Pulp Fiction am Rhein - So kurzweilig war Wagners Ring noch nie
So kurzweilig war Wagners Ring bei den Bayreuther Festspielen noch nie. Wie Frank Castorf alles gewann – und gleich wieder verlor.
Bayreuth Ein Musikdrama des Meisters von Bayreuth in Verbindung zu bringen mit Amüsement, einen solchen Gedanken würde jeder aufrechte Wagnerianer in aller Regel so brüsk von sich weisen wie Wotan die ihm ungehorsame Brünnhilde. Frank Castorf aber hat es getan, in seiner Inszenierung des „Ring des Nibelungen“, und damit ist ihm nichts weniger als ein ingeniöser Streich geglückt, jetzt wieder aufgenommen im Festspielhaus zu Bayreuth. Wobei man gleich zurückrudern muss: den wohl kurzweiligsten Wagner, den es je gab, man begegnet ihm nur im „Rheingold“.
Dass Wagner, noch dazu in der mythenverhangenen Welt des „Ring“, auf einer Bühne solchen Drive entfalten kann, man hätte es nicht für möglich gehalten. Wie hat Castorf das hinbekommen?
Was für Gestalten bevölkern dieses abgehalfterte Motel?
Der Rhein, die felsigen Höh’n, das unterirdische Nibelheim, bei Castorf ist das alles in ein abgehalftertes US-Motel verlegt. Wunderbar stimmig dieser Lost-Highway-Bühnenbau von Aleksandar Denic. Und erst die Gestalten, die ihn bevölkern! Platinblonde Schicksen auf hohen Hacken und mit hautengem Latex die Rheintöchter wie die Götterdamen, während Wotan & Co. mackermäßig mit geölten Haaren und Backenkoteletten herumstiefeln – auch hier hinreißende Arbeit der Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki. Das nordische Götter- und Germanenpersonal: bei Castorf eine Pulp-Fiction-Gesellschaft, prollig, sexy, gewaltbereit. Das hat Saft, das hat Kraft.
In Bewegung gesetzt nun wird diese Menagerie – und das ist vielleicht Castorfs entscheidende Tat – durch Videosequenzen (Andreas Deinert/Jens Crull), die live auf der Bühne aufgenommen und auf einen Monumentalbildschirm auf dem Moteldach übertragen werden. Herangezoomte Gesichter, Szenen aus dem Inneren des Motels – es ist, neben dem Geschehen auf der Bühne, eine zweite Handlungsebene, die sich da via Monitor auftut. Gebannt schaut man auf die fulminant agierenden Sängerdarsteller in Nahaufnahme, das Spiel auf der Bühne wirkt beinahe lasch dagegen.
Castorf lässt sich die Chancen zur Ironisierung nicht entgehen
Versteht sich, dass Castorf sich die Chancen zur Ironisierung, die sich bei einem solchen Setting auftun, nicht entgehen lässt. Es hagelt nur so vor Einfällen, viele sind das pure Vergnügen. Da hängen sich die Rheintöchter, soeben des Goldes beraubt, ans Telefon, und im Videoschnitt sieht man, bei wem sie sich beschweren wollen – beim Göttervater, der sich gerade mit Fricka und Freia fröhlich im Bett tummelt und nur unwillig an den Apparat geht. Sicher, den hehren Mythos, die großen Menschheitsfragen lässt Castorf links liegen. Aber man vermisst sie nicht. Auch nicht, weil der Regisseur mit verblüffenden Details aufwartet. Urmutter Erda ausstaffiert als die pure Verführung – kein Wunder, dass Wotan anbändeln muss, ein Seitensprung, dem die Walküren entstammen.
Aber ach!, „Die Walküre“. Euphorisiert vom „Rheingold“, ist der zweite Abend der „Ring“-Tetralogie ernüchternd. Sicher hat die ins frühsowjetische Aserbaidschan verlegte Szene rund um einen Ölbohrturm wieder einiges fürs Auge zu bieten. Doch Spielwitz und Doppelbödigkeit sind Castorf hier schlagartig abhandengekommen.
Gerade der 1. Aufzug ist völlig statisch geraten, ist konventionelles Wagner-Theater. Das im „Rheingold“ so überragend instrumentalisierte Video kommt nur noch sporadisch zum Einsatz. So hat man immerhin Luft, sich mehr zur Musik hinzuwenden. Zu Wotan zuvörderst, der in Wolfgang Koch gewiss einen intelligenten und impulsiven Gestalter hat, auch wenn man sich von ihm die Zwangslagen und Gestimmtheiten des Göttervaters noch prägnanter formuliert vorstellen könnte.
Der Applaus in Bayreuth zeigt deutlich, wen das Publikum schätzt
Ein sängerisches Glanzlicht setzt Johan Botha als Siegmund, ein heldischer Tenor, der nicht nur über Kraft verfügt, sondern seinen Stimmklang auch an szenische Erfordernisse anzugleichen vermag. Als Sieglinde steht ihm Anja Kampe strahlend zur Seite, und Catherine Foster gibt als „Walküren“-Brünnhilde schon mal eine kräftig leuchtende Vorausschau auf „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Was den Applaus betrifft, so schlägt das Publikumsbarometer auch in diesem Jahr wieder am höchsten bei Kirill Petrenko aus – mit Recht, ist sein „Ring“-Dirigat doch ein Wunderwerk an klanglicher Subtilität, ohne dass Erhabenheit und Feuer fehlten. Von Petrenko vor allem wird, wenn der „Ring“ zu Ende geschmiedet ist, noch zu reden sein müssen.
Die Diskussion ist geschlossen.