Warum Gott Sodbrennen hat
Axel Hacke, der Mann mit dem feinen Humor, sprach früher mit seinem Kühlschrank. In seiner Fantasie hat er nun einige Zeit mit Gott verbracht. Und Erstaunliches erfahren.
Herr Hacke, Sie sind im Januar 60 Jahre alt geworden. Hat es etwas mit dem Alter zu tun, weswegen Sie inzwischen mit Gott und nicht mehr mit Ihrem Kühlschrank reden?
Axel Hacke: Also, mit meinem Kühlschrank rede ich schon noch, ich schreibe bloß nicht mehr drüber. Aber Sie haben recht: Ein Buch wie dieses hätte ich vor gut 20 Jahren nicht machen können. Das setzt eine gewisse Lebenserfahrung voraus. Vor zwanzig Jahren habe ich „Der kleine König Dezember“ geschrieben. Wenn ich das heute lese, kommt es mir fast kindlich naiv vor. Aber so habe ich damals empfunden, insofern ist es sehr authentisch.
Wie kommt man auf die verwegene Idee, über Tage zu schreiben, die man mit Gott verbringt?
Hacke: Das ist in der Tat verwegen, aber ohne ein bisschen Verwegenheit geht es beim Schreiben nicht. Ich hatte diese Figur eines Gottes, der von seiner eigenen Schöpfung enttäuscht und darum melancholisch und trostbedürftig ist, lange im Kopf. Gott als Künstlertyp, fast ein Spieler, der mit seiner eigenen Schöpfung, in der es ja nun viel Leid gibt, unzufrieden ist. Dann passierten die Terroranschläge in Frankreich. Da habe ich gedacht, es ist Zeit, mal darüber nachzudenken, diesem Gott die alte Frage zu stellen: Wie kannst du das zulassen?
Wie darf ich mir das vorstellen? Sitzt man da und zergrübelt sich ob der Größe des Themas – oder fließt das einfach so aus einem heraus?
Hacke: Das fließt leider nicht einfach so. Ich habe diesen Gott schon mal in einer Kolumne auftauchen lassen. Aus den Reaktionen habe ich gemerkt, wie der die Leute berührt, das macht einem dann auch Mut. Dann kam ein Prozess, der sich ein bis zwei Jahre hingezogen hat. Ich habe mir immer wieder Notizen gemacht, die Geschichte aufs Neue entwickelt, geschrieben, überarbeitet, geschrieben. Und viel mit meiner Frau diskutiert, die davon eine Menge versteht. So ging das weiter, bis irgendwann ein kompakter Text da war. Aber das hat diesmal für meine Verhältnisse lange gedauert.
Es wurde ein schmales Buch über das große Ganze.
Hacke: Das ist meine Spezialität. Ich bin nicht der Experte für Tausend-Seiten-Romane, sondern eher Kurzstreckler. Sprinter, kein Marathonläufer. So ein Buch ist für mich schon ziemlich lang. Darin lag auch die Schwierigkeit. Die Geschichte musste eine dramatische Handlung haben, einen Konflikt. Das zu entwickeln war für mich neu. Ich denke ja normalerweise beim Kolumnenschreiben in 80 Zeilen. Das hier musste ich erst hinkriegen.
Glauben Sie persönlich an ein höheres, gottgleiches Wesen? Oder sind Sie sogar Mitglied in einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft?
Hacke: Nein, ich bin schon mit 18 Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Ich konnte damals mit der Kirche nichts mehr anfangen. Ich glaube halt nicht an Gott, was soll ich machen? Mit dem Glauben werden ganz archaische menschliche Bedürfnisse befriedigt, es hilft, mit der Angst vor dem Leben und vor dem Tod zurechtzukommen. Das ist in Ordnung, solange es nicht zur Unterdrückung anderer führt. Aber an diesen alten Herrn da in meinem Buch, an den könnte ich mich gewöhnen.
Warum musste Ihr Gott eigentlich ein alter Mann sein? Wäre es nicht an der Zeit, dass eine junge, dynamische Frau diese Aufgabe übernimmt?
Hacke: Das hätte man so schreiben können, aber dann wäre es nicht mein Buch gewesen. Ich habe ganz bewusst an eine kindliche Vorstellung angeknüpft. Die wiederum ist verbunden mit dem Verhältnis zum eigenen Vater, darum geht es ja auch im Buch: um das Verhältnis zur Welt, das man vom Vater erbt – und das einem im Leben helfen kann oder gerade auch nicht. Bei mir konnte Gott nur ein alter Mann sein.
Sogar Sodbrennen hat der alte Herr nach 20 Milliarden Jahren, als er Mensch wird und ins Glockenbachviertel kommt.
Hacke: Das kann man doch auch verstehen. Nachdem er sich entschlossen hat, in seiner eigenen Schöpfung zu leben, wird er erstmals greifbar mit dem konfrontiert, was er angerichtet hat. Das war zuvor ja ziemlich weit weg. Jetzt bekommt er die Konsequenzen zu spüren.
Auch eine interessante Vorstellung: Gott sucht Trost bei Ihnen. Toller Perspektivenwechsel.
Hacke: Klar, normalerweise sucht der Mensch Trost bei Gott, in diesem Fall ist es umgekehrt. Gott sucht sogar nicht nur Trost, er will Verzeihung! Ich mag Perspektivenwechsel. Indem man die Position wechselt, kann man neue Erkenntnisse gewinnen. Ich mach das öfter beim Schreiben, nehmen Sie den kleinen König Dezember. Da kommt man nicht klein zur Welt, sondern wird groß geboren und im Laufe des Lebens immer kleiner. Am Ende stirbt man nicht, sondern ist irgendwie weg, schlicht nicht mehr zu sehen, weil man so klein geworden ist. Da wird die Welt mal auf links gedreht, um sie neu sehen zu können. Ich halte Perspektivenwechsel für sehr wichtig. Sie können die Welt ein bisschen besser machen.
Das würde der Welt gut anstehen.
Hacke: Tatsächlich weigern sich immer mehr Leute schlichtweg, die Welt mal mit den Augen eines anderen zu betrachten. Viele lehnen es ja sogar radikal ab, Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen. Das ist das Problem, das wir in Deutschland mit manchen politischen Richtungen oder in den USA mit Donald Trump haben. Andererseits ist es für uns ganz nützlich, mit Leuten konfrontiert zu werden, die die Welt nicht so sehen wie wir.
Aber eigentlich ist doch sowieso nach dem von Ihnen beschriebenen Grundprinzip der Welt alles für die Katz. Das Große Egal, das Gott Ihnen zeigt, ist in Ihrem Buch ein seesternförmiges Wesen mit kurzen Armen.
Hacke: Die große Gleichgültigkeit als Kern der Welt! Es ist egal, ob wir beide hier sitzen oder im nächsten Moment tot umfallen: Die Welt wird sich trotzdem ungerührt weiterdrehen. Es kommt auf uns nicht wirklich an.
Warum sitzen wir dann hier, und Sie schreiben Bücher, wenn sowieso alles egal ist?
Hacke: Wenn Sie dieses große grundsätzliche Egal mal akzeptiert haben, dann haben Sie plötzlich eine Riesenfreiheit, nicht wahr? Die Freiheit nämlich, aus diesem Moment, den das eigene Leben immer nur darstellt, etwas zu machen, es in die Hand zu nehmen und so zu gestalten, wie man sich das vorstellt. Sogar die Freiheit, sich gegen das Große Egal aufzulehnen. Das ist auch großartig.
Zwei Fragen noch: Haben Sie schon überlegt, woher Gott eigentlich kommt?
Hacke: Ich glaube, das liegt völlig außerhalb unserer Vorstellungskraft. Wie sich ein Pilz nicht vorstellen kann, was ein Mensch ist und was in dem vorgeht, so können wir nicht einmal ahnen, wo Gott lebt oder woher er kommt. Das liegt um einige Dimensionen außerhalb unserer Reichweite. Deshalb halte ich es auch für sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen. Wir tun es allerdings trotzdem.
Ist jetzt, nach dem Buch, Ihre Beziehung zu Gott besser, unverändert oder völlig im Eimer?
Hacke: Nö, die Beziehung ist im Grunde besser, weil so ein Buch ja auch bedeutet, dass man das alles einmal durchdacht und formuliert hat. Zu Beginn steht man bei so einem Buch vor einem Riesenwust – wie ein Bildhauer vor einem Steinquader steht. Wenn das alles herausgemeißelt und sortiert ist, das ist dann schon ganz schön. Interview: Josef Karg
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