Salafist darf nicht zurück ins Allgäu: Wie radikal ist Erhan A.?
Der Kemptener Salafist Erhan A. darf nicht zurück ins Allgäu - das Verwaltungsgericht Augsburg hat seine Ausweisung für rechtens erklärt. Doch wie radikal ist der 22-Jährige?
Seine Eltern sitzen aufrecht, erste Reihe links, vor der Leinwand, auf der eine Stunde zuvor das Internetvideo ihres Sohnes lief. Erhan A. hat sich selbst gefilmt, beschimpft minutenlang Jesiden. Rechtfertigt den Terror. Verleugnet das Morden in Syrien.
Nun sagt Verwaltungsrichter Nikolaus Müller: Erhan A., der Kemptener Islamist aus dem Video, darf nicht zurückkommen. Seine Abschiebung in die Türkei war rechtens. Urteilsbegründung gestern Nachmittag in Saal zwei des Augsburger Verwaltungsgerichts. Wortlos bewegt die Mutter des 22-Jährigen währenddessen die Lippen. Erhan A. sagt: Er habe nur ihr zuliebe geklagt.
Wer ist Erhan A.? Welche Rolle hat der 22 Jahre alte Islamist in Kempten gespielt, wo sich nach dem Tod seines Freundes David G. in Syrien eine islamistische Zelle mit knapp einem Dutzend Mitglieder gebildet hatte? Erhan A. sei treibende Kraft gewesen, sagt der zuständige Polizist vor Gericht aus. Er habe es verstanden, andere zu beeinflussen, mitzuziehen. Intellektuell und rhetorisch.
Während er in Kempten war, sei dort die Islamistenszene gewachsen, von anfangs fünf auf später knapp ein Dutzend Männer. Mittlerweile habe sich die Situation entspannt, sagt der Polizist. Die Familien hätten wieder Zugang zu ihren Söhnen. Eine Mutter beispielsweise dürfe wieder Bilder in der Wohnung aufhängen, die ihr radikalisierter Sohn noch Monate zuvor demonstrativ aus dem Fenster geworfen habe.
Erhan A. hat sich stets zum Terror bekannt
Wer Sätze wie diese verstehen will, muss bei den Jugendlichen beginnen, die der Salafistenszene angehören. Gut 5000 Salafisten gibt es in Deutschland. Sie berufen sich auf den Koran, legen ihn wörtlich aus, lehnen Demokratie, Fortschritt und Gleichberechtigung ab. Viele träumen davon, in einem Land unter den Regeln des islamischen Rechtssystems Scharia zu leben – notfalls unter Einsatz von Gewalt.
Erhan A. etwa hatte sich stets zum Islamischen Staat bekannt, zum Terror in Syrien. Auch in seinem ersten Interview im Juli 2014 mit unserer Zeitung. Darin hatte er berichtet, wie er mit dem Zug über Österreich in die Türkei gereist war. Ziel: Syrien. Es waren seine Eltern, die ihn kurz darauf aufhielten und nach Hause zurückbrachten.
Entradikalisiert hat ihn das nicht. Im Gegenteil, sagt der zuständige Polizeibeamte vor Gericht. Erhan A. habe von zu Hause aus einen neuen Anlauf in Richtung Kriegsgebiet geplant. Doch da lesen Polizei und Verfassungsschutz längst beständig mit. Die Telefone von Eltern und Nachbarn werden angezapft, sein Handy abgehört, Facebook-Einträge gesichert, auch das Hetzvideo gegen die Jesiden.
Dennoch bleibt Erhan A. über das Internet mit Terrorkämpfern im Irak und in Syrien verbunden, er skypt und chattet. Mit Selbstmordattentäter Philip B. aus Dinslaken zum Beispiel und mit Mustafa K., der Anfang 2014 auf einem Foto mit abgeschlagenen Köpfen in Syrien posiert hatte.
Ist der 22-Jährige eine Gefahr?
Erhan A.: Aufsprecher oder tatsächliche Gefahr? Vom Islamischen Staat, sagt Erhan A. gegenüber unserer Zeitung, habe er sich mittlerweile distanziert. „Ich will damit nichts mehr zu tun haben.“ Warum der Sinneswandel? Ihm sei klar geworden, dass der IS „die Grenzen im Islam überschritten“ habe. Mit seinen Freunden in der Szene rede er aber weiterhin. Sorgen müsse man sich in Deutschland wegen ihm jedenfalls nicht machen, sagt er.
Tatsächlich? Die bayerischen Behörden sehen das bis heute anders, hatten ihn deshalb als „Gefährder“ eingestuft. Was die Vermutung einschließt, dass Erhan A. massive Straftaten begehen könnte. Allerdings: Strafrechtlich haftengeblieben ist nichts, Ermittlungen nach dem Anti-Terror-Paragrafen sind längst eingestellt. Bei seiner Klage geht es allein um die Frage, ob die Abschiebung nach Ausländergesetz legitim ist und das damit verbundene Einreiseverbot für sieben Jahre.
Immerhin ist der 22-Jährige in Kempten aufgewachsen, dort zur Schule gegangen, spricht besser Deutsch als Türkisch, ist „faktisch Inländer“, wie das Verwaltungsgericht feststellt. Und sagt: „Vieles war durch die Meinungs- und Religionsfreiheit gedeckt.“ Irgendwann komme aber der Punkt, an dem es gefährlich werde. Im Klartext: Erhan A. hat nach Meinung des Gerichts zu sehr verharmlost, den Terror ins Positive gezogen. Der Kemptener sei ein erwachsener Mann, sagt Vorsitzender Richter Nikolaus Müller.
Bleibt es bei dem Urteil? Das wird erst in einigen Wochen feststehen. Anwalt Michael Murat Sertöz will zunächst das schriftliche Urteil abwarten. Erhan A. sagt, er könne sich zum Urteil nicht äußern. Was würde er anders machen, wenn er heute könnte? „Nichts. Alles, was im Leben geschieht, ist Weisheit. Und Allah bestimmt nur das Gute für uns.“
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