die Fragen kritischer. Aber kaum einer stellt sie laut. Die Politik hält den Ball ohnehin ganz flach. Kein Wunder: Wäre ja auch töricht, ausgerechnet jene Hand zu beißen, die so ziemlich alles in diesem Raum über Jahre so kräftig gefüttert hat. Das Rathaus geht auf eine Linie mit dem Konzern, vermeidet peinlich jede kritische Äußerung, geschweige denn Vorwürfe. Politik und Konzern sind so eng verflochten wie das edle Gewebe der Sitzbezüge in den Nobelkarossen.
Die Stadt unterstützt ihren größten Arbeitgeber seit nun über 20 Jahren mit kräftigen Investitionen in das Güterverkehrszentrum, wo Vorfertigung im ganz großen Stil stattfindet. Außerdem gibt es Kooperationen und gemeinsame Gesellschaften für weitere Projekte. Wie den IN-Campus, der ein einzigartiges Entwicklungszentrum mit tausenden Arbeitsplätzen werden soll. Für beide Seiten steht viel zu viel auf dem Spiel. Ausgerechnet jetzt mit kritischen Tönen punkten? Das wäre politischer Selbstmord. Besser abwarten, abtauchen und hoffen, dass sich die Dunstglocke bald verzieht.
Audi bezahlt sogar das Eis, auf dem Ingolstadt derzeit tanzt
Das tun auch Sportfunktionäre, Vereinsbosse und Kulturschaffende. Audi fördert Eishockey und Fußball massiv, holt Weltstars zu den Sommerkonzerten und den Jazztagen. Das kulturelle und soziale Engagement erstreckt sich aber auch in die Region und auf Ebenen, die weit unter dem Spitzenfeld liegen. Wie es eben ein „Familienbetrieb“ machen sollte. Das kommt an bei den Menschen. Aber jetzt gibt es Ängste, das Engagement könnte zurückgefahren werden.
Ingolstadt liegt politisch wie gesellschaftlich wie in einer wachsamen Lauerstellung in dieser Zeit vor Weihnachten. Das Bild trügt: Einige Meter vom Christkindlmarkt drehen Schlittschuhläufer auf einer riesigen Eisfläche ihre Runden. Finanziert wird der Strom für die riesigen Kältemaschinen wie das ganze Spektakel überhaupt von..?! Genau! Auch dort prangen die vier Ringe unübersehbar auf Werbeflächen. Ingolstadt tanzt auf dem Eis. Und alle hoffen, dass dieses Eis noch lange trägt.
Die Stadt liegt wie in einer wachsamen Lauerstellung.
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