Ein Dirnenmord und ein Geständnis 35 Jahre danach
Ihr Zuhause sind die Wartehallen der Bahnhöfe. Ihre Habseligkeiten undKleider verstaut sie in Schließfächern. Sie zecht nächtelang ineinschlägigen Kneipen und übernachtet manchmal bei ihren Freiern.
Von Klaus Utzni und Peter Richter
Ihr Zuhause sind die Wartehallen der Bahnhöfe. Ihre Habseligkeiten und Kleider verstaut sie in Schließfächern. Sie zecht nächtelang in einschlägigen Kneipen und übernachtet manchmal bei ihren Freiern.
Ende Februar 1970 findet die 29 Jahre alte Prostituierte Heiderose B. einen schrecklichen Tod. Die Frau, die in Nürnberg, Augsburg und Ulm dem ältesten Gewerbe der Welt nachgeht, wird am 1. März 1970 erschlagen und erstochen auf einem Feld in der Nähe von Ulm von einem Passanten entdeckt. Die nackte, fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche ist in eine Wolldecke gewickelt und mit einem Hanfstrick verschnürt. Die Ermittlungen der Mordkommissionen in den drei Städten bleiben erfolglos. Mehr als 35 Jahre nach dem Gewaltverbrechen, am 9. November 2005, taucht ein anonymer Brief auf.
Heiderose B. wird in Ost-Berlin geboren, wächst in Heimen in der DDR auf, flüchtet später in den Westen - nach Nürnberg. Ihr Geld verdient sie ab 1958 als Dirne, sie arbeitet auch in Ulm und Augsburg. Immer wieder wird sie von der Polizei festgenommen - wegen illegaler Erwerbsunzucht. Von 1967 bis 1969 sitzt sie deshalb im Frauengefängnis Aichach ein.
Als ihre verkohlte Leiche am 1. März 1970 auf einem Feld nahe Eiselau bei Ulm gefunden und anhand von Fingerabdrücken identifiziert wird, fahndet auch die Augsburger Mordkommission nach dem Täter. Zunächst vermuten die Ermittler, Heiderose B. könnte Opfer des ominösen Augsburger Frauenmörders geworden sein, der in den Jahren zuvor bereits mehrere Dirnen umgebracht hat. Konkrete Hinweise, dass er auch die 29-Jährige auf dem Gewissen hat, gibt es aber nicht. Die überregionalen Ermittlungen verlaufen im Sande.
Am 9. November 2005 trifft bei der Polizei in Nürnberg ein anonymer Brief ein, handschriftlich adressiert an das Landeskriminalamt, Allersberger Straße 17-19. Das Kuvert ist im Briefzentrum Mannheim abgestempelt. Das Schreiben, auf einem Computer verfasst, elektrisiert die Nürnberger Mordkommission. Der Anonymus behauptet darin, ein Bekannter hätte sich ihm kurz vor dessen Krebstod im Jahre 2003 als Mörder der Heiderose B. offenbart. Er, der Täter, hätte die Dirne damals in einer Wohnung bei einem Streit erschlagen und erstochen, die Leiche am folgenden Tag in seinem Opel Diplomat nach Ulm gebracht, sie in die Decke einer Umzugsspedition gewickelt, dann mit Benzin übergossen und angezündet.
Der Schreiber des mysteriösen Briefes nennt Einzelheiten, die nur dem Täter bekannt sein können. Aber: Ein Teil der Behauptungen stimmt, andere genannte Details sind falsch, fasst Kriminalhauptkommissar Dieter Ebenhöch von der Mordkommission Nürnberg heute das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen zusammen. So deckt sich die Behauptung in dem Brief, der Mörder habe die Leiche in einem Opel Diplomat zum späteren Fundort bei Ulm transportiert, mit den damals gesicherten Reifenspuren.
Für die Kripo beginnt nun eine zeitraubende Puzzlearbeit. Im Jahre 1970 waren allein in Nürnberg rund 1500 Autos vom Typ Opel Diplomat zugelassen. Weil das Kraftfahrt-Bundesamt bereits alle Halterdatensätze aus dieser Zeit gelöscht hat, muss die Kripo mühevoll die damaligen Autozulassungen rekonstruieren. Bis heute haben wir rund die Hälfte geschafft. Aber viele Halter können wir nicht mehr befragen, weil sie schon gestorben sind, bedauert Hauptkommissar Ebenhöch.
Die Bitte der Mordkommission in den Medien, der unbekannte Schreiber des Briefes möge sich noch einmal melden, bleibt ohne Erfolg. Was nicht verwundert. Denn mehr und mehr ist die Kripo davon überzeugt, dass der Verfasser des Schreibens in Wahrheit der Mörder von Heiderose B. ist. Die Behauptung, dass der Täter 2003 an Krebs gestorben ist, könnte falsch sein, meint Ebenhöch. Möglicherweise habe der Täter mit dem Brief sein Gewissen erleichtern wollen, letztendlich habe ihm aber der Mut gefehlt, sich den Behörden zu stellen. Vielleicht wollte er uns mit dem angeblichen Krebstod auf eine falsche Spur führen, damit wir die Akten in dem Fall für immer schließen, spekuliert der Kripofahnder.
Weil Mord nie verjährt, laufen die Ermittlungen im Mordfall B. weiter. Der Mörder könnte aus dem Raum Ulm/Neu-Ulm stammen und damals bei einer Möbelspedition als Kraftfahrer gearbeitet haben.
Für Hinweise, die zur Klärung der Bluttat führen, ist auch heute noch eine Belohnung von 1000 Euro ausgesetzt.
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