Wie lässt sich der Missbrauch von Kindern verhindern?
Menschen mit pädophilen Neigungen können sich an der Uniklinik Ulm behandeln lassen. Psychologin Elisabeth Quendler erklärt, worauf es dabei ankommt.
Wie viele Männer haben sich seit Beginn des Projekts im Juli 2014 bei Ihnen gemeldet?
Elisabeth Quendler: Wir haben mehr als 200 Kontaktaufnahmen. Das sind zum Teil betroffene Personen, Männer und selten auch Frauen, aber auch Angehörige oder Institutionen, die beobachtet haben, dass sich jemand offenbar sehr zu Kindern hingezogen fühlt – und womöglich sogar kinderpornografisches Material konsumiert.
Wenn sich Betroffene direkt an Sie wenden – was erzählen die?
Quendler: Es sind Personen, die unterschiedliche Anliegen haben. Manche wollen eine diagnostische Abklärung ihrer sexuellen Präferenz. Das sind Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie womöglich anders sind als die meisten anderen – und die deshalb Hilfe suchen.
Und wie gehen Sie dann vor?
Quendler: Wir laden die Betroffenen erst einmal ein zu einem Gespräch, auch in Verbindung mit einem Fragebogen und versuchen, herauszufinden, ob tatsächlich eine sexuelle Präferenzstörung gegeben ist. Manchmal können solche Fantasien auch in Verbindung mit zum Beispiel einer Zwangserkrankung stehen. Da gibt es ganz unterschiedliche Gründe, warum manche Menschen solche Fantasien haben.
Wie entstehen solche sexuellen Präferenzstörungen?
Quendler: Sie entwickeln sich in der Pubertät. Wir alle merken ja ab einem gewissen Moment, ab einer gewissen Lebensphase, welches Geschlecht und welches Körperschema wir attraktiv und sexuell anziehend empfinden. Und das ist eben auch bei der Pädophilie so. Dafür gibt es keine eindimensionale Erklärung. Das ist ein bio-psycho-soziales System, da gibt es immer mehrere Faktoren. Das kann zum Beispiel eine Entwicklungsstörung sein, oder eine ausgeprägte Sensibilität der Person. Das kann eine genetische Veranlagung sein, oder auch im Hirn veränderte Bereiche. In dieser Richtung läuft noch immer die Ursachenforschung.
Kann man solche sexuellen Neigungen abtrainieren?
Quendler: Nein. Eine sexuelle Neigung kann man nicht auslöschen. Aber man kann lernen, damit umzugehen. Zudem haben wir es überwiegend mit Menschen zu tun, die nicht ausschließlich auf Kinder fokussiert sind, sondern die auch Erwachsene sexuell anziehend finden. Und dann ist es therapeutisch möglich, dieser Person dabei zu helfen, sich auf das erwachsene Schema zu fokussieren und Handlungen, die Missbrauch an Kindern darstellen, zu verhindern. Ganz wegbekommen werden wir die Neigung nicht.
Wie gehen Sie dabei in der Therapie konkret vor?
Quendler: Zunächst einmal ist es schon ein großer Schritt, zu klären: Wer ist auf welches Körperschema in welcher Form fixiert? Das wird dann in einer Gesprächsgruppe auch ausgetauscht und ganz offen besprochen. Für viele Betroffene ist das schon wahnsinnig hilfreich, wenn sie sich darüber mit anderen unterhalten können – und endlich einen Raum haben, wo sie offen sprechen können und trotzdem wertgeschätzt werden. Das erleben diese Personen in ihrer alltäglichen Umwelt ja so gut wie nie.
Und dann gilt es, herauszufinden, in welchen Situationen der Druck größer wird – oder in welchen Situationen die Person damit reagiert, sich zurückzuziehen und kinderpornografisches Material zu konsumieren. Diese Situationen sezieren wir sehr genau – und versuchen dann gemeinsam mit den Betroffenen, Alternativen zu finden. Wir fragen dann beispielsweise: Was macht ihnen sonst noch Spaß? Welche Alternativen haben sie? Was können sie besonders gut? Und so unterstützen wir sie dabei, auf das andere zu verzichten. Dadurch wird ein Fokus, der zunächst sehr eingeschränkt auf so eine Neigung besteht, geöffnet und auch auf andere Aspekte des Lebens gelenkt.
Und was machen Sie, wenn Sie die Befürchtung haben, dass einer Ihrer Patienten sich tatsächlich an einem Kind vergreifen könnte?
Quendler: Menschen, die unter Pädophilie leiden, sind nicht unbedingt diejenigen, die Kinder missbrauchen. Sie wollen Kindern nichts zuleide tun, sie verlieben sich in Kinder, so wie andere sich in Erwachsene verlieben – mit richtig romantischen Gefühlen. Menschen, die wegen Kindesmissbrauch verurteilt wurden, sind überwiegend nicht pädophil – das sind meist Personen, die sich nach anderen Konflikten, oft auch in der Partnerschaft, an Kindern vergreifen.
Aber wenn ich in der Therapie die ernsthafte Befürchtung habe, dass Gefahr im Verzug ist, bin ich verpflichtet zu handeln. Ich würde mich natürlich erst einmal an den Patienten selbst wenden, versuchen, diesen Druck zu lindern. Aber wenn das nicht reicht muss ich meine Schweigepflicht brechen. Zum Glück ist das bisher aber noch nicht vorgekommen.
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