Die Schmerzen der Grünen mit dem Asylrecht
Lange hat die Partei das Konzept des „sicheren Herkunftslands“ bekämpft. Jetzt gibt es eine Wende. Was die Grünen für die Bildungspolitik in der Flüchtlingskrise vorschlagen.
Der Schmerz ist Grünen-Chef Toni Hofreiter ins Gesicht geschrieben. Es ist der Schmerz, sich von einem politischen Glaubensbekenntnis verabschieden zu müssen. Jahrelang haben die Grünen das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“ im deutschen Asylrecht bekämpft. Ihr einziger Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, musste heftige Kritik aus den eigenen Reihen einstecken, als er in dieser Frage im Bundesrat einmal nachgegeben hatte. Jetzt aber setzt sich bei den Grünen in Bayern und im Bund offenbar langsam die Auffassung durch, dass weiterer Widerstand zwecklos ist.
Bei Hofreiter – er war bis gestern Gast bei der Fraktionsklausur der bayerischen Grünen in Kempten – hört sich das in etwa so an. Erstens: Wir halten nichts von sicheren Herkunftsländern. Zweitens: Es ist effektiver, die Menschen auf dem Balkan aufzuklären, bevor sie hier Asyl beantragen. Drittens: Roma und Homosexuelle werden in diesen Ländern immer noch massiv diskriminiert. Viertens: Im Moment wird mit der Bundesregierung über ein Maßnahmenpaket verhandelt. Fünftens, und jetzt wörtlich: „Man wird am Ende Kompromisse finden, aber das ist alles noch in der Verhandlung.“
Die Grünen und das Problem mit den Asylbewerbern vom Balkan
Der Chef der Grünen im Landtag hat in derselben Frage offenbar deutlich weniger Schmerzen. Ludwig Hartmann aus Landsberg am Lech packt seine Antwort in einen einzigen Satz. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt er: „Ich kann mir vorstellen, dass die Grünen zustimmen, wenn es ein vernünftiges Gesamtpaket gibt und wenn auf dem Westbalkan echte Hilfe vor Ort stattfindet.“ Hartmann gilt bei den Grünen als Pragmatiker, früher hätte man ihn einen „Realo“ genannt. Er fordert von der grünen Landtagsfraktion, die er gemeinsam mit Margarete Bause leitet, Konzepte und Lösungsvorschläge – und zwar möglichst konkret.
In Kempten, wo die 18 Abgeordneten der Grünen drei Tage lang schwerpunktmäßig darüber diskutierten, wie ein modernes Bildungswesen in einer „Einwanderungsgesellschaft“ zu organisieren ist, hat das offenbar geklappt. Die Fraktion legte alleine zur Bildungspolitik drei Papiere vor: einen 7-Punkte-Plan zur Integration, ein Konzept zum „Lernen im digitalen Zeitalter“ und ein Konzept zur Modernisierung der Berufsbildung. Doch auch dabei stand das alles beherrschende Thema, die Flüchtlingskrise, immer wieder im Mittelpunkt.
Hartmann fordert, die Flüchtlingsfrage realistisch zu diskutieren
Die Grünen fordern ein Sofortprogramm: 1000 Lehrer zusätzlich, den Aufbau einer „Sonder-Mobilen-Reserve“, um an den Schulen flexibel reagieren zu können, ein „multiprofessionelles Stützsystem“ mit Dolmetschern, Psychologen und Sozialarbeitern sowie ein Weiterbildungsprogramm für Lehrer in im Fach „Deutsch als Zweitsprache“. Viel getan werden könnte nach Ansicht der Grünen auch in der beruflichen Bildung. Wenn zum Beginn eines Ausbildungsjahres 25000 Lehrstellen unbesetzt bleiben, könne man die behördliche Prüfung, ob es nicht doch einen deutschen Bewerber gebe, ersatzlos streichen. Ein Flüchtling, der eine Lehrstelle bekommt, sollte für die Zeit seiner Ausbildung auf jeden Fall bleiben dürfen.
Doch das seien nur erste Schritte. Auf Staat und Gesellschaft in Bayern werde noch viel mehr zukommen. Deshalb plädiert Hartmann auch für eine Enquete-Kommission im Landtag, damit auch Hilfsorganisationen, Verbände, Kirchen und Vertreter der Wirtschaft mitreden können. Man müsse die Flüchtlingsfrage realistisch diskutieren. „Das wird Geld kosten, und das wird langfristig sein. Das muss man den Bürgern auch sagen“, betont Hartmann.
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