NSU-Trio wollte "deutsche Waffe"
Der mitangeklagte Carsten S. sagte im NSU-Prozess aus. Er berichtet, wie er als Schwuler in die rechte Szene geriet und schließlich wieder ausstieg.
Als Carsten S. in den Schwurgerichtssaal kommt, wirkt er schüchtern und nervös. Ganz anders als Beate Zschäpe, die nicht einmal einen Meter von ihm entfernt in der Anklagebank vor ihm sitzt, den schmächtigen 33-Jährigen aber während der gesamten Sitzung keines Blickes würdigt. Zschäpe wirkt auch am fünften Prozesstag des sich zunächst erneut über Stunden träge dahinschleppenden Verfahrens extrem entspannt. Während der Sitzungspausen plaudert sie sogar mit Justizbeamten. Carsten S., selbst angeklagt wegen Beihilfe zum Mord, sitzt dagegen in sich gesunken und mit meist verschränkten Armen auf seinem Stuhl. Solange die Fotografen noch im Saal sind, trägt S. zudem eine Jacke mit riesiger Kapuze. Der Ex-Neonazi, der bereits im Jahr 2000 der rechten Szene den Rücken gekehrt hatte, will damit nicht den Blicken der Angehörigen der Mordopfer ausweichen. Er ist inzwischen in einem Zeugenschutzprogramm – wozu auch gehört, dass er auf öffentlichen Fotos nicht erkannt werden darf.
Sechs Stunden Verzögerung durch Anträge der Verteidiger
Vor allem aber ist S. im NSU-Prozess einer der Hauptbelastungszeugen der Bundesanwaltschaft gegen die Angeklagte Zschäpe. Noch als Teenager war er nämlich sehr nah dran an der rechten Szene in Thüringen und an der Terrorzelle NSU. Und anders als Zschäpe will S. aussagen – zu seiner Verwicklung in die insgesamt zehn Morde des NSU-Terror-Trios, die offenbar vor allem darin bestand, dass er – wohl auch befeuert von einer Verliebtheit in Zschäpes Kumpanen Uwe Böhnhardt – für die Bande die Tatwaffe vom Typ „Ceska“ mit Schalldämpfer besorgte. Und zur Rolle der Angeklagten Zschäpe, die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft eine Art Geschäftsführerin des NSU war, die für ihre mordenden Kumpels Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos das Leben im Untergrund organisierte.
Mehr als sechs Stunden muss S. an diesem Dienstag jedoch auf seine Aussage vor Gericht warten. Denn die Verteidiger von Zschäpe fordern zum wiederholten Mal die Einstellung des Verfahrens – unter anderem wegen einer vermeintlichen „Vorverurteilung“ Zschäpes durch staatliche Organe und Politiker, die nach Ansicht der Verteidiger ein faires Verfahren unmöglich macht.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl lehnt diesen Antrag nach zähem Ringen ebenso ab wie einen Vorstoß der Nebenklage, die einen formalen Ausschluss von möglichen Prozessbeobachtern des Bundeskriminalamts oder des Verfassungsschutzes fordert. Götzl scheint trotz dieser erneuten Störfeuer entschlossen, endlich zur Sache zu kommen. Und so darf Carsten S. kurz vor 16 Uhr endlich das Wort ergreifen.
Er berichtet von einer unglücklichen Kindheit mit einem strengen Vater und einer psychotischen Mutter. Wie er als Jugendlicher in Jena seine Homosexualität entdeckte - und zuerst verdrängte. Wie er sich in einen Neonazi verknallte und so in die rechte Szene kam. Wie ihm eine Neonazi-Demo im März 1997 gegen die Wehrmachtsausstellung in München „sehr imponierte“. Wie er zum Chef der „Jungen Nationaldemokraten“, der Nachwuchs-Organisation der NPD in Jena, wurde und rund vier Jahre aktiv war. Wie er sich Ende 2000 von der Szene wieder entfernte, weil er merkte, dass er als Schwuler dort nie Anerkennung finden würde: „Mir wurde klar, das sind nicht meine Leute, da muss ich raus“, erklärt er.
Ein anonymes Handy für die untergetauchten Terroristen
Ende 1997 will S. erstmals Kontakt zu Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gehabt haben. Gemeinsame Demos, gemeinsame Treffen. Einige Zeit später sei er dann vom mitangeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben angesprochen worden, ob er dem inzwischen untergetauchten Trio helfen könne.
Erste geheime Telefonkontakte folgen. Er besorgt dem Trio ein anonymes Handy, stiehlt ein Motorrad. Ende 1998 steigt er auf Anweisung von Böhnhardt und Mundlos in die alte Wohnung der untergetauchten Beate Zschäpe ein, holt Akten und Ausweispapiere, die sie gemeinsam vernichten. „Warum und weshalb, das hab’ ich nie kapiert“, sagt S.
„Das Nächste war dann der Wunsch nach der Waffe“, erzählt S. Den Wunsch „der beiden Uwes“ habe er an Wohlleben weitergegeben, der den Kontakt zum Waffenlieferanten herstellt.
Eine „deutsche Waffe“ habe das Trio haben wollen, es habe aber nur die tschechische „Ceska“ gegeben – inklusive Schalldämpfer und Munition. Die habe er dann wohl im März oder April 2000 an das NSU-Trio nach Chemnitz geliefert. Auch Beate Zschäpe sei zumindest zeitweise bei der Übergabe dabei gewesen. Ob er damals darüber nachgedacht habe, wofür die Waffe nötig war, fragt Richter Götzl. Carsten S. verneint. Ein „gutes Gefühl“ habe er aber gehabt, sagt er nur. Die drei seien „in Ordnung“ gewesen. Er habe damals geglaubt, dem untergetauchten Trio helfen zu müssen.
Heute soll die Vernehmung von Carsten S. fortgesetzt werden. Auch der ebenfalls als NSU-Helfer angeklagte Holger G. hat bereits angekündigt, aussagen zu wollen.
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