Wolfgang Schäuble ist alles andere als ein "Europa-Träumer"
Wolfgang Schäuble ist Bundesfinanzminister, überzeugter Christ und ein Mensch, der lieber mit kühlem Kopf als mit heißem Herzen handelt. Seine Rede in Dillingen bewegt.
Wie ein Revolutionär wirkt Wolfgang Schäuble am Freitag nicht gerade. Der Bundesfinanzminister, der an diesem Tag in Dillingen an der Donau mit dem Europäischen St.-Ulrichs-Preis ausgezeichnet wird, ist sichtlich ergriffen. Er sitzt hinter einem Rednerpult im Altarraum der Studienkirche, blickt kurz auf, lächelt. Es folgt eine bemerkenswerte Rede.
Die "maßvolle" Revolution ist Schäubles Thema
Es ist die Rede eines Mannes, der in den vergangenen Wochen mehrfach und nichts weniger als eine Revolution forderte, wenn auch eine „maßvolle“. Sie sei notwendig, um in unserem Jahrhundert der Globalisierung einen „grundlegenden Wandel ohne zu viel Übertreibung zu schaffen“. So sagt er es in Dillingen. Schäubles Antwort auf eine sich im Eiltempo verändernde Welt lautet, auch „wir“ müssten uns verändern, auch Deutschland, auch Europa. Konkret rät er, „Wachstum, vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern“ zu fördern und „in den Industriestaaten stärker auf Nachhaltigkeit“ zu setzen.
Die „maßvolle Revolution“ ist zu Schäubles Thema geworden, es treibt ihn um. Weil er die großen Entwicklungen, Probleme und Herausforderungen im Blick hat; jene, die mit Wörtern benannt werden, die auf -ismus oder -ung enden: Terrorismus etwa oder Digitalisierung. Oder Zuwanderung. All die Flüchtlinge, die unterwegs sind, vor allem in Richtung Europa.
Europa – das hat Schäuble dabei stets im Blick. Denn auch Europa ist für ihn eine Antwort auf eine sich dramatisch verändernde Welt. Bei aller berechtigten Kritik bleibe die europäische Einigung die richtige Antwort auf die Globalisierung, sagte er unserer Zeitung in einem viel beachteten Interview vor wenigen Tagen. Alleine seien die europäischen Länder, auch Deutschland, „zu klein, um die internationalen Herausforderungen zu gestalten“.
In Dillingen spricht der "Christ Schäuble"
In Dillingen schließt sich da am Freitag nicht nur ein Kreis, es sind einige: Europa und Schäuble, Revolution und Lech Walesa. Der Ex-Präsident Polens und Friedensnobelpreisträger erhielt ebenfalls den Ulrichspreis. Vier Jahre ist das her. Schäuble sagte kürzlich über Walesa, der Polen einst in die Demokratie führte: „Er hat etwas richtig Neues geschaffen, nämlich eine Revolution, die maßhält, die sich nicht durch Übertreibung zerstört.“
In Dillingen spricht der „Realpolitiker Schäuble“ und der bekennende – evangelische – „Christ Schäuble“. Als Realpolitiker weist er darauf hin, dass Politik „nicht mit Menschlichkeit identisch“ sei. Als Christ betont er den Wert der Barmherzigkeit. Mit Verweis auf Richard Schröder, den Theologen und SPD-Fraktionsvorsitzenden in der im März 1990 frei gewählten DDR-Volkskammer, sagt er: Der einzelne Bürger, der einzelne Christ könne und solle barmherzig sein, etwa gegenüber Flüchtlingen. Der Staat könne nicht barmherzig sein, der müsse gerecht sein. Der Staat müsse „unterscheiden, zuteilen, begrenzen – eben um unsere Fähigkeit, zu helfen, zu erhalten“.
Als Realpolitiker spricht Schäuble über Türkei und Brexit
Als Realpolitiker weist Schäuble auf die „notwendige“ Zusammenarbeit mit der Türkei hin, um die Flüchtlingskrise bewältigen zu können. Eine Türkei, merkt er an, „an der einem weiß Gott nicht alles gefallen kann“. Als Christ betont er, dass gerade „wir Christen“ uns im Wissen um die eigene Fehlbarkeit, „uns besonders gut der Unvollkommenheit in der Welt stellen“ könnten. Schäuble spricht von den Schwierigkeiten, in Politik wie Privatem, die richtige Balance zu finden. „Um das zu schaffen, brauchen wir Werte, Orientierung, ein Wertegerüst.“ Für den „überzeugten Europäer“, so wird er nicht nur in Dillingen oft bezeichnet, ist Europa eine Wertegemeinschaft. Natürlich.
Auch die Briten, die mehrheitlich für einen EU-Austritt stimmten, hätten diese Werte nicht abgewählt. Sie würden weiter von den europäischen Werten – Menschenrechte, Herrschaft des Rechts – geprägt und geleitet. Aber Schäuble mahnt zugleich: Ohne wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit werde die Besinnung auf Werte nicht reichen, um andere von ihnen zu überzeugen.
Schäuble ist kein „Sowohl-als-auch“-Sager. Das macht ihn bei zahlreichen Deutschen so beliebt und bei zahlreichen anderen so verhasst. Als im Bundestag vor fast genau einem Jahr über ein drittes Hilfspaket für das hoch verschuldete Griechenland debattiert wurde, warf ihm der damalige Linken-Fraktionschef Gysi vor, er sei dabei, „die europäische Idee zu zerstören“.
Schäuble hörte reglos zu. Später sagte er, es gehe nicht nur um ein „heißes Herz“ für Europa, sondern auch „um die Abteilung kühler Kopf“. Wieder war ihm vorgehalten worden, er bürde Griechenland zu harte Sparmaßnahmen auf. Schäuble hatte einen „Grexit“ auf Zeit vorgeschlagen. Nicht um der EU den Todesstoß zu versetzen, sondern um sie zu erhalten. In Athen zeigten ihn Plakate mit Hitlerbart.
Sein langes Politiker-Leben hat Schäuble abgehärtet
So etwas lässt ihn nicht unberührt, aber er steckt so etwas weg. Sein langes Politiker-Leben habe ihn abgehärtet, sagte er mal. Apropos lange: Man muss schon mindestens um die 50 Jahre alt sein, um sich an einen Bundestag ohne Schäuble zu erinnern. Der wurde 1972 Abgeordneter; er ist der dienstälteste in der Geschichte der Bundesrepublik.
In seinem Leben hat Schäuble viel erreicht: Kanzleramts-Chef, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, CDU-Vorsitzender. Damit, dass er nicht Kanzler wurde, fand er sich ab. Er erreichte viel, noch mehr musste er erleiden. Am 12. Oktober 1990 schoss ihn ein psychisch Kranker nieder, Schäuble ist seitdem gelähmt. Zuvor war mit dem 3. Oktober 1990 der historische „Tag der deutschen Wiedervereinigung“. Dem ging eine friedliche, „maßvolle“ Revolution voraus. Schäuble hatte den Einigungsvertrag mit ausgehandelt.
Stiftung sieht in Schäuble den "Architekten der deutschen Einheit"
Nach Überzeugung der Europäischen St.-Ulrichs-Stiftung ist er als „Architekt der deutschen Einheit“ ein „maßgeblicher Wegbereiter für den seither stattgefundenen Prozess der Einigung Europas“. Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, würdigte Schäuble dafür. Dieser sei für ihn „immer ein Orientierungspunkt“ gewesen – und alles andere als ein „Europa-Träumer“. Man konnte es nicht sehen, aber Schäuble, „der maßvolle Revolutionär“, wird bei dieser Passage gewiss gelächelt haben.
Die Diskussion ist geschlossen.
Und schon wieder, Kirche und Regierung !!!
So was von Schleimen !!!
Gut das wir alle Alzheimer bekommen ???
Herr G., Sie sind ein Kleingeist! Si tacuisses, philosophus mansisses!!!