Erfundene Vergewaltigung: "Ich hoffte immer, dass die Wahrheit siegt"
Ein Mann aus Sonthofen saß sieben Jahre im Gefängnis, weil ihn seine Tochter der Vergewaltigung beschuldigte. Jetzt, 17 Jahre später, gestand die Frau: Ich habe gelogen – aus Hass.
Es ist eine traurige Familiengeschichte, die da am Dienstag im Memminger Gerichtssaal ans Licht kommt. Sie handelt von einem Mann, der mehr als sieben Jahre seines Lebens verloren hat, weil er unschuldig im Gefängnis saß, einer mittlerweile verstorbenen Ex-Frau, die ihre Tochter gegen ihren Vater offensichtlich aufgehetzt hatte, und einem pubertierenden Mädchen, das an den zerrütteten Familienverhältnissen beinahe zerbrochen war.
1996 war der heute 62-Jährige wegen Vergewaltigung seiner Tochter verurteilt worden. Gestern nun hat das Landgericht Memmingen den Mann freigesprochen und ihm eine Entschädigung in noch nicht bekannter Höhe zugesprochen. Die mittlerweile 33 Jahre alte Frau hat zugegeben, die Vorwürfe von damals erfunden zu haben.
17 Jahre ist es her, dass der zweifache Familienvater vom Landgericht Kempten verurteilt worden war, weil er seine Tochter im Alter von neun und zehn Jahren dreimal zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben soll. Bis zum Schluss hatte er seine Unschuld beteuert. Weil das Gericht aber den Anschuldigungen der damals 16-jährigen Tochter glaubte, musste der Mann aus Sonthofen (Landkreis Oberallgäu) sieben Jahre unter Schwerverbrechern im Gefängnis in Straubing leben. Er verbüßte die Strafe komplett. Anschließend stand er fünf Jahre lang unter Führungsaufsicht mit strengen Auflagen.
Tochter selbst brachte Wiederaufnahme ins Rollen
Die Wiederaufnahme des Prozesses hatte die Tochter angestoßen. „Ich habe mich selbst nicht mehr leiden können“, sagt sie. Unter Tränen berichtet sie, wie es zu der Falschaussage gekommen war. Sie erzählt vom Streit der Eltern. Von ihrer Mutter, die den Vater nach der Scheidung sogar für ihre Krebserkrankung verantwortlich gemacht hat. „Der Hass auf meinen Vater wurde immer größer“, sagt die Tochter.
Wegen mehrerer Suizidversuche kam die Jugendliche schließlich in eine psychiatrische Klinik. Dort äußerte sie die Vorwürfe zum ersten Mal. Damals war bereits klar, dass ihre Mutter bald sterben würde. Zu ihrem Vater wollte sie nicht ziehen. Mit einer detailliert konstruierten Geschichte überzeugte das Mädchen Ermittler, Gutachter und schließlich auch das Gericht. Wenngleich sie „extreme Gewissensbisse“ gehabt habe, wollte sie von ihren falschen Anschuldigungen nach dem Urteil nicht zurücktreten, sagt die Frau heute. „Ich wollte nicht als Lügnerin dastehen.“
Prozess in Memmingen: Tochter erfand Vergewaltigung
Erst als 2009 ihre erste Tochter geboren wurde und ihre Ehe kaputt zu gehen drohte, vertraute sich die mittlerweile dreifache Mutter ihrem Mann an. Sie entschied sich, reinen Tisch zu machen. „Wir zollen Ihnen Respekt, dass Sie diesen Weg gegangen sind“, sagt die Vorsitzende Richterin Brigitte Grenzstein. Wegen ihrer Falschaussage kann die 33-Jährige nicht mehr bestraft werden, die Tat ist verjährt.
Dem Verteidiger des Vaters, Johann Schwenn aus Hamburg, ist kein ähnlicher Fall bekannt, in dem die einstige Nebenklägerin ein solches Wiederaufnahmeverfahren angestoßen hat. Rechtsanwalt Schwenn hat unter anderem den Wettermoderator Jörg Kachelmann vertreten, als dieser wegen einer angeblichen Vergewaltigung vor Gericht stand.
Der Mann kämpft mit den Tränen
Sein Mandant kämpft mit den Tränen, als er von seinem Recht des letzten Wortes Gebrauch macht: „Ich bin froh, dass ich immer daran geglaubt habe, dass die Wahrheit siegen wird“, sagt er. Das Urteil nimmt er mit einem leichten Kopfnicken entgegen. „Die verlorenen Jahre können wir Ihnen nicht zurückgeben“, sagt die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. „Wir geben Ihnen Ihre Ehre zurück.“ Nach dem Prozess will der Oberallgäuer nicht viel sagen – „es ist zu traurig“. Aber er hoffe, dass er zu seiner Tochter wieder ein normales Verhältnis aufbauen könne.
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