Fünfmal Jakobsweg, einmal Rom: Die Sehnsucht nach der Stille
Der Kemptener Arne Schmidt ist schon fünf Mal auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela gelaufen. Jetzt ist Rom das nächste Ziel. Nur, warum tut man sich das an?
Es sei eine Art Sehnsucht nach Freiheit, sagt Arne Schmidt. Oder doch besser der Wunsch, ein gestecktes Ziel zu erreichen? Vielleicht, gibt der Allgäuer zu, stecke dahinter auch eine Art Sucht, unbedingt gewisse Gefühle zu spüren. Jene der Erschöpfung und des Schmerzes beispielsweise. Oder, am Ende des Ziels, das Gefühl des vollkommenen Glücks.
Pilgern ist Arne Schmidts Leidenschaft
Es ist für ihn nicht einfach zu erklären, weshalb er dem Pilgern verfallen ist und schon fünfmal den Jakobsweg nach Santiago de Compostela gelaufen ist. In den nächsten Tagen macht er sich erneut zu Fuß auf einen langen Weg: Der über 70-Jährige will nach Rom. Dann ist er erneut gefangen in dieser Welt: keine Menschen weit und breit; kein Autolärm; kein Termindruck; kein Telefonat, das es zu führen gilt. Meistens nur Stille.
Arne Schmidt, der pensionierte Maschinenbauingenieur, ist ein Wanderer, der regelmäßig zu Hause in Kempten seinen Rucksack packt und hinausgeht in die Welt. Für Wochen, auch für Monate. Acht Touren hat er hinter sich, nun nimmt er mit Ziel Rom die neunte in Angriff. Schon fünfmal ist er nach Santiago de Compostela gelaufen, den Weg der Pilger.
Arne Schmidt pilgert nicht aus religiösen Gründen
Ein Blick auf einen seiner Ausflüge zu Fuß: Arne Schmidt ist wie immer früh aufgestanden. Die Sonne gibt ihm allmählich Licht und klare Sicht. Eine Erleuchtung gar? Schmidt bekennt, dass er kein übermäßig religiöser Mensch sei. Gewiss glaube er an etwas, das man Gott nennen könne. Aber ein Pilger aus spirituellen Gründen, der mit dem Erreichen des Ziels in Santiago auch Erleuchtung sucht, sei er nicht. 1000 Kilometer zu Fuß liegen vor ihm, von Sevilla nach Santiago. Sieben Wochen lang läuft er. Tagein, tagaus. Und er erlebt Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge.
Vor elf Jahren hat er mit dieser ganz eigenen Art der Entspannung begonnen und den Jakobsweg vom französischen Pau nach Santiago zurückgelegt. Später auch die anspruchsvollere Strecke entlang der Küste über San Sebastian, Bilbao und Santander. Es hat ihn immer wieder hinaus in die Welt gezogen. Dieser regelmäßige Drang, den Rucksack zu packen, ja, meint Arne Schmidt, das könne man durchaus als eine Sucht bezeichnen. Eine allerdings, die ihm nicht schadet. Im Gegenteil. Sie mache den Kopf frei. Sie schenke ihm klare Gedanken. „Sie macht mich insgesamt zufriedener“, sagt der Kemptener.
Auf dünnen Matratzen schlafen, während der Nachbar schnarcht
Auf der anderen Seite: Kann es wirklich gesund sein, so lange zu Fuß unterwegs zu sein?
Immerhin ist der Mensch moderner Prägung nicht ausgerichtet darauf, den ganzen Tag zu laufen. Oder nachts auf dünnen Matratzen zu schlafen, in Nachtlagern, in denen 30 Männer und Frauen um die Wette schnarchen. „Na ja“, sagt Schmidt und schmunzelt, „ohne Ohropax gehe ich nicht mehr auf Pilgerschaft.“ Blasen an wunden Füßen gehören ebenfalls zum Pilgerleben.
Oder diese Beobachtung: Arne Schmidt muss sich auf seiner siebenwöchigen Wanderschaft kaum die Fingernägel schneiden, weshalb er vermutet: „Das produzierte Kalzium geht bei der Anstrengung direkt in die Knochen und nicht in die Fingernägel.“
Steht also über allem die Frage nach dem Weshalb. Schmidt versucht sie erneut zu beantworten: „Wir schlüpfen alle in Rollen und müssen funktionieren.“ Der Pilger hingegen sei auf sich alleine gestellt. Einziger Partner ist die Natur. „Ein völlig neues Gefühl“, sagt Schmidt. „Das möchte ich nicht mehr missen.“ Diese Zwiesprache mit sich selbst, die auch Fragen aufwirft, wie: „Habe ich mich in meinem Leben immer richtig verhalten?“ „Bin ich auf dem richtigen Weg?“ „Was ändere ich nach der Pilgerreise?“
Der Blick in den Spiegel sei nicht immer einfach, gesteht der ehemalige Ingenieur. Wer zu große Probleme hat mit dieser Einsamkeit, könne aber auch Anschluss suchen. Der Pilger muss nicht alleine sein. Viele Gleichgesinnte sind unterwegs, spätestens seit Hape Kerkeling seine Erfahrungen auf dem Camino France im Buch „Ich bin dann mal weg“ geschildert hat.
Diese Strecke wäre nichts für einen wie Arne Schmidt, der lieber die Stille sucht. Und die Herausforderung. „Natürlich bin ich am Ende stolz auf mich“, sagt er. Sich ein (körperliches) Ziel zu setzen und dieses nach sieben Wochen zu erreichen, gebe allem erst den richtigen Sinn. Deshalb wird er sich in den kommenden Tagen auch wieder auf den Weg nach Rom machen.
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