Der Ober-Bayer wird heute 75
Wenn man Edmund Stoiber heute trifft, ist es wie immer. Er zeichnet ein Bierzelt und erklärt die Welt. Nun wird er 75. Auf Ruhestand hat er aber keine Lust.
Tatsächlich. Es ist wie immer. Als wäre er nie weg gewesen. Der Mann steht unter Strom. Das zeigt sich schon bei der Anfrage nach einem Interview. Es sei terminlich „ziemlich eng“, sagt der Büroleiter. Montag? Dienstag? „O.k., Dienstag könnte gehen. Wie lange brauchen Sie denn?“ Antwort: „Eine halbe Stunde reicht mir. Wir kennen uns ja. Ich hab’ nur ein paar Fragen. Es kommt auf die Länge der Antworten an.“ Der Büroleiter denkt nur eine Sekunde nach. Dann sagt er: „Dann machen wir eine Stunde. Oder besser, eineinhalb.“
Tatsächlich. Es ist wie immer mit Edmund Stoiber. Vor ziemlich genau neun Jahren, im Herbst des Jahres 2007, gab er seine Ämter als CSU-Vorsitzender und als bayerischer Ministerpräsident ab. Am Mittwoch feiert er seinen 75. Geburtstag. Von Ruhestand aber kann keine Rede sein. Stoiber arbeitet als Rechtsanwalt, berät Unternehmen und Verbände, ist ein begehrter Talkshow-Gast und kann sich auch sonst vor Einladungen kaum retten. Und die Politik treibt ihn um wie eh und je. Wer ihn in seinem Büro in der Wagmüllerstraße im Münchner Stadtteil Lehel besucht, den erwartet ein Redeschwall: Merkel. Seehofer. CDU. CSU. Flüchtlinge. AfD. Obergrenze. Franz Josef Strauß. Und, gerade wieder topaktuell: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“
Aber nicht alles ist so wie immer. Das Büro zum Beispiel. Stoibers früheres Herrschaftsdomizil in der Staatskanzlei war funktional, kühl, und alles in allem recht unpersönlich. In den neuen Räumen springt sofort der Mensch ins Auge, der hier Chef ist: der Fußballfan, der Familienvater, der „Elder Statesman“. Ein FC-Bayern-Buch (Sonderedition), so groß und dick wie eine Klosterbibel, wird in der Ecke des Besprechungsraums auf einer hölzernen Staffelei präsentiert. Auf dem Schreibtisch stehen Bilder mit seiner Frau Karin, den drei Kindern und den sechs Enkeln. Eine Fotocollage an der Wand dokumentiert eine Auswahl prominenter Gesprächspartner aus alten Tagen: Papst Benedikt, Wladimir Putin, Arnold Schwarzenegger.
Stoiber stellt sich hinter den Kurs von Horst Seehofer
In der Vergangenheit aber lebt Stoiber nicht. Seine Leidenschaft gilt der Gegenwart. Sie gilt der CSU, sie gilt Bayern, Deutschland und Europa und sie gilt seiner Idee von Politik: modern und konservativ zugleich. Als er noch ganz oben stand an der Spitze der Partei und des Freistaats, da hat das ziemlich gut funktioniert. Stoiber holte in Bayern Mehrheiten, von denen die CSU aktuell nur träumen kann. Um ein Haar wäre er sogar deutscher Bundeskanzler geworden. Und dass die Europäische Union ein großartiges Projekt für Frieden, Freiheit und Wohlstand ist, war damals unbestritten.
Diese Zeiten aber sind, wie es scheint, vorbei. Europa steckt in einer Krise. In Deutschland ist die rechtspopulistische AfD auf dem Vormarsch. Sogar die CSU in Bayern hat – trotz immer noch guter Umfragewerte – allen Grund, sich um ihre Ausnahmestellung als erfolgreiche Regionalpartei zu sorgen. Was hat der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber dazu zu sagen?
Seine spontane Antwort: So ungewöhnlich sei die Situation nun auch wieder nicht. Zweimal schon sei es CDU und CSU in der Geschichte der Bundesrepublik gelungen, eine Gefahr von rechts abzuwehren: in den 60er Jahren die NPD und in den 90er Jahren die Republikaner. Damit dies wieder gelingt und die Union ihren Status als Volkspartei „von der Mitte bis Mitte rechts“ verteidigt, aber sei eine ehrliche Analyse unausweichlich.
Die CDU habe in fünf Landtagswahlen hintereinander mehr als 320.000 Wähler an die AfD verloren. Gleichzeitig sei erstmals die Wahlbeteiligung wieder gestiegen. „Was bedeutet das?“, fragt Stoiber und gibt gleich die Antwort: „Wir verlieren und gewinnen nichts dazu.“ Dieser Vertrauensverlust sei das entscheidende Problem. Die CDU, so kritisiert er, stelle sich diesem Problem bisher nicht: „Ich vermisse eine Analyse und eine Aufarbeitung.“ Die CSU und ihr Chef Horst Seehofer dagegen hätten deshalb so breite Zustimmung, weil sie immer wieder die wichtigste Frage stellen: „Was denken die kleinen Leute?“
Um zu illustrieren, wie man das erkennt, nimmt sich Stoiber den Block des Reporters und beginnt zu zeichnen. Er skizziert ein Bierzelt: Das ist das Bierzelt. Hier vorne ist die Bühne mit dem Rednerpult. In den ersten Reihen davor sitzen Parteimitglieder und Anhänger. Weiter hinten aber sitzen die, auf die es ankommt. Es sind die, die nur zufällig da sind. Solange der Politiker am Rednerpult über Details der Steuerpolitik oder Ähnliches referiert, wird sich kaum jemand der Zufallsgäste für ihn interessieren. „Wenn ich da aber über Leitkultur rede, dann habe ich das ganze Zelt im Bann, dann hören alle zu. Darauf kommt es an“, sagt Stoiber.
Im Unterschied zu den früheren Auseinandersetzungen mit Rechtspopulisten gibt es aus seiner Sicht eine „neue Kategorie“, die nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Es seien „die unterschiedlichen Betroffenheiten der Menschen durch die Globalisierung“. Wie sehr es dabei gerade um die sogenannten „kleinen Leute“ gehe, zeige sich auch an den Wählern, die direkt von der Linken zur AfD wechseln. Diese Entwicklungen und Tendenzen müssten beachtet werden. CSU-Chef Seehofer habe all dies erkannt. „Seine Analysen waren von Anfang an richtig und er konnte sie mit großer Glaubwürdigkeit darlegen“, sagt Stoiber. Deshalb auch die Forderung der CSU nach einer Obergrenze für Flüchtlinge. „Die Obergrenze“, so Stoiber, „ist nichts anderes, als der Begrenzung der Integrationsfähigkeit unseres Landes einen Namen zu geben.“
Stoiber definiert sich als „Elder Statesman“
Es ist so wie immer. Edmund Stoiber redet, als wäre er nie weg gewesen. Dabei hat sich seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik einiges verändert in der CSU. Die Partei des einstigen Atomministers Franz Josef Strauß hat sich von der Atomkraft verabschiedet. Sie hat, was noch wenige Jahre zuvor unvorstellbar gewesen wäre, die Abschaffung der Wehrpflicht betrieben. Und sie hat viele Projekte aufgegeben, die der langjährige CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Stoiber mit Leidenschaft vorangetrieben hatte: den Ausbau der Donau mit neuen Staustufen, den Hochgeschwindigkeitszug Transrapid vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen, das achtjährige Gymnasium, die Studiengebühren und das Büchergeld.
Stoiber aber ficht das in seiner Treue zur CSU offenbar nicht an. Trotz der vielen Kurswechsel demonstriert er unbedingte Loyalität zu seiner Partei. „Ich bin gegangen, aber ich bin geblieben – in anderer Funktion“, sagt er. Schon kurz nach seinem erzwungenen Rücktritt habe er im Jahr 2008 einige Wahlkampfveranstaltungen für seinen Nachfolger Günther Beckstein gemacht. Im Landtagswahlkampf 2013, als Seehofer Spitzenkandidat war, seien es sogar rund 30 Auftritte gewesen.
Seine Nachfolger zu kritisieren, kommt ihm nicht in den Sinn. „Dass jetzt andere Verantwortung tragen, damit habe ich nie ein Problem gehabt“, sagt Stoiber, „da hab ich keine Eitelkeiten.“ Und dass sich mit den Zeiten auch viele Inhalte der Politik ändern und seine Nachfolger manches anders entscheiden, stört ihn nach eigener Aussage auch nicht: „Ich habe das Vertrauen, dass sie das nach ihrer Verantwortung abwägen.“
Stoiber definiert sich selbst als „Elder Statesman“. Er will einen gewissen Abstand halten, aber seine Erfahrung zur Verfügung stellen. In der Sprache des Fußballs, die er immer noch gerne bemüht, um die Dinge anschaulich zu machen, heißt das: „Ich stehe nicht mehr auf dem Platz, aber ich sitze auf der Tribüne.“ Auch dort sei er mit Herz und Seele dabei. Das gehe auch nicht anders. „Man bleibt ein leidenschaftlicher Mensch.“ Das sei schon immer so gewesen bei ihm. „Ich war ja auch schon politisch engagiert, bevor ich ein Amt hatte“, sagt Stoiber, muss dazu aber weit in die Vergangenheit zurückgreifen: Anfang der 1960er Jahre an der Uni, als er im Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) aktiv war und sich einer linken Mehrheit unter den Studenten gegenübersah.
Beim Stichwort Strippenzieher muss Stoiber lächeln
In der Gegenwart hat er nur noch mit zwei hartnäckigen Nachwirkungen seiner politischen Tätigkeit zu kämpfen. Zum einen mit dem Gerücht, dass sein Büro weiterhin vom Staat finanziert werde. Zum anderen mit dem häufig verbreiteten Verdacht, dass er in der CSU im Hintergrund immer noch eine Art Strippenzieher sei. Beides sei falsch, sagt Stoiber.
Das Büro als ehemaliger Ministerpräsident habe er nur die vier Jahre genutzt, in denen es ihm von Gesetz wegen zustand. 2011 sei er in eigene Räume umgezogen, die er direkt gegenüber auf der anderen Seite der Wagmüllerstraße anmieten konnte. Dafür habe er zwar einen kleinen Zuschuss von der EU-Kommission erhalten, für die er damals noch als Leiter einer Arbeitsgruppe für Bürokratie-Abbau tätig war. Alles andere aber finanziere er aus seinem Einkommen als Rechtsanwalt und Berater.
Das Stichwort vom Strippenzieher quittiert Stoiber mit einem Lächeln. Er führe selbstverständlich viele Gespräche oder stelle Kontakte her, wenn ihn jemand darum bitte. Die aktive Politik aber überlasse er denen, die dafür jetzt die Verantwortung tragen. „Horst Seehofer macht das gut“, sagt er.
Zwei prominente Gratulanten zum 75. Geburtstag meldeten sich schon am Dienstag zu Wort. Horst Seehofer sagt über Stoiber: „Als Ministerpräsident hat er Bayern in den 14 Jahren seiner Amtszeit geprägt und vorangebracht – mit unermüdlicher Energie, großer Leidenschaft und echter Liebe zu seinem Land und den Menschen in Bayern.“ Dabei hebt er insbesondere Stoibers Haushaltspolitik ohne Neuverschuldung sowie die Förderung von Spitzentechnologie und Wissenschaft für zukunftsfähige Arbeitsplätze hervor.
Zu den ersten Gratulanten gehört auch sein einstiger politischer Gegner Gerhard Schröder (SPD), dem Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002 knapp unterlag. Schröder lobt die politische Leistung Stoibers: „Seit rund 40 Jahren kreuzen sich immer wieder die Wege von Edmund Stoiber und mir. So manchen harten Streit haben wir ausgefochten. Aber eines habe ich an ihm immer respektiert: Er ist ein Vollblutpolitiker, wie es nur wenige in Deutschland gibt.“
Die Diskussion ist geschlossen.