Wie schützen sich junge Menschen im Internet?
Jugendliche verbringen viel Zeit online. Dort lauern auch Gefahren. Welche das sind und wie das Netz die Gesellschaft verändert hat.
731 Nachrichten bekommt ein Siebtklässler im Schnitt über den Kurznachrichtendienst WhatsApp auf sein Handy geschickt – nicht etwa im Monat oder in der Woche. Nein. 731 Nachrichten pro Tag. Die allermeisten davon sind harmlos. Verabredungen mit Freunden zum Eisessen oder ins Kino. Musikempfehlungen. Fragen zu den Hausaufgaben. Solche Dinge eben. Es gibt aber auch Nachrichten, die für Kinder und Jugendliche zu einer großen Gefahr werden können.
Wann WhatsApp für Kinder und Jugendliche gefährlich wird
Welche Gefahren das sind, weiß Andrea Steimer von der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle in Augsburg. Die Kriminalhauptmeisterin war am Mittwoch zu Gast beim Lehrermedientag, der vom Verband der bayerischen Zeitungsverleger veranstaltet wurde und an dem auch die Augsburger Allgemeine teilnahm. Den zahlreichen Lehrern machte Steimer deutlich, wie wichtig es für Kinder und Jugendliche ist, sich im Internet zu schützen. „Denn es beginnt sehr früh, dass Kinder im Netz von Fremden angeschrieben werden.“
Ein Beispiel: Ein Mann schickt einer Viertklässlerin Nachrichten. Zunächst sind sie harmlos. Dann sendet er ihr Nacktfotos – und verlangt, dass auch das Mädchen sich auszieht, fotografiert und ihm die Bilder schickt. „Ich rate den Kindern immer: Schreibt nie mit Fremden, blockiert die Nummer, löscht den Chat“, sagt Steimer, die oft Vorträge an Schulen hält.
Dass der Chat mit einem Fremden im schlimmsten Fall tödlich enden kann, zeigt ein schockierender Fall aus Niedersachsen. Melanie, 23 Jahre alt, sucht auf einem Online-Portal neue Bekannte. Sie findet eine Freundin, die beiden verabreden sich auf einen Kaffee. Doch als Melanie am Haus ihrer vermeintlich neuen Freundin ankommt, öffnet nicht sie die Tür, sondern ein Mann. Er lockt sie ins Haus, vergewaltigt sie und schneidet ihr die Kehle durch.
Richard Gutjahr warnt vor der Verrohung in Sozialen Netzwerken
211 Minuten, fast vier Stunden, verbringen Jugendliche täglich im Internet. Und zwar nur unter der Woche, Samstag und Sonntag sind noch nicht mitgerechnet. Die überwiegende Mehrheit nutzt dafür das Smartphone. Richard Gutjahr, Journalist und Blogger, bereitet das Sorgen. „Wir haben mit dem Handy das Weltwissen in die Hand bekommen, aber nicht realisiert, dass das auch eine Waffe sein kann. Und die Kinder haben diese Waffe in ihren Schulranzen“, sagt er.
Das Internet habe die Welt verändert. Und zwar noch viel mehr als man es sich überhaupt vorstellen könne, meint Gutjahr. „Es wird Jahrhunderte dauern, bis wir kapieren, in welcher historischen Wendezeit wir leben. Als der Buchdruck erfunden wurde, konnte sich auch niemand vorstellen, was das alles nach sich ziehen wird.“ Aber schon jetzt sei die Macht des Internets gewaltig: „Mit einem einzigen Follower kann man eine Revolution in Gang bringen“, sagt Gutjahr. „Das verändert unsere Gesellschaft.“
Gutjahr hat auch beobachtet, dass im Netz eine regelrechte Verrohung stattfindet. Was kann man dagegen tun? Wie schafft man es, den Kindern Mitgefühl beizubringen? Als Beispiel dafür, wie das klappen könnte, führt er den Unterricht seines Sohnes an. Der geht in Israel zur Schule, und nach einer Tablet-Stunde steht das Fach „Gefühl“ auf dem Stundenplan. Später gibt es noch eine Yoga-Einheit und eine Schach-Stunde.
Wie Lehrer in Fortbildungen fit für Soft Skills gemacht werden
Dass persönliche und soziale Kompetenzen, sogenannte Soft-Skills, auch an bayerischen Schulen mehr Beachtung finden, das wünscht sich Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternverbandes. „Das ist aber dem fächerübergreifenden Unterricht überlassen. Und ich habe die Befürchtung, dass das oft nach hinten runterfällt.“
Einen „Gefühle-Unterricht“ wird es an bayerischen Schulen in absehbarer Zeit wohl nicht geben. Ändern wird sich trotzdem einiges. Die Schulen wollen deutlich digitaler werden. „Die Berührungsängste sind aber noch sehr groß“, sagt Nina Scharenberg vom medienpädagogischen Fachinstitut Promedia Maassen.
Damit sich das ändert, soll es im nächsten Jahr bayernweite Lehrerfortbildungen geben. „Es kann aber nicht alles über digitale Medien laufen“, sagt Karin Oechslein, Leiterin des Staatsinstitutes für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB). „Wir müssen eine gesunde Mitte finden.“
Am ISB gibt es deswegen auch eine neue Medienabteilung, die die Schulen begleiten will. Ziel ist es, die Medienkompetenz der Schüler zu fördern. Sie zu sensibilisieren. Für all die digitalen Herausforderungen. Und all die Gefahren.
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