Münchens Mega-Magnet: Hinter den Kulissen der Allianz Arena
Seit zehn Jahren gibt es im Norden der Landeshauptstadt ein unverwechselbares Stadion. Und selbst wenn kein Fußball-Spiel ansteht, kommen fast 3000 Menschen täglich.
Eigentlich braucht Richard Ponteles eine Brille. Zumindest für die Weite. Denn als vor etwa zwei Jahren ein Mann die Tür zum Technikraum öffnete, erkannte der Teamleiter Gebäudetechnik ihn nicht. Und die Frage, die der Mann stellte, verstand er auch nicht: „Wo geht’s denn hier zum Aquarium?“ Was sollte das denn? War der Mensch von Sinnen? Verwechselte er die Allianz-Arena mit einem Meeresmuseum?
Und überhaupt: Jetzt, da der FC Bayern München sich im Stadion gerade einmal wieder mühte, den Rasensport zur Fußballkunst zu erheben, da hatte Ponteles in der Leitwarte definitiv anderes zu tun, als nach einem vermeintlichen „Aquarium“ Ausschau zu halten. Der Teamleiter näherte sich dem Fragesteller. Und auf einmal wurde ihm klar, wer da vor ihm stand. Es war Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende der FC Bayern München AG. Als „Aquarium“ bezeichnete Rummenigge den Ehrengastbereich.
Gelandet war der Fußball-Boss irgendwann in der Großküche. Er und sein Tross hatten wohl die falsche Abzweigung genommen. Dem Mann, der sich für einen Moment im eigenen Stadion verirrt hatte, konnte geholfen werden.
Wer orientiert sein will und sich nicht permanent in der Allianz-Arena auf einer der acht Ebenen aufhält, tut gut daran, eine Führung zu buchen, die angeboten wird. In Spitzenzeiten starten am Tag bis zu 120 Arena-Touren im 15-Minuten-Takt. 3000 Gäste sehen sich dann an Nichtspieltagen das Stadion an. Das Gefühl, schnell durchgeschleust zu werden, hat wegen der Weitläufigkeit dennoch niemand.
Der „Flaschenhals“ ist der Kabinentrakt. Denn natürlich will jeder dort stehen, wo sich Bastian Schweinsteiger den Schweiß von der Stirn wischt, wo Kapitän Philipp Lahm die Seinen auf die bevorstehende Aufgabe einschwört und wo Trainer Pep Guardiola in der Halbzeitpause mit Videosequenzen der vergangenen 45 Minuten analysiert, was man besser machen sollte.
Die meisten Gäste wollen die FC Bayern-Kabine sehen. Die der Löwen ist schöner, findet der Guide
„Was wollen Sie sehen – die Bayern- oder die 60er-Kabine?“, fragt Peter Hilpert. Er ist einer von rund 100 Guides, die kenntnisreich durch das vor zehn Jahren fertiggestellte Stadion führen, das weit mehr ist als eine Fußballarena. Er nimmt die Besucher mit ins Stadioninnere und erklärt, dass seit dieser Saison die Sitzplatzkapazität auf 75.000 aufgestockt worden ist. Er zeigt nach unten auf den Rasen, der beständiger sei als noch vor einem Jahr. Möglich soll dies die Mischung aus Naturgras (97 Prozent) und Kunstgras (drei Prozent) machen.
Also – noch einmal die Frage, die jeder „Guide“ stellt: Wohin soll’s gehen – in die Bayern-Kabine oder dorthin, wo sich die Münchner Löwen umziehen? Die Antwort ist bereits klar, bevor die Frage so richtig zu Ende formuliert ist: „Bayern“, murmelt die Menge. Die „Roten“ machen so gut wie immer das Rennen.
Peter Hilpert zeigt sich vergangenen Mittwoch in Geberlaune und präsentiert den Gästen beide Kabinen. Die des TSV 1860 München gefällt ihm persönlich besser. Dort stehen auf den blauen Spinden keine Porträtfotos der Spieler, wie sie im Bayern-Trakt zu sehen sind – nur wegen der Gäste, die dann wissen, wer sich wo die Fußballschuhe schnürt. Im Umkleideraum der Löwen hängen Bilder, die von der ruhmreichen Zeit des Traditionsvereins künden.
Nur eine Aufnahme stammt aus dem Olympiastadion. Zu sehen ist darauf die Anzeigetafel mit einem 5:1 der „Sechzger“ gegen den FC St. Pauli. Davor hing an dieser Stelle ein Foto mit dem Ergebnis einer anderen Partie: ein 4:2 gegen den inzwischen Lichtjahre enteilten Stadtrivalen Bayern München. Das mussten die Löwen, die seit neun Jahren nur noch Mieter und nicht mehr gleichberechtigte Miteigentümer der Arena sind, entfernen.
Elf Millionen Euro hat der klamme Klub, der am Sonntag schon in der Drittklassigkeit landen könnte, damals erhalten. Genützt hat es nichts. Die meisten Löwen-Fans haben sich in der „Arroganzarena“ im Münchner Norden, wie mancher spottet, nie heimisch gefühlt. Kosten für Miete und Catering belasten die Kasse der „Blauen“, während von Bayern-Seite naserümpfend angemerkt wird, dass der einstige Partner aber auch gar nichts zur Finanzierung beigetragen hat. Gedacht war das freilich anders.
Einen Streit darüber gibt es nicht mehr. Offenbar ist aber insbesondere der Mieter darauf aus, dass sich die Wege trennen. Und der Vermieter hätte dann endlich die Möglichkeit, seine Spielstätte im passenden „Outfit“ zu präsentieren. Keine langweiligen grauen Sitze mehr. Die überdimensional großen Fotos der Fußballer des FC Bayern müssten nicht abgehängt werden, weil ein anderer Verein im Stadion kickt. Und auch die Fassade, bestehend aus 2760 rautenförmigen Luftkissen aus extrem widerstandsfähigem Fluorpolymergewebe, müsste nie mehr mit – neuerdings – energiesparenden LED-Leuchten in ein blaues Licht getaucht werden.
Jürgen Muth ist Geschäftsführer der Allianz-Arena München Stadion GmbH (MSG). Das ist eine 100-prozentige Tochter der FC Bayern München AG. Was die Zukunft der Stadionnutzung anbelangt, gibt er sich neutral. „Die Arena ist grundsätzlich für zwei Vereine konzipiert“, sagt er. „Gleichwohl befinden wir uns in Gesprächen mit dem TSV 1860 München, wie es weitergehen soll.“
Zum Stand der Dinge kann oder will Muth nichts sagen. Zur einzigartigen Erfolgsgeschichte schon: „Der FC Bayern hätte sich niemals träumen lassen, dass er neuneinhalb Jahre nach der Stadioneröffnung schuldenfrei ist.“ Dazu trägt die gewachsene Attraktivität der Marke FC Bayern bei. An ein Ticket zu kommen, hat entweder mit viel Glück oder guten Beziehungen zu tun. Nur eine Bundesligapartie der Bayern – ein 0:0 gegen den VfL Bochum am 30. Januar 2007 – war nicht ausverkauft.
Finanziell mehr ins Gewicht fallen die 106 Logen, die jeder Mieter individuell gestalten kann. Die Kosten belaufen sich pro Jahr und abhängig von Lage und Größe zwischen 110.000 und 350.000 Euro. Und selbst dort ist für Interessenten die Chance relativ gering, viel Geld loszuwerden. Mehr als 90 Prozent der Kunden wollen ihren exklusiven Platz, den sie rund um die Uhr nutzen können, über 2015 hinaus für weitere fünf Jahre behalten. 10 Jahre Allianz Arena: Wer kennt sich aus?
Auch die Bayern-Spieler schwärmen von der Allianz-Arena
Die gesamte Infrastruktur (9800 Parkplätze außerhalb des Stadions, 550 WC-Anlagen, 28 Kioske) ist darauf ausgerichtet, lange Besucherschlangen zu vermeiden. Einer der größten Trümpfe ist die gute Sicht und die unmittelbare Nähe zum Spielfeld. „Es ist eine ganz andere Welt als im Olympiastadion“, sagt Claudio Pizarro – einer der wenigen Akteure aus dem aktuellen Kader, der schon in beiden Fußballstadien gespielt hat. „Die Fans sind super nah an einem dran.“
Von „großartigen Einrichtungen“ schwärmt Xabi Alonso nach der Niederlage gegen den FC Augsburg an seinem Smartphone nestelnd. Thomas Müller denkt heimatlich: „Hier sind wir zu Hause. Hier fühlen wir uns wohl.“ Und der spanische Coach Guardiola zieht seine Augenbrauen hoch und verteilt ebenfalls eine Bestnote: „Einfach schön“, sagt er.
Das 472. Spiel wird am Samstag in dem zehn Jahre alten Stadion bestritten: Bayern gegen Mainz. Für MSG-Geschäftsführer Muth ist es bei aller Routine noch immer etwas Besonderes.
Richard Ponteles ist stolz darauf, hier zu arbeiten. Alles im Blick zu haben wie Temperatur, Lüftung, Beleuchtung, und Fehler schnell und zuverlässig zu beheben, das hat für ihn und seine achtköpfige Mannschaft „mit Verantwortung“ zu tun. Auf das Team hinter dem Rasenteam sollen sich die Menschen in der Allianz-Arena verlassen können – und natürlich auch die Besucher des Aquariums.
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