Geistig behinderter 15-Jähriger wurde fast obdachlos
Ein geistig behinderter Jugendlicher durfte wegen seiner Aggressivität nicht in einer Wohngruppe des Dominikus-Ringeisen-Werks bleiben. Für den 15-Jährigen begann so eine Odyssee.
Mehr als 40 Einrichtungen hat Frieder Alberth auf der Suche nach einem Wohnplatz für den 15-jährigen, geistig behinderten Daniel R. (Name geändert) kontaktiert – monatelang vergebens. Eine Wohngruppe des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) in Günzburg nahm ihn schließlich für einen Monat auf.
Danach setzte sie ihn am 9. Februar aber praktisch „auf die Straße – obwohl ich endlich eine andere Einrichtung gefunden hatte. Die wollte Daniel R. Anfang März aufnehmen. Es ging um ganze vier Wochen“, so Alberth. Nur der Einsatz seiner Familie habe den behinderten Jugendlichen schließlich vor der Obdachlosigkeit bewahrt.
Wegen seiner Behinderungen braucht der minderbegabte, leicht autistische Jugendliche eine 1:1-Betreuung. Ständig muss ein Mitarbeiter in seiner Nähe sein. Denn er wird manchmal aggressiv, randaliert und greift andere an. Daher können ihn nur spezialisierte Einrichtungen angemessen betreuen, so Alberth, der – vom Gericht bestellt – als „Ergänzungspfleger“ weitgehend die Aufgaben eines Vormundes wahrnimmt. „Als ich Daniel gegen Abend in die Wohngruppe bringen wollte, wurde uns der Zutritt verweigert“, so Alberth.
„Es war eindeutig ausgemacht, bis wann Daniel R. in unserer Wohngruppe bleiben konnte. Danach wurde er in die Hände des Sorgeberechtigten übergeben“, begründete Reinhard Gugenberger vom DRW sein Vorgehen. Ihm sei bekannt gewesen, dass Daniel unbedingt an ein geeignetes Heim übergeben werden musste. Dieses zu finden, sei Sache des Bezirks Schwaben gewesen, der auch die Kosten zu tragen hat.
Schwere Vorwürfe gegen das Dominikus-Ringeisen-Werk
Beim Bezirk, von dem sich Alberth Hilfe erhoffte, war in den Abendstunden niemand erreichbar. Auch bei der Polizeiinspektion Günzburg konnte man ihm nicht helfen. Ein Notfall-Mitarbeiter des Jugendamts Günzburg suchte drei Stunden nach einem freien Platz in einem Heim, konnte aber auch keinen finden.
Notgedrungen nahm Alberth Daniel mit in seine Wohnung in Augsburg. Eine Tochter räumte ihr Zimmer, in dem Daniel einquartiert wurde. Die Familie stellte sicher, dass rund um die Uhr jemand da war, der den 15-Jährigen beaufsichtigte. Nach einigen Tagen und zahllosen Telefonaten fand Alberth eine private Pflegestation in Althegnenberg (Kreis Fürstenfeldbruck), die bereit war, den Jugendlichen vorübergehend aufzunehmen.
„Einen schwierigen Jugendlichen wie Daniel in meinem Haus zu betreuen – das geht nicht. Er muss von Fachkräften betreut werden, nicht von meiner damit überforderten Familie“, so Alberth. Er fragt sich, warum eine große, auf Menschen mit geistigen Behinderungen spezialisierte Einrichtung wie das Dominikus-Ringeisen-Werk keine Möglichkeiten hat, sich um schwierige Bewohner fachgerecht zu kümmern. Abgesehen davon sei es ein Skandal, dass der Leiter der Wohngruppe Daniel einfach auf die Straße gesetzt habe. Das Günzburger Jugendamt habe sich bemüht, zu helfen.
„Aber wir haben trotz intensiver Suche weder eine Einrichtung noch Bereitschaftspfleger gefunden. Unsere Aufgabe sind Hilfen für Jugendliche in Familien oder auf der Straße, nicht aber für Heimbewohner mit schweren Behinderungen. Dieser Bereich ist nicht geregelt“, sagte die Leiterin des Kreisjugendamtes, Antonia Wieland.
Für Jugendliche wie Daniel R. gibt es eine Lücke bei der Betreuung
Die zuständige Sachbearbeiterin beim Bezirk habe sich im Vorfeld zwar sehr um neuen einen Heimplatz bemüht, sagt Alberth. Doch für Notfälle außerhalb der Bürozeiten fehlt auch dort eine Anlaufstelle, die bei drohender Obdachlosigkeit eine Unterbringung sicherstellt.
„Für behinderte Menschen ist – anders als in der Jugendhilfe – eine sogenannte Inobhutnahme gesetzlich nicht vorgesehen. Für die sehr seltenen Probleme wie bei Daniel R. besteht aber tatsächlich eine Lücke“, bestätigt auch Gertrud Kreutmayr, die Leiterin der Sozialverwaltung des Bezirks Schwaben. Mittlerweile lebt Daniel R. in der „Camphill Schulgemeinschaft“ nahe des Bodensees. „Dort hat er seine Probezeit bestanden und fühlt sich wohl“, schildert Alberth das versöhnliche Ende. "Kommentar
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