„Es geht nicht um den Zeitgeist“
Der Augsburger Regionalbischof Michael Grabow erklärt, warum es richtig ist, dass die evangelische Kirche Homosexuelle in Pfarrhäusern zusammenleben lässt. Eine Erwiderung
Vor wenigen Tagen hat sich das Oberhaupt des ältesten evangelischen Adelsgeschlechts in Bayern, Albrecht Fürst zu Castell-Castell (85), in unserer Zeitung mit deutlichen Worten gegen schwule oder lesbische Paare in evangelischen Pfarrhäusern ausgesprochen. Jetzt erklärt der Regionalbischof des Kirchenkreises Augsburg-Schwaben, Michael Grabow (57), warum er als Mitglied des Landeskirchenrats ebenso wie der Landesbischof und die Landessynode für diese Regelung ist.
Haben Sie Verständnis für die Haltung des Fürsten Castell, der nicht begreifen und akzeptieren will, dass schwule und lesbische Paare in evangelischen Pfarrhäusern zusammenleben dürfen?
Grabow: Der Fürst ist im Glauben tief verwurzelt und ich schätze es, wie viele Gedanken und Sorgen er sich um seine Kirche macht. Da kann ich verstehen, wenn er sagt, wie’s ihm ums Herz ist. Seine Meinung achte ich sehr, auch wenn ich sie an diesem Punkt nicht teile.
Wie steht es um Akzeptanz und Ablehnung in der evangelischen Kirche in der Frage einer homosexuellen Partnerschaft im Pfarrhaus?
Grabow: Meine Wahrnehmung ist, dass der Beschluss des Landeskirchenrates, den die Landessynode in Neu-Ulm im vergangenen November zur Kenntnis genommen hat, doch von einer großen Mehrheit getragen wird. Viele evangelische Christen sind derselben Ansicht wie die Leitungsgremien. Für den Kirchenkreis Augsburg-Schwaben kann ich sagen, dass es nur sehr wenige negative Reaktionen gegeben hat. Die Briefe, die ich bekommen habe, kann man an einer Hand abzählen: es waren genau fünf. Allen Verfassern habe ich schriftlich ausführlich geantwortet und zusätzlich mehrere Einzelgespräche geführt, die von gegenseitigem Verständnis geprägt waren – auch wenn die Meinungen nicht zur Deckung gekommen sind. Man muss auch unterschiedliche Meinungen gelten lassen können und sich trotzdem im Christsein achten.
Ein Hauptvorwurf ist, dass sich die evangelische Kirche zum Leitbild der Ehe von Mann und Frau bekennt, mit ihrer Entscheidung aber etwas anderes vorlebt. Alles ist möglich, lautet gewissermaßen die Botschaft. Ist die Kirche da ehrlich? Hechelt sie da nicht bloß dem Zeitgeist hinterher?
Grabow: Der Vorwurf wird immer wieder erhoben. Er ist falsch. Das Leitbild von Ehe und Familie ist für uns nach wie vor bindend, wir halten es hoch. Wenn es um das Zusammenleben homosexuell orientierter Pfarrer und Pfarrerinnen mit ihren in einer Lebensgemeinschaft eingetragenen Partnern geht, und nur um die geht es, dann sind das doch Einzelfallentscheidungen. Entscheidungen, die auch nur dann zustande kommen, wenn der Friede in der Kirchengemeinde gewahrt bleibt. Der Kirchenvorstand vor Ort, der Dekan, der Regionalbischof und der Landeskirchenrat müssen dem einhellig zustimmen. Unserem Leitbild von Ehe und Familie widerspricht dies nicht. Die Gesellschaft, unsere Erkenntnis hat sich verändert. Mit dem Einfangen des Zeitgeistes hat das nichts zu tun. Es hat mit Menschenwürde zu tun und mit einem tiefen Respekt für diese Personen.
Dann verstößt die Kirche auch nicht gegen die Heilige Schrift?
Grabow: Nein. In der Tat wendet sich die Bibel zwar mit einigen wenigen Stellen – zwei im Alten und zwei im Neuen Testament – explizit gegen Homosexualität. Es ging bei diesem Nebenthema der Bibel – und nichts anderes ist es – darum, dass sich das Volk Gottes von anderen Kulturen und deren religiöser Praxis abheben sollte. Das ist aber ein ganz anderer Hintergrund, als wir ihn heute haben. Jesus selbst hat im Übrigen dazu gar nichts gesagt. Komischerweise hört man von den Kritikern nichts dazu, dass es Bibelstellen gibt, in denen die Sklaverei oder die Polygamie legitimiert wird. Das wird auch kein Mensch heute mehr ernsthaft vertreten wollen. Warum dann die Konzentration auf das Thema Homosexualität?
Was spricht gegen ein homosexuelles Paar im Pfarrhaus?
Grabow: Es würde dann etwas dagegen sprechen, wenn unser Leitbild von Ehe und Familie nicht gelebt oder geachtet würde. Dies ist aber nicht der Fall. Denn auch gleichgeschlechtlich orientierte Pfarrer sind verpflichtet, es zu vertreten. Schauen Sie: auch allein lebende heterosexuelle Pfarrer oder Pfarrerinnen stehen dennoch für Ehe und Familie. Sie beraten Paare und taufen. Das spricht ihnen wegen ihres Single-Daseins doch auch niemand ab.
Warum war dann die Landeskirche noch vor wenigen Jahren selbst gegen eine schwule oder lesbische Gemeinschaft im Pfarrhaus?
Grabow: Damals gab es noch keine eingetragenen Lebenspartnerschaften. Und das ist ja die Voraussetzung, dass ein Zusammenleben im Pfarrhaus überhaupt möglich ist. Ein Hauptgrund war auch die Sorge, dass in den Gemeinden Unfrieden entstehen könnte. Diese Befürchtung hat sich als unbegründet erwiesen. Es ist niemandem gedient, wenn ein Pfarrer außerhalb des Pfarrhauses heimlich intime Kontakte pflegt. Im Gegenteil: Die Gemeinde bekommt das über kurz oder lang mit, Gerüchten sind Tür und Tor geöffnet. Diese Geheimniskrämerei wäre alles andere als hilfreich. Und sie ist niemandem zuzumuten. Das Leben ist bunter, vielfältiger, als manche das wahrhaben wollen. Wir als Evangelisch-Lutherische Kirche wollen damit ehrlich und transparent umgehen.
Woher rühren die Ängste der Kritiker?
Grabow: Vielleicht von einem schrillen Bild der Homosexualität, das beispielsweise in Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day vermittelt wird.
Wann wird es so weit sein, dass die evangelische Kirche gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in ihren Gotteshäusern den Segen gibt?
Grabow: Das wird bei uns im Augenblick nicht diskutiert. Unsere Beschlusslage ist da eindeutig. Interview: Till Hofmann
Die Diskussion ist geschlossen.