Internet-Konferenz re:publica gestartet: Zeit zu handeln
Überwachung, Datenschutz, Algorithmen: Zur re:publica 10 steht die Community vor großen Herausforderungen. Es sei Zeit zu handeln, meint nicht nur Snowden.
Es ist noch nicht zu spät. Das ist eine Botschaft, die Whistleblower Edward Snowden den Besuchern der Internet-Konferenz re:publica mit auf den Weg gibt. "Man kann der Informationstechnik nicht entkommen, aber wir können sie kontrollieren und einschränken, dafür ist noch genug Zeit." Und: "Wir stehen an der Weggabelung." Aber noch gebe es die Möglichkeit, die Richtung zu bestimmen.
Der 32-jährige Whistleblower, der derzeit im russischen Exil sitzt, ist einer der großen Helden in der Netz-Szene. Zum Auftakt der re:publica am Mittwoch wird der frühere Geheimdienstler live aus Moskau zugeschaltet. Der Andrang vor dem Konferenzraum ist enorm. Hunderte Besucher müssen enttäuscht draußen bleiben.
Drinnen auf den großen Bildschirmen appelliert der schmächtige Amerikaner unermüdlich, den Schutz der Privatsphäre in einer zunehmend digitalisierten Welt nicht zu vernachlässigen. "Wenn man sagt, die Privatsphäre ist mir egal, ich habe nichts zu verbergen - dann ist das wie wenn man sagt, die Redefreiheit ist mir egal, ich habe nichts zu sagen." Snowden warnt vor einem Missbrauch der Daten durch Unternehmen und Regierungen, zudem konzentriere sich die Macht immer mehr bei wenigen Konzernen.
"Wir machen uns immer mehr abhängig von immer weniger Plattformen, die uns einseitig die Regeln vorgeben", sagt auch re.publica-Mitgründer Markus Beckedahl mit Blick auf Netzwerke wie Facebook oder Twitter. "Seit der ersten re:publica reden wir über die Vorteile eines offenen Netzes. Aber dieses offene Netz ist bedroht." So komme es zu einer zunehmenden Überwachung und Kontroll-Infrastruktur, "die wir zulassen".
re:publica seit 2007
2007 wurde die re.publica von den Machern der Blogs netzpolitik.org und Spreeblick als Blogger-Treffen mit geraden mal 700 Teilnehmern ins Leben gerufen. Twitter war gerade gegründet worden, Facebook startete ein Jahr später seine deutschsprachige Version.
Es habe nie Expansionspläne gegeben, aber "wir sind mit der digitalen Gesellschaft gewachsen", sagt Mitgründerin Tanja Häussler. "Wir hatten Sorge, die familiäre Atmosphäre zu verlieren, aber das ist dennoch nicht passiert." Und in der Tat: Auch wenn die re:publica seit den Anfangstagen um mehr als das Zehnfache gewachsen ist: Sie kommt noch immer verspielt daher - auch wenn die Veranstaltung längst auch von Riesen wie IBM oder Microsoft gesponsort wird.
Zur 10. Ausgabe drängen sich bis zu 8000 Netzaktivisten, YouTuber, Intellektuelle, Künstler und Politiker in der Station Berlin. Die Frauenquote ist mit 45 Prozent für die Internet-Szene ungewöhnlich hoch, die Atmosphäre ist entspannt, der Spaß kommt nicht zu kurz. So gibt es neben all den Konferenzen auch Party, Karaoke - und sogar eine Sauna.
Daneben laufen unendlich viele Debatten und Diskussionen. Bei 770 Sprechern kann man schnell den Überblick verlieren, auch wenn viele Themen altbekannt sind. Er fühle sich manchmal wie bei "Und täglich grüßt das Murmeltier", sagte Beckedahl. Denn obwohl sich die digitale Welt radikal verändert habe, viele Themen seien geblieben, beispielsweise Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, NSA-Überwachung, Urheberrecht oder Netzneutralität.
"Wir stehen vor einem Dilemma", sagt der Netzaktivist. "Wollen die Technologien haben - aber wollen nicht, dass sie gegen uns verwendet werden." Und viele neue Bereiche würden Gefahren bringen. Stichwort: Internet der Dinge ("So gerne ich ein Smart Home hätte, so sehr habe ich Angst davor"), Algorithmen ("Unser Leben basiert immer mehr auf Entscheidungen von Algorithmen (...) Wir haben ein recht darauf zu erfahren, warum wir beispielsweise Kredite nicht bekommen") oder Smart Cities: ("Wir brauchen eine intelligente Stadt, in der wir uns immer noch anonym bewegen können.")
Privatsphäre schützen
Aber was kann der Einzelne machen? "Trefft eine individuelle Konsumentscheidung", rät Beckedahl. So wie Menschen etwas gegen Klimawandel bei der Lebensmittel-Auswahl tun könnten. Ähnlich sieht es auch Luciano Floridi. Der Professor für Philosophie und Informationsethik in Oxford gilt als der "Digital-Philosoph der Stunde". Der Mensch schaffe eine neue digitale Umwelt - die Infosphäre - in der die Trennung zwischen online und offline zunehmend verschwinde, sagt der Wissenschaftler. "Wir beschädigen die Infosphäre so wie wir früher die Umwelt beschädigt haben."
Er pflichte Snowden bei, dass die Gesellschaft an einer Weggabel stehe. Es brauche die richtige Politik und die richtigen Regeln, um die Privatsphäre zu schützen. Allerdings ist er nicht sonderlich optimistisch: "Wenn uns die Geschichte leider irgendetwas gelehrt hat, dann dass es erst eine Katastrophe braucht, bis wir daraus lernen." dpa
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