Zu viel Waldromantik?
Der Hype um den Wald geht den Besitzern zunehmend auf die Nerven. Für Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen bietet der Wirtschaftswald die größte Artenvielfalt
Darf die Douglasie sich dauerhaft in Bayern ansiedeln? Oder verfällt der aus Amerika importierte Baum dem Bann, nicht ortstypisch für den hiesigen Wald zu sein? Eins muss man der Douglasie immerhin lassen: Im Fugger’schen Forst steht sie seit 120 Jahren. Sie hat noch jedem Sturm getrotzt, obwohl sie eine ausladende buschige Krone hat und höher als andere Bäume reicht, ihre Panzerrinde wehrt den Borkenkäfer wirksam ab und sie hat einen besseren Zuwachs als heimische Nadelgehölze. Hartmut Dauner, Leiter des Fugger’schen Stiftungsforstamts in Laugna (Kreis Dillingen), zählt gern die Vorteile des Exoten beim Waldumbau auf, um den „Romantikern“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er meint die mehr oder weniger kompetenten Naturschützer, die in ihren Büchern allerlei Esoterisches über den Wald raunen.
Wir sind beim Fugger-Forum in Augsburg, diesmal geht es über den „Hype um den Wald“. Und der geht den Waldbesitzern – darunter die Fugger’schen Stiftungen mit respektablen 3200 Hektar und 31000 Festmetern jährlicher Holzernte – zunehmend auf den Zeiger. 30000 Bücher über den Wald, so hat es Moderator Horst Thieme recherchiert, sind auf dem Markt, etwa Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume – wie sie fühlen, wie sie kommunizieren“.
Der ironische Titel des Abends „Über allen Wipfeln juchhu?“ wird in Försterkreisen gar nicht goutiert. „Käseglocken-Naturschutz“ nennt Josef Ziegler, Präsident der bayerischen Waldbesitzerverbände, die Forderung, den Wald sich selbst zu überlassen, also „stillzulegen“.
„Wo ist die größte Artenvielfalt? Im Wirtschaftswald!“, sagt Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen, der namens des Familienseniorats die Wälder bewirtschaftet. Im unbearbeiteten Wald mache sich nur der Käfer breit. Die Fugger halten sich zugute, ihre Wälder seit Jahrhunderten nachhaltig zu bewirtschaften. Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) haben sie das Stiftungsvermögen, aus dem sie bis heute vor allem die berühmte Sozialsiedlung Fuggerei in Augsburg finanzieren, in grünes Kapital umgeschichtet. „Es hat seither noch alle Kriege und Inflationen überstanden“, betont Erbgraf Alexander.
Weil das Holz zu allen Zeiten ein wichtiger Rohstoff war und ist. Sogar Beton und Stahl könnte das Holz eines Tages ablösen, meint der Biologe Torben Halbe. Längst erwägt man, sogar Hochhäuser aus Holz zu konstruieren. Klimafreundlicher wäre dies allemal, denn die anderen Baustoffe erfordern zur Herstellung eine Menge Energie, während das Holz im Wachstum dem Klima sogar guttut. „Der nachhaltig bewirtschaftete Wald kann am meisten Kohlendioxid binden“, weiß Halbe. Der Biologe, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich studiert hat, hat den kämpferischen Gegentitel zu Wohlleben verfasst: „Das wahre Leben der Bäume: Ein Buch gegen eingebildeten Umweltschutz“.
Klingt das nicht alles recht einseitig? Sogar der Vorsitzende des Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern, Johannes Bradtka, erhebt keine Einwände. Vielmehr pflichtet er bei: „In Bayern sind die Wälder immer noch die naturnahesten Räume. Die letzten Urwälder in Deutschland liegen gut tausend Jahre zurück. Seit dem Mittelalter nutzten die Menschen den Wald und wandelten ihn durch ihre Bewirtschaftung um.“ Bauchweh bekommt Bradtka allerdings, wenn er in den Hambacher Forst blickt, wo Aktivisten seit Jahren schon die Abholzung der alten Buchenbestände für den Braunkohleabbau durch ihre Baumbesetzungen verhindern wollen. „Es gibt bei uns offensichtlich eine gute und eine böse Waldvernichtung“, sagt Bradtka mit einer gewissen Bitterkeit.
Spektakuläre Kampagnen der Naturschützer wie im Hambacher Forst sind den Waldbesitzern freilich ein Dorn im Auge. Sie wissen nämlich: Jedes Argument, das sie dagegen setzen – und sei es noch so stichhaltig, wirkt in der Öffentlichkeit gegen sie. Sie sind die Baummörder, sobald sie die Säge ansetzen – selbst wenn der Baum geschwächt und im natürlichen Verlauf dadurch zum Tode verurteilt ist. „In Tschechien erleben wir in diesem Sommer wegen der großen Trockenheit und dem aggressiven Borkenkäfer Ips Duplicatus ein echtes Waldsterben. Bis zu zwanzig Millionen Festmeter geschädigtes Holz werden dort in den Wäldern erwartet“, weiß Erbgraf Alexander. Das sind Holzmengen, für die zehn große Sägewerke ein ganzes Jahr benötigen, um es abzuarbeiten. Wie wäre es, wenn Greenpeace in einer Kampagne Alarm schlägt, dass dieser Borkenkäfer aus Tschechien ganz still und leise in unsere deutschen Sägewerke gefahren wird, weil die Sägewerke das günstige tschechische Holz kaufen und so sehenden Auges einen neuen Schädling nach Deutschland importieren. „Hier liegt eine echte Gefahr für den Wald in Deutschland“, warnt Erbgraf Alexander.
Vom Wald erwarten die zivilisationsgeplagten, verstädterten Deutschen das Ursprüngliche. Allerdings mit der Neigung, den Wald zu Tode zu lieben. Beim Geocaching werden die „Schätze“ mitunter in sechs Meter Höhe an die Bäume angebracht und gegen zu exzessive Mountainbiker führen die Waldbesitzer Prozesse. Ohnedies scheint es vielen Bürgern gar nicht bewusst zu sein, dass der Wald nicht herrenloses Gemeineigentum ist. „Ich bin durchaus bereit, in unseren Stiftungswäldern Akzente für die Erholung und Bildung zu setzen“, sagt Erbgraf Alexander. Dazu könne man gemeinsam Konzepte entwickeln.
Fugger-Oberförster Dauner lässt Totholz im Wald stehen, um spezialisierten Tieren und Pflanzen einen Lebensraum zu geben. Doch er baut auch gezielt den Bewuchs zu einem Mischwald um, der dem Klimawandel mit heftigeren Stürmen und heißeren Sommern standhält. Mindestens vier klimaresistente Baumarten, so lautet in Bayern die Regel, sollten darin angepflanzt werden. „Wir müssen die Ausfallrisiken minimieren“, unterstreicht Josef Ziegler. Der offizielle Bericht gibt ihm recht: Dem deutschen Wald geht es besser denn je, steht da drin.
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