Traumatisierte Frauen unter Asylbewerbern brauchen besondere Behandlung
In Flüchtlingsunterkünften im Unterallgäu sind Asylsuchende willkommen. Helfer unterstützen Asylbewerber, besonders traumatisierte Frauen müssen intensiv behandelt werden.
Der Weg ans Ende des Hausflurs führt durch ein Spalier aus jungen schwarzen Männern, die notgedrungen herumstehen. An diesem regnerischen Tag ist das Haus voll. Auf die Migrationsberaterin von der Caritas haben einige schon gewartet. Fahrräder und Fernseher werden gebraucht. Annemarie Möhring, 58, weiß das schon, bevor sie mit jemandem gesprochen hat. „Es ist immer dasselbe“, sagt sie. Aber es ist nur ein kleiner Teil dessen, was der Staat für die Asylbewerber nicht regelt.
Ehrenamtliche helfen Flüchtlingen im Unterallgäu
Kirchhaslach im Landkreis Unterallgäu liegt weit draußen, die Busverbindungen sind schlecht. Als die ersten Flüchtlinge dort in einem ehemaligen Gasthaus einquartiert wurden, fragten sie Leute im Dorf, wo die U-Bahn-Station ist, erzählt Marieluise Baader und lacht: „Es war kein Witz. Die Flüchtlinge kamen aus München und hatten keine Ahnung, wo sie sind.“
Die 54-jährige Fremdsprachenkorrespondentin gehört zu einem ehrenamtlichen Unterstützerkreis, der sich in Babenhausen und Kirchhaslach um die Leute kümmert, gebrauchte Möbel, Geschirr, Fernseher und Fahrräder beschafft, sie zum Arzt bringt, in Läden übrig gebliebene Lebensmittel für sie sammelt und Deutschunterricht gibt. „Ohne die Ehrenamtlichen“, sagt die Caritas-Beraterin, „wäre die Situation für die Flüchtlinge ganz schlimm.“
Die Türe, an der die beiden Frauen am Ende des Hausflurs läuten, öffnet sich nach einer Weile nur einen Spalt. Das Gesicht einer Frau mit üppigen Locken erscheint. Schüchtern bittet sie herein und sperrt schnell wieder zu. Nicht überall in den Flüchtlingsheimen ist das möglich.
Asylsuchende Frauen fürchten sich
Fehlende Privatsphäre in großen Gemeinschaftsunterkünften, räumliche Enge und Lärm machen besonders weiblichen Flüchtlingen zu schaffen. Darauf hat vor kurzem der Bayerische Landesfrauenrat (siehe Kasten) hingewiesen und eine bessere Betreuung angemahnt. Nur rund ein Drittel der Asylsuchenden sind Frauen. Viele sind von Verfolgung, Folter und Flucht traumatisiert. Nicht nur in ihrer Heimat, auch unterwegs sind sie besonderer Bedrängnis ausgesetzt. Betroffene schämen sich dafür. Wenn ihnen Gewalt angetan wird, vertrauen sie es oft nicht einmal einem Arzt an.
Die Frau mit den Locken, die ihre Türe geöffnet hat, ist eine der wenigen, die bereit sind, mit einer Journalistin über die Situation von Frauen auf der Flucht zu sprechen. Ihren Namen dürfen wir allerdings nicht schreiben, und fotografieren dürfen wir nur die Kinder, weil die nicht so leicht zu identifizieren sind. Zu groß ist das Misstrauen nach allem, was die Frauen in den letzten Monaten erlebt haben.
Die 27-jährige Nigerianerin gehört zu den Glücklichen, die ihren Mann dabeihaben. Er kann sie beschützen. Und er kann, wie gerade jetzt, mit einem Fahrrad den Berg hinauf ins fünf Kilometer entfernte Babenhausen fahren, um Lebensmittel und Windeln zu besorgen. Die Frau mit ihren zwei kleinen Kindern hätte damit als Alleinstehende ein Problem.
"Jeden Tag werden Christen getötet."
Im Wohnzimmer läuft der Fernseher – „African Voices“ (Stimmen Afrikas) im amerikanischen Sender CNN. Auf dem Bildschirm ein schwarzer Sänger, davor der kleine Sohn der Frau, ein Energiebündel. Er wirbelt herum und gestikuliert im Rhythmus der Musik wild mit den Armen, bis das Fernsehbild wechselt. Dann lässt er sich auf den Boden plumpsen und strahlt seine Mama an, die auf dem Sofa sitzt und ihr Baby stillt. Vier Wochen ist es alt, geboren in Memmingen nach einer Risikoschwangerschaft.
Auf dem Bildschirm läuft jetzt ein Film aus dem Irak. „Sie wollen, dass alle Muslime werden“, sagt die Frau auf Englisch. „In Nigeria auch. Sie hassen uns Christen. Jeden Tag werden Christen getötet.“ Deshalb sind sie geflohen aus dem Norden Nigerias, wo die islamistische Gruppierung Boko Haram mordend herumzieht. Im Frühjahr ging der Name dieser Extremisten um die Welt, als sie aus einer Schule Mädchen verschleppten, um sie zu versklaven und zwangsweise zu verheiraten.
In dem kleinen Unterallgäuer Dorf gehe sie immer in den Gottesdienst, sagt die Nigerianerin. Das Leben außerhalb des Flüchtlingsheims ist ihr trotzdem fremd. Auch die Christen sind hier anders als in Afrika. Sie tanzen und klatschen nicht, wenn sie in der Kirche singen.
Asylverfahren muss in Italien abgewickelt werden
Nach Europa kam die Frau in einem Boot über das Mittelmeer. „Wir hatten große Angst“, sagt die 27-Jährige und deutet mit einer Handbewegung an, wie schrecklich hoch die Wellen waren. Sie überlebten, weil ein Schiff der italienischen Marine die Flüchtlinge aufnahm.
Aus der Unterkunft in Rom, in der sie landeten, wurden sie nach ein paar Monaten wieder weggeschickt, weil neue Flüchtlinge kamen. Doch in Italien sind sie registriert, dort wurde vor eineinhalb Jahren Sohn Fewo geboren. Und dort muss nach dem europäischen „Dublin-Abkommen“ das Asylverfahren abgewickelt werden, selbst wenn die Familie kein Dach über dem Kopf hat.
Das ist ein akutes Problem. In drei Wochen läuft bei der Nigerianerin der Mutterschutz ab. „Dann ist die Familie in höchster Gefahr“, weiß Annemarie Möhring. Sie will versuchen, Kontakt zu Flüchtlingshelfern in Italien herzustellen, damit die Familie dort nicht auf der Straße steht. Bisher ist es ihr jedoch nicht gelungen, von den deutschen Behörden zu erfahren, wohin die Nigerianer in Italien geschickt werden sollen. Die paar Worte Deutsch, die die Frau gelernt hat, wird sie vielleicht schon bald nicht mehr brauchen. Welche Sprachen ihre Kinder lernen werden, weiß der Himmel.
Achmed aus Dagestan ist sieben Jahre alt. Er spricht gut Französisch, erzählt seine Mutter stolz. „Und er babbelt Schwäbisch wie die anderen Kinder“, ergänzt die Frau, die das Gespräch aus dem Russischen übersetzt. An der Wand über dem Bett hat er auf einem Bild mit Fingerfarben Handabdrücke und seinen Namen hinterlassen. Jetzt macht der Zweitklässler gerade einen Ausflug im Ferienprogramm.
Schutz fand die Mutter im Unterallgäu
Seine 26-jährige Mutter ist das Musterbespiel für eine Flüchtlingsfrau, die besondere Betreuung braucht. Nach einer langen Odyssee ist sie vor zwei Jahren in Babenhausen gelandet – alleine mit Achmed und der vierjährigen Markha. Der Vater wurde im Nordkaukasus ermordet. „Seitdem ist alles schwer“, sagt die Frau auf Deutsch. In ihrem Zimmer hat sie ihre grüne muslimische Kopfbedeckung abgelegt. Sie bietet Pulverkaffee an und Kuchen. Ihr Mann hatte Informationen über Terroristen, erzählt die Frau. Deshalb töteten sie ihn und bedrohten danach auch sie, weil sie glaubten, sie habe Beweismittel versteckt.
Bei entfernten Verwandten in Russland suchte sie mit ihren Kindern Schutz, wurden von diesen aber mithilfe eines „Taxifahrers“, der 150000 Rubel (4000 Euro) kostete, nach Belgien weitergeschickt. Das Asylverfahren in Belgien lief schlecht, sie konnte die Gründe ihrer Flucht nicht richtig erklären. Obwohl ihr Sohn sich schon eingelebt und Französisch gelernt hatte und seine Schwester erst zwei Jahre alt war, musste die Familie wieder fort.
Hilfe fand die in Tschetschenien geborene Frau, die schon als Elfjährige wegen des Krieges in ihrer Heimat zum ersten Mal fliehen musste, damals nach Dagestan, endlich im Unterallgäu. Erst hier erkannte ein aufmerksamer Arzt, dass die Frau schwer traumatisiert ist und eine Therapie braucht. Das Netzwerk aus Wohlfahrtsverbänden – Arbeiterwohlfahrt und Caritas – und vielen ehrenamtlich Aktiven hat sie aufgefangen. Die 26-Jährige fasste wieder Lebensmut. Sie hat viele Kontakte geknüpft und kann schon recht gut Deutsch. Ihr Asylverfahren wurde neu aufgerollt, die Chancen, dass in ihrem Fall die Dublin-Regelung (das hieße ein Zurückschieben nach Belgien) nicht gilt, stehen gut, sagt Annemarie Möhring. Die Erlaubnis, aus der Asylbewerberunterkunft auszuziehen, hat sie schon. Der Wunsch, nach zwei Jahren endlich nicht mehr eine Dusche mit bis zu 20 anderen Flüchtlingen teilen zu müssen, ist groß. Was fehlt, ist nur noch eine Wohnung.
Flüchtlinge mussten oft traumatische Erfahrungen machen
Eine bescheidene, kleine Altbauwohnung, wie sie eine kongolesische Familie in Babenhausen gefunden hat, wäre schön. Marieluise Baader ist öfter dort zu Besuch. Als Fremdsprachenkorrespondentin kann sie perfekt Französisch – die Sprache, die in der Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika gesprochen wird. Mit der 32-jährigen Isabelle (Name geändert) hat sie sich mittlerweile angefreundet. Sie hat geholfen, Formulare auszufüllen, amtliche Schreiben und Beipackzettel von Medikamenten zu verstehen, und hat viele Male übersetzt.
Der Überraschungsbesuch an diesem trüben Tag ist willkommen. „Ich habe ja nichts zu tun. Ich würde so gerne etwas arbeiten“, sagt Isabelle – trotz der zwei Kinder Allegra (knapp 4) und Jonathan (neun Monate). Gerade hat sie eine Tumorerkrankung im Kopf, die medikamentös behandelt wurde, überstanden, schon ist sie wieder voller Energie. Der Umzug aus der Enge einer großen Asylbewerberunterkunft in Mindelheim in die Marktgemeinde Babenhausen hat ihr gutgetan – „weil es dort Menschen gibt, die sich um sie kümmern“, hat Annemarie Möhring beobachtet.
Auch Isabelle hat traumatische Erfahrungen machen müssen, nachdem ihr Mann als Erster vor den gewaltsamen Konflikten in seinem Land geflohen war und sie mit damals vier Kindern alleine dastand. Solche Frauen sind Freiwild, wie sehr oft in Kriegs- und Krisengebieten. Isabelle war auch noch schwanger von ihrem Mann, was dieser nicht wusste. Dass ihr später mit dem Baby die Flucht gelang, und dass sie in München in einer Asylbewerberunterkunft ihren Mann wiederfand, grenzt an ein Wunder.
Das kleine Glück in Babenhausen ist allerdings von der Sorge um die vier älteren Kinder überschattet, die sie im Kongo zurücklassen mussten. Sie sind in der Obhut fremder Menschen, die Geld sehen wollen. Es kommt aus Deutschland, abgezweigt von der bescheidenen Unterstützung, die Asylbewerber hier erhalten. 280 Euro sind es im Monat für jeden Erwachsenen, 140 Euro für jedes Kind. Zweimal im Jahr gibt es einen Kleidergutschein. (AZ)
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