Der Zug in eine neue Zeit: 175 Jahre Bahnstrecke Augsburg–München
Vor 175 Jahren wurde die Bahnstrecke Augsburg–München eröffnet. Die Dampfloks schafften nur 35 Kilometer pro Stunde, doch sie waren der Start in die mobile Gesellschaft.
Der Vorbote des neuen Zeitalters tauchte am 4. Oktober vor 175 Jahren gegen halb elf Uhr vormittags in Augsburg auf, rauchend und zischend, unter dem Donner von Böllern und dem Jubel von Chören. Der erste Zug auf der neuen Strecke zwischen Augsburg und München war angekommen und die Menschen waren fasziniert. Kaum einer verstand wirklich, wie es möglich war, dass zwei kleine Loks einen Zug aus 27 Waggons ziehen konnten, doch jeder sah, dass nicht mehr dutzende von Pferden dafür nötig waren.
„Überall erblickte man heitere Mienen, und die schöne, ohnehin durch die gerade einfallende Marktzeit belebte Maximiliansstraße wurde noch lebendiger durch die zahlreichen Münchner, die sich nach allen Seiten hin vertheilten“, schrieb die Münchner Politische Zeitung nach der Eröffnung der Schnellbahnstrecke, die zu den ersten in Deutschland gehörte.
Doch in den Jubel mischten sich auch nachdenklichere Stimmen. Zeitgenössische Zeichnungen zeigen scheuende Pferde neben der Bahn, berichtet wurde von einem angeblichen Gutachten bayerischer Ärzte, die davor warnten, die neue Geschwindigkeit könnte Menschen in psychische Ausnahmezustände versetzen. Wie sehr man an einer Zeitenwende stand, zeigt, dass Reisende, die am Abend mit der hochmodernen Bahn in Augsburg ankamen, nachts einen Obolus an den Torwächter der noch bestehenden Stadtbefestigung zahlen mussten, wenn sie in die Stadt wollten.
Mit der Postkutsche in zehn Stunden von Augsburg nach München
Die Geschwindigkeit der Bahn war nach heutigen Maßstäben nicht hoch. Sie wurde bei guten 35 Kilometern pro Stunde festgesetzt, was eine Reisezeit von etwa zweieinhalb Stunden bedeutete. Doch um zu verstehen, worin das Revolutionäre lag, muss man sehen, wie der Transport vor der Eisenbahn lief. Mit der Postkutsche war man zehn Stunden unterwegs, Güter ließen sich mit Fuhrwerken nur schwer transportieren. Die Bahn definierte Raum und Zeit für die Menschen zwischen Augsburg und München ein Stück weit neu.
Die Bahn wurde ein Massenverkehrsmittel, wie es vorher nicht verfügbar war. „Schon die kleine Linie zwischen München und Augsburg beflügelte die Mobilität der Zeitgenossen. Zwischen 1839 und 1841 stieg die Zahl der beförderten Passagiere zwischen den beiden Städten von rund 400 mit der Postkutsche auf über 30000 mit der Eisenbahn“, sagt Bettina Gundler, Leiterin der Verkehrsabteilung des Deutschen Museums in München. Mobilität wurde billiger und üblicher – auch für Vergnügungsfahrten. Eine Woche nach Eröffnung fuhr der erste Sonderzug zum Oktoberfest.
„Bis dahin kam der gemeine Bürger eigentlich nie über seinen Ort hinaus“, sagt Wolfgang Wrba von den Meringer Modellbahnfreunden, die sich für eine Ausstellung jahrelang mit dem Thema befasst haben. „Man kann es am ehesten vergleichen mit der Erfindung des Computers und des Internets. Ein Meilenstein, den sich 20 Jahre später keiner wegdenken konnte.“ Zudem setzte die Eisenbahn eine industrielle Dynamik in Gang, die Wirtschaft und Gesellschaft umkrempelte und Städte wachsen ließ. Mehr noch als Augsburg profitierte München davon – sein Wachstum hat es der Bahn zu verdanken. Auch die Münchner Brauereien profitierten, weil sie ihr Bier nun überregional vermarkten konnten.
Warum die Friedberger von der Zugstrecke zunächst gar nicht begeistert waren
Dabei war der Anstoß für die Bahn von Augsburg ausgegangen. Der Staat hatte kein Interesse, also gingen Privatunternehmer in Vorlage. Bürgermeister Carron du Val gab Impulse, in Augsburg und München gründeten Unternehmer Vereine. Doch bald zerstritt man sich, die Münchner übernahmen das Ruder. Hinzu kam Geldknappheit: In den Plänen tauchten repräsentative Steinbrücken und Bahnhofsgebäude auf, bei der Eröffnung gab es hingegen nur schlichte Holzbauten. Denn der Streckenbau war teuer: Es waren Gefälle und Flüsse zu überbrücken, bei Haspelmoor machte der Sumpf den Konstrukteuren zu schaffen (wie 170 Jahre später übrigens auch den heutigen Ingenieuren beim viergleisigen Ausbau).
Und zumindest am Anfang waren einige Städte entlang der Linie alles andere als begeistert. Handwerker aus Friedberg setzten ein Schreiben auf, in dem sie Entschädigung forderten, auch aus Fürstenfeldbruck und Dachau gab es Widerstand. Hintergrund: Die beiden Landstraßen verliefen über diese Städte. Der Landverkehr ernährte viele Arbeitskräfte vor Ort. In einem Schreiben an die Regierung ist von der „für uns einem verheerenden Gewitter gleichenden Bahn“ die Rede.
Die Bahnlinie wurde den wirtschaftlichen Erwartungen der Erbauer nicht gerecht. 1844 übernahm der bayerische Staat die Bahnstrecke, die Teil eines größeren Netzes wurde. Die Geschwindigkeiten steigerten sich – 1907 wurde ein Weltrekord mit einer Maffei-Lok über 154 Kilometer pro Stunde auf dieser Strecke aufgestellt.
Von ihrer Bedeutung hat die Bahnstrecke wenig eingebüßt – sie zählt zu den am dichtesten befahrenen in Deutschland. Nach 13 Jahren Bauzeit wurde 2011 der viergleisige Ausbau abgeschlossen. Kosten: 620 Millionen Euro. Der Fernverkehr läuft auf der einen, der Nah- und Güterverkehr auf der anderen Seite. Um die 300 Züge fahren hier täglich. Die ICE schaffen die 61 Kilometer in weniger als einer halben Stunde mit Tempo 230. Die meisten Passagiere werden im Nahverkehr durch den Fugger-Express befördert – mehr als 9000 Pendler pro Tag sind unterwegs. Seit 2009 wurde das Angebot stetig erweitert, der Zug fährt tagsüber jede halbe Stunde.
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