Wie ein Internet-Guru die Medienlandschaft der Zukunft sieht
Jeff Jarvis ist zu Gast beim Newscamp in Augsburg. Der Buchautor, Blogger und Journalismus-Professor an der City Universität von New York polarisiert mit einem spannenden Vortrag.
Mit Google, Facebook und Twitter haben sich viele Verlagshäuser inzwischen prima arrangiert. Manche pflegen aber noch ein eher gespaltenes Verhältnis. Einerseits erweisen sich die Internet-Multis als außerordentlich nützlich, wenn es darum geht, Geschichten online in einer riesigen Zielgruppe zu verbreiten. Andererseits haben die etablierten Medien zum Teil die Sorge, dass ihnen die US-Unternehmen das Geschäft vermasseln.
Google und Co leben eine Gratiskultur vor; sie nehmen, anders als immer mehr Zeitungen, online kein Geld von den Nutzern. Gleichzeitig behält sich der Suchmaschinenriese aber vor, Werbung unter die Inhalte von Drittanbietern zu packen. Damit lassen sich Milliardengewinne erzielen. Nachvollziehbar, dass die Verlagshäuser und Autoren ein Stück vom Kuchen wollen. Sie sind schließlich die Urheber der Artikel, die Google vermarktet.
Jarvis plädiert für radikalen Kurswechsel bei traditionellen Medien
Eine schwierige Gemengelage also, wie immer, wenn die Digitalisierung der Medienlandschaft diskutiert wird, wie heute und morgen auf dem Augsburger "Newscamp". Starredner der in diesem Jahr zum vierten Mal stattfindenden Konferenz ist Jeff Jarvis, Buchautor, Blogger und Journalismus-Professor an der City Universität von New York. Viele halten Jarvis für einen Internet-"Guru" oder gar -"Rebellen", auch deshalb, weil er den so genannten traditionellen Medien einen radikalen Kurswechsel als Herz legt: Sie sollten, so der charismatische Professor, endlich von Facebook und Google lernen, statt gegen sie anzukämpfen - und alle zusammen stünden vor einer wundervollen Zukunft. Vielleicht.
Ganz frei von den Widersprüchen, welche die Digitalisierung mit sich bringt, ist auch Jarvis selbst nicht, warum auch. Er predigt zwar die totale Fokussierung auf das Internet. "Dort werden gute Geschichten gemacht - und verkauft." Sein eigener (wirtschaftlicher) Erfolg hat jedoch durchaus Wurzeln im Print. Sein gedrucktes (!) Buch "Was würde Google tun" fand weltweiten Absatz. Das neue Werk mit dem zweideutigen Titel "Ausgedruckt!" liegt ebenfalls in Papierform vor. Und ihren Ausgang genommen hat die Karriere des Jeff Jarvis ausgerechnet in der Nachrichten-Redaktion der altehrwürdigen Zeitung Chicago Tribune Anfang der Siebzigerjahre. Wenn er sich während endloser Nachtschichten langweilte, spielte der junge Jarvis am Computer. Damals nannten ihn Kollegen einen "Freak".
Newscamp wächst von Jahr zu Jahr
Dass ein Mann mit Zeitungsvergangenheit und Internetzukunft ein guter Redner für eine Digitalkonferenz sein könnte, liegt auf der Hand. Der 61-Jährige spricht frei und in Turnschuhen, das Wort "Datenschutz" sagt er sogar auf Deutsch. Im Auditorium: Mehr als 300 Medienunternehmen, Beratungsfirmen, Start-Ups und IT-Dienstleister aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Veranstalter ist die Newsfactory in Augsburg, ein Tochterunternehmen der Mediengruppe Pressedruck, in der auch diese Zeitung erscheint. Der Informationsbedarf in der Branche scheint groß; die Konferenz wächst von Jahr zu Jahr. "Wir sehen tagtäglich so viele neue Themen und Innovationen", sagt Daniel Kempf vom Organisationsteam, "und wir müssen darüber sprechen."
Über allem schwebt für die Medienunternehmer die Frage, wie sie den digitalen Wandel gestalten können. Dazu hat Jarvis einige Empfehlungen, von denen wenig überraschend viele auf den Erfolgsrezepten von Google und Co. beruhen. Das erste: Wissen, wer die Leute sind da draußen. "Facebook und Google kennen unsere Leser besser als wir selbst", meint Jarvis. Beispiel: Wenn er sein Handy zu einer bestimmten Zeit aus der Sakkotasche zieht, spürt das Gerät, dass der Professor von der Universität nach Hause fahren möchte - und teilt ihm mit, wie lange das heute dauert. Es soll diese Form von personalisierten, möglichst individuell zugeschnittenen Services sein, die Medien in Zukunft wertvoll und unverzichtbar machen für die Nutzer. Die Zeit der Massenmedien, "das Gutenberg-Zeitalter", sei vorbei, glaubt Jarvis.
Auch für die Jagd nach immer mehr Reichweite - so nennt man im Fachjargon die Zahl der Nutzer einer Webseite - sieht der Guru vor dem Ende. Die Inhalte müssten Substanz haben und nicht nur kurzzeitige Klickreize auslösen. Mit "Katzen und Kardashians" erzielt man heute auf Dauer kein Wachstum mehr, so Jarvis in Anspielung auf die Familie Kardashian, die sich in sozialen Netzwerken produziert wie keine zweite. Mit gesponserten Produktempfehlungen, mit Selfies voll nackter Haut, mit mehr oder weniger banalen Botschaften.
Journalistische Qualität wiederum ist etwas, das sich auch die alteingesessenen Medien auf die Fahnen schreiben. Sie sehen darin ihre Chance - und sind nicht untätig. Zeitungen betreiben mit "echten" journalistischen Inhalten reichweitenstarke Nachrichtenportale und sind, gerade was die regionale Berichterstattung betrifft, sehr oft die Platzhirsche im Netz. Diesen Status billigt ihnen sogar Jarvis zu. Sie entwicklen neue Produkte für neue Kanäle - Nachrichten-Apps für Smartphones beispielsweise - und sind in den sozialen Netzwerken aktiv. Fast alle deutschen Verlage bieten digitale Varianten der Zeitung an. Die ersten, darunter diese Zeitung, brechen mit der gewohnten Erscheinungweise der Blätter. Sie offerieren zusätzlich zur gedruckten Morgenausgabe eine kompakte digitale Ausgabe, die bereits am Abend veröffentlicht wird.
Jarvis: Dahin gehen, wo die Leser sind
Jarvis sieht solche Entwicklungen positiv. Presseorgane seien auch für die Multis und auch im Digitalzeitalter "wertvoll und wichtig". Er wirbt aber dafür, dass die Zeitungshäuser noch enger mit den großen Plattformen aus Amerika zusammen arbeiten. "Wir müssen dahin gehen, wo die Leser sind. Und sie sind nun einmal bei Facebook", sagt Jarvis. Darin liegt genau ein Problem für die Verlage: Sie haben zwar die Qualitäts-Inhalte, aber die Kundenbeziehung soll komplett bei den Googles und Facebooks liegen? Die Washington Post ist den von Jeff Jarvis aufgezeigten Weg gegangen. Sie lädt täglich 300 Artikel in die sozialen Netzwerke hoch. Damit übertraf die Zeitung zeitweise sogar die New York Times, die in der Branche als digitaler Musterschüler gilt, in der Popularität im Web. Ach ja, die Washington Post gehört einem anderem Jeff: Multimilliardär Jeff Bezos, Gründer von Amazon.
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Ich weiß zwar nicht wer Jeff Jarvis zu einem "Internet-Guru" hochstilisiert. Das ist er mitnichten. Er ist Journalist und betreibt einen Blog.