Eine Liebe aus der Kindheit
Mindelheim ist die Keimzelle der Krippen-Tradition in Schwaben. Dort steht eine der ältesten erhaltenen Krippen Bayerns. Olli Hirle sorgt dafür, dass sie jedes Jahr wieder aufgebaut wird
Mindelheim Es muss irgendwann während des Krieges gewesen sein, als Olli Hirle, damals noch ein junges Mädchen, zum ersten Mal die barocke Krippe in der Mindelheimer Jesuitenkirche sah. Der Moment sollte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Jahrzehnte später – aus dem Mädchen war längst eine erwachsene Frau geworden – war es Hirle, die sich wie keine andere dafür einsetzte, dass die mittlerweile in die Jahre gekommene Großkrippe nicht ganz zerfiel. Nach Ende des Krieges hatte man sie kaum noch in der Kirche aufgestellt.
In mühsamer Kleinstarbeit werden Puppen neu eingekleidet
In mühsamer Kleinstarbeit richtete die Mindelheimerin die Figuren wieder her, stopfte Löcher in den Gewändern und kleidete einzelne Puppen neu ein. Das war vor fast vierzig Jahren. Seither kümmert sich Hirle um Mindelheims älteste Krippe wie um ihr eigenes Kind. Jedes Jahr zu Weihnachten erweckt sie das beeindruckende Werk im Chor der festlich geschmückten Jesuitenkirche wieder zu neuem Leben – und führt damit einen Brauch fort, der in Mindelheim eine lange Tradition hat. Denn in dem mittelalterlichen Städtchen werden schon seit knapp 400 Jahren weihnachtliche Krippen aufgestellt. „Mindelheim gilt als Keimzelle der Krippentradition in Schwaben“, sagt Kunsthistorikerin Friederike Haber, die das städtische Krippenmuseum leitet.
Ihren Ursprung hat die Tradition in der besagten Jesuitenkirche. Dort ließ die katholische Ordensgemeinschaft an Weihnachten des Jahres 1618 die allererste Krippe in Mindelheim schnitzen. Sie gehört zu den ältesten erhaltenen Krippen in Bayern. Einzelne Figuren haben bis in die Gegenwart überlebt. Sie sind bis heute Teil der Krippe, die Ottilie Hirle, die alle nur „Olli“ nennen, seit Jahrzehnten jedes Jahr wieder zu Weihnachten in der alten Kirche am Unteren Tor errichtet.
Die Krippe, die das Weihnachtsgeschehen in die heimische Landschaft versetzt hat, zeigt neben den Heiligen Drei Königen und ihrem Gefolge, die orientalische Gewänder tragen, Mindelheimer Bürger und Bauern in original schwäbischer Tracht. Die eindrucksvolle Massenszene ist in der Adventszeit Publikumsmagnet in Mindelheim, weiß Kunsthistorikerin Haber. Zu jener Zeit, als die Jesuiten die erste Krippe in der Stadt errichteten, mussten sich die Menschen dagegen erst noch an die neue plastische Art der Darstellung gewöhnen.
„Für die Menschen nördlich der Alpen waren Krippen noch etwas vollkommen Neues“, sagt Haber. Mit den Jahren entwickelte sich jedoch ein lebhaftes Krippenbrauchtum in der Region, zuerst in den Kirchen und Klöstern, später auch in den Häusern der Bürger. „Es kam zu einer regelrechten Krippenwelle“, sagt Haber. Hunderten von Künstlern diente die Weihnachtsgeschichte fortan als neue Inspirationsquelle. Zahlreiche Mindelheimer Krippen zeugen bis heute von dieser Tradition.
Gelebtes Brauchtum, das nicht untergehen darf
Großer Beliebtheit erfreut sich zum Beispiel die Krippe des ehemaligen Heilig-Geist-Spitals, die ganzjährig in einer kleinen Passage in der Maximilianstraße 27 steht. Besondere Aufmerksamkeit erfährt sie freilich zur Weihnachtszeit, wenn Scharen von Kindern mit einer Zehn-Cent-Münze das mechanische Spielwerk zum Laufen bringen.
Für Olli Hirle (82) sind die Mindelheimer Krippen gelebtes Brauchtum, das nicht untergehen darf. „Ein Weihnachtsfest ohne meine Jesuitenkrippe kann ich mir gar nicht mehr vorstellen“, sagt sie. Aus einer Kindheitserinnerung ist eine Leidenschaft geworden.
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