Warum es ein Glück ist, in Bayern zu leben
So ganz genau weiß es auch der frühere CSU-Vordenker Alois Glück nicht, was denn das Geheimnis seines Heimatlandes ist. Aber er hat einige Vermutungen.
Herr Glück, Sie sind unser Mann: Sie sind Bayer, Sie sind rund sechs Jahrzehnte lang herumgekommen im Freistaat - erst als Landessekretär der Katholischen Landjugend, dann als führender CSU-Politiker. Und dann heißen Sie ja auch noch Glück. Können Sie uns zum Abschluss unserer Serie „100 Jahre Freistaat“ erklären, warum es ein Glück ist, in Bayern zu leben?
Alois Glück: Da verlangen Sie aber viel. Ich kann über Oberbayern reden und über Niederbayern, das ist die Heimat meiner Frau. Aber zum Freistaat Bayern gehören ja auch noch Schwaben und Franken. Da bin ich nicht so verwurzelt wie in Altbayern.
Wenn Sie gestatten, dann versuchen wir es trotzdem. Was ist das Besondere an Bayern?
Glück: Ich denke, zunächst einmal ist Bayern ein Land, mit dem Menschen ganz unterschiedlicher Prägung sich identifizieren können. Es ist ein Gemeinwesen mit großer Tradition und großem Ansehen in der Welt. Wenn Sie heute irgendwo in der Welt sagen, dass Sie aus Bayern kommen, kriegen Sie sofort ein positives Echo. Es ist wohl diese besondere Verbindung von Tradition und Fortschritt.
So wie das Oktoberfest. Da kam jetzt sogar der frühere US-Präsident Bill Clinton in Lederhose.
Glück: Ja richtig, Bill Clinton war auch da. Aber ich meine nicht vordergründige Folklore. Das Oktoberfest gehört zwar selbstverständlich zu Bayern dazu. Aber es ist in seiner aktuellen Form zunächst nur eine modische Ausprägung des Bayerischen, nicht sein Kern. Es wäre schrecklich, wenn das das prägende Bayernbild wäre. Erst wenn man auf dem Oktoberfest genauer hinschaut, erkennt man einen Ausdruck tiefer Wertschätzung für Kultur und Tradition. Die Bayern sind nicht einfach nur Gaudiburschen. Und genauso wenig sind sie einfach nur Grantler.
Trotzdem ist das Oktoberfest mittlerweile eine echte Marke geworden, und zwar weltweit.
Glück: Das stimmt. Aber es gibt dort auch eine interessante Korrekturbewegung: die „oide Wiesn“. Vielen Menschen in Bayern ist das Oktoberfest mittlerweile fremd geworden, deshalb hat sich dort mit der „oid’n Wiesn“ etwas entwickelt, was die Tradition wieder sichtbar macht: ruhiger, gemütlicher, mit originaler Tracht und originaler Musik, aber auch moderner bayerischer Kleinkunst. Diese Spannung ist oft zu beobachten: Es gibt einen Trend zur Oberflächlichkeit und es gibt eine Gegenbewegung.
An welchem Ort in Bayern halten Sie sich am liebsten auf?
Glück: Mein liebster Ort ist natürlich mein Heimatort Hörzing, ein Ortsteil von Traunreut. Da bin ich beheimatet im wahren Sinn des Wortes - und auch in den nahe gelegenen Chiemgauer Bergen.
Haben Sie immer dort gelebt?
Glück: Nein. Zwischen 1965 und 1971 habe ich im Landkreis Dachau gewohnt. Dann bin ich hierher zurück – in erster Linie aus familiären, aber auch aus politischen Gründen.
Was hat sich geändert seit damals?
Glück: Naja, früher ist man hier im Ort aufgefallen, wenn man sonntags nicht in die Kirche gegangen ist. Heute ist es andersrum. Heute fallen die auf, die regelmäßig zum Sonntagsgottesdienst kommen.
Und insgesamt in Bayern, was ist da anders geworden?
Glück: Mein erstes Bayernbild ist geprägt von der Zeit ab 1964, als ich im gesamten Freistaat als Landessekretär der Katholischen Landjugend unterwegs war. Das war das Bayern vor dem großen wirtschaftlichen Aufbruch und vor dem Strukturwandel in der Landwirtschaft. Wenn ich heute irgendwohin komme, wo ich seit Jahrzehnten nicht mehr war, denke ich mir: Mensch, wie hat sich all das verändert. Aus dem Agrarstaat ist ein hochmoderner, international führender Wirtschaftsstandort geworden.
Es gibt eine Theorie, die besagt, dass Bayern über die Jahrhunderte nur deshalb keinen großen Philosophen hervorgebracht hat, weil es dem Volk in Bayern wirtschaftlich immer relativ gut gegangen ist.
Glück: Von dieser Theorie höre ich heute zum ersten Mal. Aber es kann sein, dass da was dran ist. Wirklich Neues entsteht erst dann, wenn ein gewisser Leidensdruck da ist. In Bayern gab es über die Jahrhunderte hinweg eine starke Identifikation des Volkes mit den Wittelsbachern. Und es gab in den überwiegend katholisch geprägten Gebieten eine starke Prägung durch die katholische Kirche, die als Gehorsamskirche die Deutungshoheit beansprucht hat. Das Leben wurde von Autoritäten bestimmt, vom Pfarrer, vom Bürgermeister. Das wirkt vielleicht nach. Aber das sind nur rückblickende Vermutungen. Eine ausreichende Erklärung ist das nicht.
Fällt Ihnen jemand ein, den Sie als typischen Bayern bezeichnen würden?
Glück: Einer – da sind die Typen zu verschieden. Mein Schwiegervater war ein kluger, nachdenklicher Mensch, der als Kleinbauer auch bei den niederbayerischen Großbauern in seiner Gemeinde hoch angesehen war. Und es gibt die ganz anderen Typen, da verbindet sich eine besondere Art von Lebenslust, Vitalität und manchmal auch Brutalität mit betonter Bürgerlichkeit. Aber ich weiß nicht, ob sich das verallgemeinern lässt. Unsere Gegend ist eng verbunden mit dem Salzburger Raum, in dem lange Zeit die Salzburger Erzbischöfe herrschten. Wir haben viel gemein mit Salzburg und auch mit Tirol. Da ist das Lebensgefühl anders als in Aschaffenburg.
Unser Thema ist Glück. Sie heißen Glück. Ich nehme an, dass Sie wegen Ihres Namens nicht allzu viel Spott ertragen mussten.
Glück: Mein Nachname hat in meiner Kindheit keine Rolle gespielt. Der Hofname war wichtiger. Ich war der Bub vom Christlmaierhof. Heute bin ich in Hörzing der Glücklois. Die Hofnamen kennen nur noch die Alteingesessenen. Oft war ich mit einem Freund beim Skifahren, der hieß tatsächlich Pecho. Aber nicht einmal da wurden Witze gerissen.
Sie sind später viel herumgekommen, auch außerhalb Bayerns. Wie haben Sie sich da gefühlt?
Glück: Das war anfangs schwierig wegen meines Dialekts. Als ich für die Landjugend zum ersten Mal in der Akademie Klausenhof am Niederrhein war, musste ich mich plötzlich sehr anstrengen, mich verständlich zu machen. Das hat mich ziemlich verunsichert. Da habe ich meinen Dialekt als Begrenzung empfunden. Dialekt wurde lange Zeit als klein kariert und hinterwäldlerisch abgewertet. Das hat sich zum Glück wieder geändert.
Heute kommen die Menschen aus anderen Bundesländern in Scharen nach Bayern, um hier zu leben und zu arbeiten. In Ihrer Partei, der CSU, machen einige die „Zuagroasten“ dafür verantwortlich, dass die politischen Verhältnisse instabil werden.
Glück: Ach was, das ist doch nur ein Ablenkungsmanöver, damit man sich weniger selbstkritisch mit eigenen Fehlern auseinandersetzen muss. Ich erlebe das oft genau andersrum. Die Preußen wollen oft die besseren Bayern sein. Die wollen dazugehören.
Und sie integrieren sich ja auch.
Glück: Ja, wie andere vor ihnen. Wir gehören zur Stadt Traunreut, nach dem Krieg eine Flüchtlingsstadt. Ich erinnere mich, dass unser Hof von unten bis oben voll war mit Flüchtlingen. Und ich weiß noch gut, was das für Tragödien waren, wenn ein Bauernbub sich ein Flüchtlingsmädel angelacht hat. Heute leben da ganz gemischte Volksgruppen und Ausländer harmonisch zusammen. Das ist vielleicht auch etwas typisches: Die Bayern sind zunächst einmal schon ausgeprägt skeptisch gegenüber anderen Kulturen, aber es gelingt ihnen dann doch immer wieder, Heimatgefühl und Weltoffenheit zu verbinden.
Nach Traunreut kamen nach dem Krieg auch neue Industrieunternehmen.
Glück: Das war unser Glück in vielen Teilen Bayerns, dass Firmen aus Berlin und aus Ostdeutschland sich nach dem Krieg hier angesiedelt haben. Dadurch gelang es besser als anderswo, den Strukturwandel in der Wirtschaft zu bewältigen. Und mit diesen Firmen kamen auch neue Mentalitäten ins Land. Das hat Bayern sehr gutgetan. Wir haben immer noch Grantler, aber die fanatischen Typen sind bei uns eher die Ausnahme. Im Grunde herrschen Liberalität und Toleranz - obwohl es da durchaus regionale Unterschiede gibt. Der Miesbacher Raum war zum Beispiel immer schon liberaler als zum Beispiel der Chiemgau.
In Miesbach gibt es sogar einen grünen Landrat, der von dem Kabarettisten Django Asyl als „Schwarzer mit Rußpartikelfilter“ verspottet wurde. Das sieht fast so aus, als seien die Übergänge fließender geworden.
Glück: Ich würde es so formulieren: Ein Glück für das Land ist, dass es – übrigens schon vor den Grünen – immer eine Verbindung gab zwischen Bewahren und Verändern. Das ist etwas, was sich auch in der CSU über Jahrzehnte abgespielt hat. Als in den zerbombten Städten moderne Neubauten hochgezogen wurden, gab es mit dem ersten Denkmalschutzgesetz in Deutschland eine Gegenbewegung. In der Zeit beschleunigter Industrialisierung wurde in Bayern in enger Verbindung mit dem Heimatgedanken das erste Umweltministerium geschaffen. Es ist ein Glücksfall für ein Gemeinwesen, wenn solche Spannungen konstruktiv und miteinander ausgetragen werden. Wenn uns das auf diese Weise auch in den Krisen der Gegenwart und der Zukunft gelingt, ist mir um das Glück Bayerns nicht bange. Interview: Uli Bachmeier
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