Zwölf Stämme: „Alles ganz normal“
Nördlinger Arzt hat bei der Sekte jahrelang keine Auffälligkeiten beobachtet – bis zur Razzia der Polizei.
Ganz normal, ja besser als normal – so schilderte ein Nördlinger Kinderarzt seinen Eindruck vom Zustand der Kinder von der Gemeinschaft Zwölf Stämme, die während zwölf Jahren zu ihm in die Praxis gekommen waren. Zweite Zeugin in dem Revisionsprozess gegen eine ehemalige Lehrerin der Zwölf Stämme wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen vor dem Augsburger Landgericht war in der gestrigen Verhandlung eine Religionssoziologin aus Kanada. Sie untersucht neue Religionsgemeinschaften. Die 56-jährige Angeklagte soll Kinder wegen Kleinigkeiten mit Ruten geprügelt haben, manche angeblich täglich. Dafür wurde sie im Januar in erster Instanz vom Nördlinger Amtsgericht zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.
Zunächst schilderte der als Zeuge geladene Kinderarzt dem Gericht seine Kontakte mit Kindern aus der Sekte der Zwölf Stämme, die in Klosterzimmern gelebt haben. Von 2002 bis 2014 habe er mindestens 18 Kinder in Behandlung gehabt, vor allem wegen „normaler“ Probleme wie Mandel- oder Bindehautentzündung, Ekzemen oder für Kinder-Vorsorgeuntersuchungen. Lediglich in einem Fall habe er engeren ärztlichen Kontakt gepflegt, bei einem behinderten Mädchen mit Trisomie 21 – auch bekannt als „Down Syndrom“. Auffälligkeiten habe er bei den Kindern nicht beobachtet, sie seien von ihren Eltern stets rechtzeitig zum Arzt gebracht worden.
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