Prinzregent Luitpold: Das Ende der guten alten Zeit in Bayern
Luitpolds Tod bedeutete den Abschied von einer Epoche, die bis heute als eine der glücklichsten in Bayern gilt.
Steine fliegen gegen die Kutsche, als sich der Prinzregent nach der Machtübernahme im Juni 1886 aus der Münchner Residenz traut. Der 65-jährige Luitpold, unauffällig wie meist gekleidet im schwarzen Gehrock mit Zylinder, nimmt es hin. Er ist sich bewusst, dass noch nie ein bayerischer Monarch so verhasst war; allenfalls sein Vater, König Ludwig I., als er während der stürmischen Märzrevolution 1848 wegen seiner Geliebten Lola Montez abdanken musste. Die protestierenden Münchner sind geschockt über den mysteriösen Tod von König Ludwig II. im Starnberger See. Und auch Luitpold ist es: „Man wird sagen, ich sei der Mörder“, sagt er seinem engen Künstlerfreund Ferdinand von Miller, kurz nachdem er die Todesnachricht erfahren hat.
Ein bayerisches Schicksalsdatum und ein goldenes Zeitalter
Zeit seines Lebens arbeitet Luitpold von nun an daran, die Gunst der Bayern wiederzuerlangen. Mit Erfolg. Quer durch alle Bevölkerungsschichten wird er später als der zu Lebzeiten beliebteste Monarch in Bayerns Geschichte eingehen. Die Krise des Hauses Wittelsbach wird nach einem Vierteljahrhundert fast vergessen sein, als Zehntausende aus ganz Bayern den Trauerzug für Luitpold verfolgen. Der Regent hat sich im hohen Alter von 91 Jahren nicht mehr von einer Grippe und Lungenentzündung erholt.
Sein Todestag, der 12.12.12, geht als bayerisches Schicksalsdatum in die Geschichte ein. Das Ende der „Guten alten Zeit“. Es ist nicht nur Verklärung, sondern der Kontrast zu den folgenden düsteren Jahrzehnten zweier Weltkriege, welche die „Prinzregentenzeit“ auch 100 Jahre nach Luitpolds Tod als eine der glücklichsten Zeiten und goldene Epoche Bayerns erscheinen lassen.
Die Machtübernahme und ihr größtes Geheimnis
Luitpold übernimmt am 10. Juni 1886 drei Tage vor Ludwigs Tod die Regentschaft, kurz nachdem er der Entmündigung seines 40-jährigen Neffen zugestimmt hat. Er gibt dem Drängen des von Ludwig ernannten Ministerpräsidenten Johann von Lutz nach, den König mit einem Gutachten des Münchner Psychiaters Bernhard von Gudden für geisteskrank zu erklären und abzusetzen. Die liberale, dem noch jungen Deutschen Reich positiv zugewandte Regierung von Lutz hat zuvor lange die politischen Freiheiten genutzt, als König Ludwig in eine Fantasiewelt flüchtete. Doch die rasant wachsenden Schulden für den Schlösserbau führen zum Bruch. Als die Minister neue Staatsbürgschaften verweigern, droht Ludwig mit Entlassung der Regierung und will der erzkonservativen, reichskritischen Opposition die Macht übergeben. Doch auch das Haus Wittelsbach fürchtet den Bankrott durch Ludwig. Nach anfänglichem Widerstreben, den „von Gottes Gnaden bestimmten König“ abzusetzen, besiegelt Luitpold dessen Schicksal.
Ob er die Antworten des größten bayerischen Geheimnisses erfährt, wie und warum der König mit Gudden im See den Tod fand, bleibt bis heute unbekannt.
Ein Vierteljahr später, beim von den Münchnern auch damals schon herbeigesehnten Oktoberfest sind viele Besucher überrascht: Von Kanonendonner angekündigt, eskortiert von Reitern mit weißen Helmbüschen, fährt die an sechs Pferden gespannte offene Hofkutsche mit dem Prinzregenten vor. Zwar straft ihn das Publikum ab, indem es ihm und seinen Söhnen demonstrativ weniger kräftigere Hochrufe entgegenschallt als den anderen anwesenden Mitgliedern der Wittelsbacher Familie. Doch für Luitpold ist es ein Anfang seiner Charmeoffensive, so wie er kurz nach der Amtsübernahme alle Landesteile bereist. Allein in Augsburg hält er sich mehrere Tage auf.
Im Allgäu wissen viele Menschen, dass die Volksnähe des Prinzregenten ungekünstelt ist. Schon seit 1851 hat der leidenschaftliche Jäger in Oberstdorf die Gemeindejagd gepachtet. Zu seinen Geburtstagen am 12. März spendiert er den Kindern Wurstsemmeln. Als im Mai 1865 der halbe Ort abbrennt, hilft er mit Geld und seinem Jagdhaus als Notquartier. Die Gebirgsjagd pflegt der Naturfreund Luitpold bis ins hohe Alter: Auch als Regent trägt er kurze Lederhosen, Gamsbarthut und seine graue Lieblings-Joppe. Es ist sein bewusster Gegensatz zum preußisch-wilhelminischen Zeitgeist.
Der nackte Luitpold und die Künstler
In München werben die Künstler bei der Bevölkerung um Sympathie für den Regenten. Im Januar 1887 erklären sie Luitpold mit einem Fackelzug zu ihrem Schutzpatron. Viele kennen ihn persönlich, denn schon als Prinz ist er für seine legendären Atelierbesuche bekannt. Für Künstler zu nachtschlafender Zeit um acht Uhr morgens donnert der Frühaufsteher dreimal gegen Ateliertüren und ruft: „Wittelsbach“. Er macht sich einen Spaß daraus, wenn ihm Maler und Bildhauer im Schlafanzug öffnen.
Luitpold fördert viele Künstler, indem er sich porträtieren lässt. Wie unkompliziert er dabei ist, schreibt der damals bekannte Bildhauer Adolf von Hildebrand 1895 an seine Frau: „Heut hatte ich die erste Sitzung, unter uns gesagt – nackt. Sehr interessant, er ist schon famos gewachsen. Niemand darf es wissen.“
Die Förderung von Kunst und Wissenschaft ist seit langem Politik der Wittelsbacher. Preußens militärisch geprägter Gloria des Hauses Hohenzollern soll der kulturelle Glanz Bayerns entgegenstellt werden. München zieht zur Prinzregentenzeit Intellektuelle aus ganz Europa an. Der russische Kommunist Leo Trotzki schreibt über seinen Aufenthalt, dass München damals „als die demokratischste und künstlerischste Stadt Deutschlands“ galt. Berühmt sind Thomas Manns erste Worte einer Novelle: „München leuchtete“, obwohl sich der Schriftsteller darin eher über die Münchner Selbstgefälligkeit und Luitpolds fast tägliche Einladungen von Künstlern an seine Hoftafel lustig macht.
Der süße Mythos und die bittere Wirklichkeit
Während die Arbeiter, vor allem die Frauen, unter den harten Folgen der Industrialisierung leiden, erlebt das aufstrebende Bürgertum tatsächlich die gute alte Zeit. Dazu gehört es etwa, auch nachmittags die Arbeit für einen Plausch im Café zu unterbrechen. Die Prinzregententorte wird für München, was die Sachertorte für Wien ist: ein Lieblingsgebäck, über dessen Erfindung sich die Konditoren bis heute streiten.
Acht gut drei Millimeter dicke Schichten aus Biskuit und Buttercreme symbolisieren nicht nur die Regierungsbezirke inklusive der damals zugehörigen Pfalz. Als nach Luitpolds Tod vier Jahrzehnte Frieden im ersten Weltkrieg untergehen, gilt der Wunsch nach einem Stück Prinzregententorte in Briefen Münchner Soldaten von der Front als unerfüllbare Sehnsucht nach einer besseren Zeit.
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