Wassily Kandinsky und die Geschichte vom Blauen Reiter
Wassily Kandinsky hätte heute seinen 148. Geburtstag feiern können. Der Expressionist steht für einen Aufbruch der Malerei in die Moderne - und den berühmten Blauen Reiter.
Warum Reiter und warum blau, wenn es um den Aufbruch zu einer grenzüberschreitenden neuen Kunst geht? Geschah es wirklich so lapidar zwischen den beiden Urhebern Wassily Kandinsky (1866–1944) und Franz Marc (1880–1916) bei diesem daheim im oberbayerischen Sindelsdorf:
„Den Namen ‚Der Blaue Reiter‘ erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf; beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst. Und der märchenhafte Kaffee von Frau Maria Marc mundete uns noch besser.“
Wassily Kandinsky: So entstand der Blaue Reiter
So Wassiliy Kandinsky rückblickend 1930. Wann genau war der Kaffeetisch gedeckt? Im Briefwechsel der beiden Freunde begegnet der Begriff „Der Blaue Reiter“ erstmals am 21. September 1911. Noch am 19. Juni 1911 hatte Kandinsky in einem Brief an Marc den Titel „Die Kette“ vorgeschlagen. Dennoch darf dieser Brief, da er zum ersten Mal den Plan einer neuen künstlerischen Zusammenschau unterbreitete, als Geburtsstunde des „Blauen Reiters“ gelten.
Es ging ja zunächst um ein illustriertes Jahrbuch, in dem sich eine künstlerische und geistige Neuausrichtung manifestieren sollte. Die Entwicklung war dann, dass dieser Almanach „Der Blaue Reiter“ erst im Mai 1912 erscheinen konnte (bei Reinhard Piper in München) und gewissermaßen im Vorgriff am 18. Dezember 1911 die gleichnamige Ausstellung eröffnet wurde (in der Münchner Galerie Thannhauser).
Alles fest in der Hand von Wassily Kandinsky und Marc
Genau genommen hieß deren Titel „Erste Ausstellung der Redaktion ‚Der Blaue Reiter‘“. Die Redakteure waren Marc und Wassily Kandinsky – oder auch die „Diktatoren“, wie Kandinsky später ironisch bemerkte, denn eine Vereinigung oder eine Gruppe „Der Blaue Reiter“ habe es nie gegeben. In der Tat hielten diese beiden Künstler alles in der Hand.
Marcs Freund August Macke kam hinzu und durch ihn, wenn man so will, auch das Materielle. Denn der Onkel seiner Frau Elisabeth war der Berliner Fabrikant, Sammler und Mäzen Bernhard Koehler, der Ausstellung und Almanach finanziell unterstützte und so seinen Teil beitrug zur propagierten „Überwindung des Materiellen durch das Geistige“. Er war auch hilfreich, als Herwarth Walden 1912 in Berlin seine Galerie „Der Sturm“ mit der aus München übernommenen „Blauer Reiter“-Ausstellung (sowie einer Kokoschka-Schau) eröffnete und 1913 auch den „Ersten Deutschen Herbstsalon“, der als weitere Station der Moderne die „Blaue Reiter“-Handschrift trug.
Der Reiter zieht sich als ein Leitmotiv durch Kandinskys Werk, zumal in frühen, dem Symbolismus verwandten Arbeiten. Mit St. Georg, dem Drachentöter hoch zu Pferde im Wappenschild von Währung und Wappen des Russischen Kaiserreiches, ist der Moskauer Kandinsky, der heute von 148 Jahren geboren wurde, aufgewachsen. Der Reiter oder Ritter steht auch für Adel der Gesinnung. Und die Farbe Blau bedeutet seit der Romantik die Sehnsucht nach geistiger Erfüllung. So ist der „Blaue Reiter“ auch Kurier einer Erneuerungsbotschaft.
148. Geburtstag von Wassily Kandinsky
Ob so am Sindelsdorfer Kaffeetisch räsoniert wurde? Noch am 8. Dezember 1911 zweifelte Kandinsky gegenüber Marc: „Sollen wir doch vielleicht ein anderes Titelbild nehmen?“ Da hatte er längst etliche Reiter-Motive entworfen. Ausgewählt wurde schließlich eines, das nahezu identisch mit einem von ihm 1911 im Stil bayerischer Volkskunst geschaffenen St.-Georg-Hinterglasbild war. Dieses wurde dann auch in der Ausstellung gezeigt.
Die Exposition war eine Trotzgebärde. Denn erst am 2. Dezember 1911 hatten sich Kandinsky und Marc von der 1909 von Kandinsky mitbegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“ getrennt und sofort begonnen, eine Ausstellung im Geiste ihres noch unfertigen Almanachs zu organisieren.
Wassily Kandinsky: Wegbereiter des Expressionismus
So ergab sich, dass am 18. Dezember in den Räumen 4 bis 6 der Galerie Thannhauser die erste „Blauer Reiter“-Ausstellung eröffnet wurde, während in weiteren Räumen die dritte Ausstellung der „Neuen Künstlervereinigung“ zu sehen war. Ein Schlüsselbild ersterer Präsentation von 14 Künstlern war Kandinskys große „Komposition Nr. 5“, die mit seiner gleichzeitig veröffentlichten Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ entscheidend wurde für die Begründung des abstrakten Expressionismus.
Verpönt und verspottet, wie sie waren, die „Brücke“-, „Blauer Reiter“- und „Sturm“-Künstler, so blieben sie doch Wegweiser – „bis der Tag kommt, wo wir unseren Ideen auf der Landstraße begegnen“. Marc hoffte es im Eingangskapitel des Almanachs.
Der 148. Geburtstag des russischen Malers und Kunsttheoretikers Wassily Kandinsky ist heute Anlass für ein Google Doodle.
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