heute+ im ZDF: Sieht so das Fernsehen der Zukunft aus?
Das ZDF zeigt mit „heute+“ ein Nachrichten-Format für ein junges Publikum. Das soll die Sendung mitgestalten. Doch will das Publikum überhaupt mitmachen?
Ist diese Sendung nun die Zukunft des Fernsehens? So klang es Mitte Mai jedenfalls beim ZDF zum Start des Nachrichtenformats „heute+“. Es löste die Sendung „heute nacht“ ab – und soll ein jüngeres Publikum ansprechen. Es soll „neu“ sein, innovativ, irgendwie cool und irgendwie „anders“.
Oder, in den Worten des Senders: „heute+ leuchtet blinde Flecken aus, hinterfragt den Nachrichten-Mainstream kritisch und bietet neue, überraschende Zugänge.“ Das Studio sei „modern und urban“, Grafik-Elemente „online-affin und vor allem mit Blick auf die Lesbarkeit auf mobilen Geräten gestaltet“. Ach ja, und: „Soziale Medien werden organisch in die Sendung und ihre Elemente eingebettet“.
Die Moderatoren sind jung und lässig
Die Häme nach der ersten Sendung war groß: Der Moderator habe sich ans junge Publikum angebiedert, die Beiträge seien zu oberflächlich. „heute+“ läuft nach wie vor jeden Abend gegen Mitternacht im ZDF. Zuvor ist die Erstausstrahlung der Sendung immer um 23 Uhr in der Internet-Mediathek des ZDF zu sehen. Sobald ein Beitrag fertig ist, teilen ihn die Macher außerdem in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook mit ihren Nutzern. Sie sollen darüber diskutieren und Anregungen geben.
Allerdings: Es ist ruhig geworden um „heute+“. Und die Fragen bleiben: Sieht so das Fernsehen der Zukunft aus? Oder zumindest: Ist „heute+“ die Zukunft des Nachrichten-Formats? Wer die Sendung einschaltet, denkt im ersten Moment nicht an Nachrichten.
Die Moderatoren Eva-Maria Lemke und Daniel Bröckerhoff sind modisch gekleidet. Sie begrüßen ihr Publikum schon mal mit „Tach auch, wir sind wieder hier, und ich auch.“ Kein Vergleich zum trockenen „Einen schönen guten Abend, ich begrüße Sie zum Nachtmagazin“ der Kollegen der ARD.
„heute+“ soll Menschen erreichen, die sich vor allem im Internet aufhalten, sagt Clas Dammann, Projektleiter der Sendung. „Am späten Abend kann man auch einen anderen Blick auf die Dinge werfen und andere Themen aufgreifen. Das funktioniert auch im Netz“, sagt er über die Kritik an „heute+“.
Ob das Konzept aufgeht, ist fraglich. Wer die Nutzer-Kommentare auf Facebook zur Sendung liest, merkt zwar schnell: Sowohl Redaktion als auch die Moderatoren schalten sich in Diskussionen zu Beiträgen ein, stellen Rückfragen und reagieren auf Anregungen. Von einer echten Diskussion lässt sich aber nicht sprechen, zu wenige Nutzer-Kommentare finden sich.
Warum wollen Medien das Publikum einbinden?
Und so ist „heute+“ wohl bis auf Weiteres ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Und Teil einer Entwicklung. Denn dass sich Fernseh- und Radiosender verstärkt darum bemühen, ihr Publikum einzubinden, hat Julius Reimer beobachtet. Er arbeitet am Hamburger Hans-Bredow-Institut, das sich mit Medienforschung beschäftigt. Dort hat er am Projekt „Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums“ mitgewirkt. Zusammen mit drei anderen Wissenschaftlern hat er untersucht, warum Medien das Publikum einbinden – und was das Publikum eigentlich davon hält.
Sie haben festgestellt: Gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen nutzt die Interaktionsmöglichkeiten, die sich durch soziale Medien und Kommentarfunktionen auf den Sender-Homepages bieten, vor allem um Menschen zu erreichen, die gar kein Fernsehen mehr schauen und ihre Nachrichten zum Beispiel über Facebook beziehen.
Hinzu komme: Die Senderverantwortlichen hätten das Gefühl, dass die Nutzer erwarten, dass jedes Fernsehprogramm und jede Radiosendung im Internet erreichbar sei. Sei es auf einer eigenen Homepage oder über ein soziales Netzwerk wie Facebook oder Twitter. „Wenn es keine Möglichkeit zur Interaktion gibt, fürchten die Redaktionen, Publikum zu verlieren“, erklärt Reimer.
Ob und wie mit den Beiträgen der Nutzer dann umgegangen werde, hänge stark von dem Medium und dem Format ab, in dem sie abgegeben würden. In einer Nachrichtensendung wie der „Tagesschau“ etwa spiele Nutzerbeteiligung fast keine Rolle, es sei denn, es gehe um Kritik oder Fehler, sagt Reimer. „Das Radio hingegen ist schon immer stärker ein Beteiligungsmedium. Auch, weil es nicht nur journalistische Inhalte vermitteln will, sondern unterhalten“, erklärt er.
Daniel Lutz, Programmgeschäftsführer des Augsburger Senders HitradioRT1 und Moderator der Morgensendung, kann das nur bestätigen. Dialog mit Hörern? Präsenz in Radio und Internet? Für ihn ist das nichts Neues. Sondern Alltag. Er nennt ein Beispiel: Ein Hörer schickte dem Sender einmal ein Video von einem Fisch, den er in einem See bei Augsburg entdeckt hatte und den er noch nie gesehen habe. Die Redakteure von HitradioRT1 unterhielten sich deshalb mit einem Angler, der sagte: „Eindeutig ein Stör.“
„Das hat ihn verwundert, denn Störe kommen bei uns nur sehr selten vor“, erzählt Lutz. Genauso lief die Geschichte in der Morgensendung. Kurze Zeit später klingelte das Telefon. „Es war ein Mann, der sagte: Ich muss jetzt mal meine Jugendsünde gestehen“, sagt Lutz. Früher habe der Mann einen Aquaristikbetrieb gehabt, unter anderem mit Stören. Dann habe er das Geschäft aufgegeben und die Tiere in einem See bei Gablingen ausgesetzt. „Das müssen wohl die Nachfahren sein“, habe er gemutmaßt.
Wenn Hörer mitmachen, ergeben sich immer interessante Geschichten
Lutz ist immer wieder begeistert, welche Geschichten sich ergeben, wenn Hörer mitmachen und einbezogen werden. Das gilt auch für die Aktionen von HitradioRT1. Bei der Aktion „Piss gleich“ wurde von dem Privatsender etwa eine öffentliche Toilette in Langenneufnach im Kreis Augsburg eingeweiht – mit rotem Teppich, Helikopterflug und Limousine.
Comedymann Herr Braun hatte einen Gemeinderatsbeschluss zum Anlass für einen Spaßanruf genommen. In der alten Schule sollte eine öffentliche Toilette eingerichtet werden, Braun veräppelte deshalb den Bürgermeister. Der lud ihn daraufhin ein – zum „Eröffnungsbieseln“.
Bleibt die Frage: Warum beteiligt sich das Publikum überhaupt an Medienangeboten? Wissenschaftler Julius Reimer sagt: „Das Gesamtpublikum scheint weniger Interesse daran zu haben, sich zu beteiligen. Gerade Radio und Fernsehen sind Medien, denen man zuhört oder zuschaut und sich dabei zurücklehnt.“ Aber wenn dem Publikum etwas auffalle, das es besonders interessiere, wolle es auch seine Meinung sagen.
In der Studie der Hamburger Forscher gaben viele Befragte zudem an, durch die Disskussionen mit anderen Zuschauern, Zuhörern oder Internetnutzern etwas dazuzulernen. Eine Antwort, die Journalisten überrascht habe, sagt Reimer.
Liegt die Zukunft des Rundfunks also im verstärkten Austausch mit dem Publikum? Reimer glaubt das nicht: „Einige Angebote haben viele Beteiligungsmöglichkeiten und andere gar nichts. Ich vermute, dass sich so auch das Publikum nach seinen Präferenzen aufteilen wird.“
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