"Ein Quäntchen Glück gehört immer dazu", sagt der Mann für die Bomben
Michael Filips, 49, ist verheiratet, hat vier Kinder - und ist Sprengmeister. Ein Gespräch über Routine, Angst und blindes Vertrauen.
Michael Filips (49) ist Truppführer in der Kampfmittelbeseitigung. Eine andere Berufsbezeichnung ist Sprengmeister. Er arbeitet bei der Firma Tauber, die vom Bayerischen Innenministerium beauftragt ist, Kampfmittel wie Bomben zu entschärfen, die in Bayern gefunden werden.
Herr Filips, manche Menschen arbeiten im Büro, andere mit Menschen, wieder andere verkaufen Versicherungen. Sie entschärfen Bomben. Was macht den Reiz dieses Berufs aus?
Michael Filips: Ich komme aus dem Handwerk, habe nach der Schule Schlosser gelernt. Bombenentschärfung ist ein handwerklicher Beruf, der wahnsinnig abwechslungsreich ist. Außerdem hat man mit interessanter Technik zu tun und man hat das gute Gefühl, Gefahr beseitigt zu haben.
Wie häufig werden Sie zu einer Entschärfung gerufen?
Filips: Das kann man nur im Schnitt sagen. Seit April letzten Jahres waren es etwa 100 Einsätze.
Wo werden Sie überall eingesetzt?
Filips: Die Firma Tauber hat in Bayern im Bereich Kampfmittelbeseitigung drei Standorte: Feucht bei Nürnberg, Oberschleißheim bei München und einen in der Nähe von Ingolstadt, wo ich stationiert bin. An jedem Standort ist ein Kommando, welches aus drei beziehungsweise vier Leuten besteht. Welches Kommando eingesetzt wird, hängt vom Ort ab, wo das Kampfmittel gefunden wird.
Welche Kampfmittel entschärfen Sie?
Filips: Die meisten Kampfmittel, mit denen wir zu tun haben, sind keine Bomben. Es handelt sich eher um Handgranaten, Artilleriegranaten, Panzerfäuste und so weiter. Die gesamte Palette an Kampfmitteln eben, die im Krieg zum Einsatz gekommen sind. Und zwar nicht nur im Zweiten, sondern auch im Ersten Weltkrieg. Aus dem Ersten Weltkrieg - und auch aus Kriegen im 19. Jahrhundert - haben wir viele Granaten. Überraschenderweise ist die Anzahl der Blindgänger von heutigen Kampfmitteln nicht geringer als diejenige von Granaten aus dem 19. Jahrhundert. Zehn bis 15 Prozent der eingesetzten Munition sind Blindgänger - auch heute noch.
Wie gehen sie vor, wenn Sie zu einem Einsatz gerufen werden?
Filips: Uns geht es immer um die öffentliche Sicherheit. Deshalb arbeiten wir eng mit Polizei und Behörden zusammen. Diese kümmern sich etwa um die vorsorgliche Evakuierung eines Gebietes. Auch bitten wir die Polizei manchmal, vor uns herzufahren, wenn die Straßen voll sind. Denn wir haben kein Blaulicht und Martinshorn. Und wenn eine Bombe gefunden wird, muss es schnell gehen.
Warum eigentlich? Viele Bomben stammen aus dem zweiten Weltkrieg und sind die letzten 70 Jahre nicht hochgegangen.
Filips: Weil man zuerst einmal feststellen muss, welcher Zünder angebracht ist. Manche Bomben können durch Erschütterung - etwa durch einen Bagger auf einer Baustelle - gefährlich werden. Dann läuft die Zeit.
Ist ein Bombenentschärfer also immer unter Zeitdruck?
Filips: Nein. Nur, bis man weiß, um welchen Zünder und Bombentyp es sich handelt. Je nachdem, wie die Umstände sind, wartet man mit der Entschärfung dann auch ab. In Regensburg wurde zum Beispiel mal eine Bombe beim Krankenhaus gefunden. Der Zünder ließ es zu, dass wir die Bombe unter einem Behälter absicherten. Entschärft haben wir sie erst eine Woche später, nachdem das Krankenhaus komplett evakuiert wurde.
Wie gehen Sie bei der Analyse einer Bombe vor?
Filips: Ich schaue mir immer zuerst an, wie die Bombe liegt. Ist sie, nachdem sie ins Erdreich eingedrungen ist, wieder nach oben marschiert oder ist sie steckengeblieben wie ein Pflock? Dann schaue ich mir das Zündsystem an, um die Zünder - es sind in der Regel zwei - zu identifizieren. Und dann schaue ich mir natürlich den Zustand der Bombe an. Ich stelle mir Fragen wie: Ist es zu erwarten, dass es lange dauert, bis der Zünder rausgeht? Muss ich eventuell technisch nachhelfen durch Freischneiden oder ähnliches? Muss eine Ausbausperre, also eine sogenannte Entschärferfalle berücksichtigt werden bei der Wahl der Entschärfungsmethode? Man will das Kampfmittel verstehen. Verstehen, warum es nicht explodiert ist, und es letztendlich unschädlich machen.
Ist das Sprengen von Kampfmittel denn grundsätzlich die letzte Option?
Filips: Das kommt auf die Größe des Kampfmittels an. Ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Handgranate auf dem Transport explodiert, ist es die bessere Möglichkeit, sie vor Ort zu sprengen. Bei Bomben ab einer gewissen Größe ist das Sprengen meist die letzte Option. Findet man aber die Bombe etwa auf einem alten Flugfeld, das ohnehin abgesperrt ist, kann es auch sicherer sein, sie zu sprengen. Man muss einfach abwägen.
Wie lange dauert eine Entschärfung?
Filips: Die Analyse, also um was es sich für einen Zünder und um welchen Bombentyp es sich handelt, ist meist nach einer halben Stunde abgeschlossen. Danach wird dann entschieden, welche Maßnahmen ergriffen werden und wie schnell dies geschehen muss. Ob also beispielsweise die Evakuierung sofort geschehen muss, oder ob man sich dabei Zeit lassen kann.
Besteht denn Gefahr durch Routine?
Filips: Ja, das gibt es. Wir schützen uns aber davor, indem wir eine Checkliste erstellt haben, die man vor jeder Entschärfung komplett durchgeht. So kann man eigentlich nichts Wesentliches vergessen. Das geht von der Bombenanalyse über die Absicherung der Umgebung bis hin zur eigenen Sicherheit. Dass man sich etwa sicher ist, dass einem beim Entschärfen einer Bombe in einer Baugrube keine zwei Kubikmeter Erde von hinten erschlagen. Im blödsten Fall setzt man sich eben nochmal in den Bagger und sichert die Baugrube durch Böschen oder Verbau.
Hat man Angst, wenn man vor einer Bombe sitzt?
Filips: Nein, aber Respekt. Wenn man vor einer Bombe sitzt und Angst hat, lässt man es besser. Sowas kommt auch vor. Das hat aber dann meist mit völlig anderen Dingen zu tun als mit der Bombe selbst. Wenn also irgendetwas vorgefallen ist, was einen beschäftigt, ein Todesfall im Bekanntenkreis oder ähnliches. Wir sind alle nur Menschen. Wenn ich mich auf die Technik nicht konzentrieren kann, lass ich die Finger davon. Das ist auch kein Problem. Niemand nennt einen in so einer Situation Lusche oder Feigling. Im Gegenteil. Man bekommt Respekt gezollt dafür, dass man den Arsch in der Hose hat, sowas zuzugeben. Falsches Heldentum ist bei uns absolut tödlich.
Der Zusammenhalt im Kommando ist sicherlich sehr wichtig.
Filips: Eine gut funktionierende Kameradschaft ist natürlich sehr wichtig. Wenn man in Situationen steckt, in denen es haarig wird, muss man einander blind vertrauen können. In Situationen, in denen man nebeneinander auf einer Bombe sitzt, entstehen häufig auch Freundschaften.
Sie haben Familie. Wie geht diese mit ihrem Beruf um?
Filips: Ich bin verheiratet, habe vier Kinder und drei Enkel. Ich unterhalte mich mit meiner Frau und meinen Kindern über meinen Beruf, wenn sie danach fragen. Und das ein oder andere Mal hat meine Frau auch Angst. Aber das hängt auch von Ihrer Tagesform ab. Ich mache es immer so, dass ich meine Frau anrufe, bevor ich zu einem Einsatz fahre. Danach rufe ich nochmal an und gebe Bescheid, dass alles gut lief.
Wie wird man eigentlich Sprengmeister?
Filips: Dabei handelt es sich um eine mehrjährige Ausbildung bei einer Kampfmittelräum-Firma mit Lehrgängen auf staatlich anerkannten Sprengschulen.
Wie häufig passiert etwas bei einem Einsatz?
Filips: Äußerst selten. Das zeigt uns, dass Munition eben nur zum Teil berechenbar ist. Ein Quäntchen Glück gehört natürlich auch immer dazu.
Die Diskussion ist geschlossen.