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  3. Mordfall Peggy: Seit 13 Jahren verschwunden: Fall Peggy wird neu aufgerollt

Mordfall Peggy
10.04.2014

Seit 13 Jahren verschwunden: Fall Peggy wird neu aufgerollt

Das Grab der neunjährigen Peggy ist leer. Eine Leiche gibt es nicht, aber einen Verurteilten - und viele Zweifel.
Foto: David Ebener, dpa

13 Jahre nach ihrem Verschwinden fehlt von Peggy aus Lichtenberg weiter jede Spur. Es gibt einen verurteilten Mörder - aber auch viele Zweifel. Nun wird der Prozess neu aufgerollt.

An dieser Wegkreuzung, im Schatten der Burgruine von Lichtenberg in Oberfranken, soll das Verhängnis seinen Lauf genommen haben. Es ist der Mittag des 7. Mai 2001. Vier Tage zuvor soll der geistig zurückgebliebene Ulvi Kulac das neunjährige Mädchen Peggy Knobloch sexuell missbraucht haben. Jetzt will er sich bei Peggy entschuldigen und sichergehen, dass sie niemandem etwas erzählt. Doch Peggy rennt weg, auf einem Fußweg um den alten Ortskern herum. Ulvi hinterher. An jener Wueggabelung rutscht Peggy auf einem bemoosten Stein aus. Noch einmal kann sie sich befreien, doch an der Treppe zur Burg bekommt Ulvi die Kleine zu fassen. Er erstickt Peggy mit bloßen Händen.

Das ist die offizielle Version der bayerischen Justiz. Bis heute. Denn heute beginnt der Prozess gegen Ulvi Kulac, 36, komplett von Neuem. Viele Jahre später sind die Zweifel am Mordurteil des Landgerichts Hof so ins Unermessliche angewachsen, dass es in Bayreuth zu einem in Deutschland höchst seltenen Wiederaufnahmeverfahren kommt. Anfang Juni soll es ein neues Urteil geben.

Welche Geschichte dann die offizielle sein wird, ist noch nicht abzusehen. Wahrscheinlich wird es nach dem Prozess mehr Fragen als Antworten geben. Denn die Justiz hat nichts in der Hand. Keine Tatzeugen, keine DNA-Spuren, keine Beweise. Und noch nicht einmal eine Leiche. Peggy wurde nie gefunden.

Peggys Grab ist leer

So ist es ein seltsames Gefühl, vor ihrem Grab auf dem evangelischen Friedhof von Nordhalben im Landkreis Kronach zu stehen. Das Grab ist leer. Am Grabstein hängt ein Foto der lebensfrohen Peggy. Unten steht: „Wer nicht an Engel glaubt, der ist dir nie begegnet“. Mehrere Spielzeugfiguren sind über das Grab verteilt: ein Clown, ein Engel, ein Bär, ein Delfin. Frische Blumen liegen keine da, obwohl am Sonntag Peggys Geburtstag gewesen wäre. Der evangelische Pfarrer in Nordhalben hat Peggys Mutter angeboten, ein Grab als Gedenkstätte einzurichten, obwohl es keinen Leichnam gibt. 7. Mai 2001 ist als Todestag auf dem Grabstein eingraviert, der Tag, an dem Peggy verschwand.

Hundertschaften der Polizei drehen jeden Stein in Lichtenberg um, durchsuchen jede Höhle, stochern in jedem Teich herum. Tornados der Bundeswehr fliegen mit Wärmebildkameras über den Ort. Sogar Tipps von Hellsehern gehen die Ermittler nach. Sie setzen auf bildgewaltige Szenen, um die Bevölkerung zu beruhigen. Doch eigentlich tappt die Sonderkommission aus 75 Beamten im Dunkeln. Der Druck wird größer. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein will Erfolge. Er tauscht die Soko aus und setzt als Chef einen ihm aus Nürnberg lange bekannten Kripobeamten ein. Und auf einmal gibt es überraschend schnell eine Festnahme: Ulvi Kulac wird verhaftet. Der Gastwirtssohn, damals 23, denkt, spricht und handelt seit einer Hirnhautentzündung in jungen Jahren langsamer als andere Menschen. Sein Intelligenzquotient liegt bei 67, nahe am Schwachsinn. Ulvi ist geistig und körperlich schwerfällig. Er sitzt in der Psychiatrie, weil er Doktorspiele mit Buben gemacht und vor Kindern onaniert hat.

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Rund 40 Mal wird Ulvi vernommen. Dann gesteht er, Peggy getötet zu haben. Komischerweise ist ausgerechnet in diesen Minuten kein Anwalt dabei und das Tonband, das zuvor immer mitlief, ist aus. Es entsteht lediglich ein „Gedächtnisprotokoll“ des Geständnisses. Der kräftige junge Mann mit dem Verstand eines Zehnjährigen widerruft seine Aussage später. Angeklagt wird er dennoch. Und verurteilt. Am 30. April 2003 erhält er wegen Mordes an Peggy eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Die Polizei soll den später verurteilten Ulvi Kulac manipuliert haben

Das Urteil stützt sich im Wesentlichen auf zwei Säulen: Zum einen den Belastungszeugen Peter H., den die Kripo in Haft als V-Mann auf Ulvi angesetzt hat. Nach wenigen Wochen liefert H.: Ulvi habe ihm gegenüber die Tat gestanden. Zum anderen auf Ulvis Geständnis. Denn der Berliner Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber hält es für glaubwürdig. Die Detailgenauigkeit spreche für eigenes Erleben, zumal die Polizei dem Beschuldigten kein Tatszenario vorgegeben habe.

Genau diese beiden tragenden Säulen des ersten Urteils sind zusammengebrochen. Kronzeuge Peter H. widerruft 2010 seine Aussage und macht den Ermittlungsbehörden schwere Vorwürfe. Er habe nur geliefert, weil ihm die Freiheit versprochen worden sei. Mittlerweile ist Peter H. tot.

Inzwischen ist auch bekannt, dass die Polizei sehr wohl eine sogenannte Tathergangshypothese entwickelt hat, wie es üblich ist in solchen Fällen. Nur dem Gutachter wird dieser Umstand vorenthalten – und wahrscheinlich auch dem Gericht.

Das Szenario ist das Ergebnis einer Besprechung der Soko mit dem Münchner Profiler Alexander Horn. Es ist kurz, zeichnet aber in seinen Grundzügen exakt Ulvis späteres Geständnis vor. Unter anderem heißt es da: „Im vorliegenden Delikt dürfte es zu einer Eskalation im Handlungsablauf gekommen sein. (...) Grund für die Eskalation könnte die Vergewaltigung der Peggy durch Ulvi im Vorfeld sein und er am 7. 5. 01 bei einer erneuten Kontaktaufnahme mit Peggy eine Überreaktion auf ihre ,Flucht‘ vor ihm zeigte, wobei eine Einwirkung auf den Hals aufgrund von Schreien der Peggy nicht auszuschließen ist. Bei der Beseitigung der Leiche wirkten (noch) weitere Personen (evtl. enges familiäres Umfeld des Ulvi) mit.“

Wurde dem geistig minderbemittelten Ulvi das Geständnis in den Mund gelegt? Er selbst sagt, er habe gestanden, weil er seine Ruhe haben wollte. „Ich bin kein Mörder“, sagt er vor Gericht immer wieder. Sein Verteidiger Michael Euler aus Frankfurt, der das Wiederaufnahmeverfahren durchgeboxt hat, sagt: „Ulvi ist wie ein kleines Kind. Der gesteht alles, wenn sie ihn lange genug bearbeiten.“ Die meisten Lichtenberger glauben Ulvi. Und verweisen auf einen ganz praktischen Umstand: Ulvi war damals schon dicklich. „Der ist nur im Schneckentempo durch den Ort gelaufen“, sagt eine ältere Dame. „Und der soll das quirlige kleine Mädchen beim Rennen eingeholt haben. Niemals!“ Oder das: Kann es sein, dass ein geistig Behinderter innerhalb einer halben Stunde das perfekte Verbrechen ohne Zeugen begeht und die Leiche verschwinden lässt?

Die Einwohner von Lichtenberg wollen ihre Ruhe

Ansonsten ist in Lichtenberg nicht viel zu hören. Die Leute in der 1100-Einwohner-Stadt hoch über dem Höllental wollen ihre Ruhe. Zu viele erinnern sich, wie damals Horden von Reportern eingefallen sind. Lichtenberg war vorher ein ruhiges Dorf mit vielen Vereinen, wo Kinder allein durch die Stadtgärten an der Festungsmauer streifen durften. Ein Stück heile Welt. Und auf einmal wurde ein Bild gezeichnet von einem beengten mittelalterlichen Ort mit verhaltensgestörten Menschen und düsteren Wäldern rings herum. Das wollen die Bewohner nicht mehr. Daher schweigen sie.

Gudrun Rödel, 66, spricht seit Jahren viel über den Fall Ulvi. „Es ist ein Justizskandal ersten Ranges“, sagt Ulvis gerichtlich bestellte Betreuerin. Seit 2005 kümmert sich die frühere Rechtsanwaltsgehilfin um ihn. Ihr und der Initiative „Gerechtigkeit für Ulvi“ ist es zum größten Teil zu verdanken, dass sich die Justiz zu einem neuen Prozess durchgerungen hat. Sie hat alle Unterlagen gelesen und immer wieder auf Widersprüche in Ermittlungen, Aussagen und im Urteil hingewiesen.

Gudrun Rödel sagt: „Sie haben einen Dummen gefunden.“ Die Sexualdelikte an anderen Kindern seien überhaupt nicht vergleichbar mit einem Mord. Der Ulvi sei ein guter Kerl. Rödel spricht mit viel Herzenswärme von ihrem Schützling. Lesen und Schreiben hat Ulvi bis heute nicht gelernt. „Er schafft es einfach nicht“, berichtet Rödel. Dafür kann Gastwirtssohn Ulvi gut kochen. Er kocht recht oft in der Psychiatrie in Bayreuth, zum Beispiel Schweinshaxe oder türkische Gerichte. Unwohl fühlt er sich nicht. Das Bezirkskrankenhaus ist eine Art Zuhause geworden.

Peggys Mutter Susanne Knobloch, 41, hat sich schwergetan, eine Heimat zu finden. In Lichtenberg konnte sie nicht bleiben. Zu viel Gerede, zu viele Verdächtigungen, die darin gipfelten, dass sie selbst etwas mit dem Verschwinden der Tochter zu tun hat. Gudrun Rödel sagt bis heute, die Rolle der Mutter sei ungeklärt. Es gebe viele offene Fragen.

Peggys Mutter lebt heute in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt und fühlt sich hilflos angesichts der Anschuldigungen. Sie selbst hat Ulvi als Verdächtigen ins Spiel gebracht. Sie begrüßt den neuen Prozess, aber sie hat auch Angst: „Wenn Ulvi freigesprochen und kein anderer Täter überführt wird, bleiben die Verdächtigungen gegen mich. Und meine Tochter bleibt verschollen“, sagt sie der Welt am Sonntag. Susanne Knobloch findet keine Ruhe, solange es keine Leiche ihrer Tochter gibt. 2011 hätte sie Peggy für tot erklären lassen können. Stattdessen meldet sie ihre Tochter bei jedem Umzug mit um. Zur Bundestagswahl erhält Peggy eine Wahlbenachrichtigung. „Sie kommt nicht mehr“, sagt sie dem Wahlvorsteher. Peggy wäre heute 22.

Rund 150 Beamte und 70 Helfer durchkämmten 2001 auf der Suche nach Peggy die ganze Region rund um Lichtenberg, dem Ort der vermissten "Peggy". Eine Leiche fanden sie nicht.
7 Bilder
Der Fall "Peggy": Keine Spur von der Leiche
Foto: Marcus Führer, dpa

Der Fall Peggy könnte wieder am Anfang stehen

Was wäre, wenn Ulvi Kulac freigesprochen würde? Der Fall Peggy stünde nicht am Ende, sondern am Anfang. Seit Mitte 2012 ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder. Ins Visier geraten sind erneut die Stiefbrüder Holger E. und Jens B. aus Peggys Nachbarhaus. B. hat immer behauptet, am 7. Mai 2001 den ganzen Tag am Computer gesessen zu haben. Dieses Alibi ist widerlegt. Und E. ist inzwischen als Kinderschänder verurteilt. Er hat seine Tochter missbraucht. Ein Verfahren wegen des Missbrauchs seiner Nichte läuft. Für eine Anklage reichen die Verdachtsmomente bisher nicht. Doch im neuen Prozess geht es erst einmal allein um die Frage, ob die Tat Ulvi nachgewiesen werden kann.

Ulvi geht am Montagnachmittag durch Bayreuth. Die Sonne scheint. Gudrun Rödel hat ihn zum letzten Mal vor dem Prozess aus der Psychiatrie abgeholt. Sie gehen in ein Garten-Café. Ulvi soll etwas Schönes erleben, bevor der Trubel losgeht. Er ist gut gelaunt und sagt: „Die Leute sind immer nett zu mir und wünschen mir Glück.“

Hat Ulvi ein kleines Mädchen umgebracht? Die Vorstellung, dass dieser tapsige geistig Behinderte, der sich wie in Zeitlupe bewegt, eine flinke Neunjährige verfolgt und einholt, ist befremdlich.

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