Wer ist Hanna: Ins Schwarze
Ein Mädchen als Kampfmaschine: Joe Wright verknüpft in seinem Thriller bildmächtiges Actionkino mit Märchenmotiven.
„Ich habe dein Herz verfehlt.“ Ein Film, der mit einem solchen Satz anfängt, hat schon gewonnen. Als Hanna (Saoirse Ronan) vor dem dahin gesunkenen Hirsch niederkniet, liegt ein kurzer Moment der Zärtlichkeit in diesem Bild, bis sie die Pistole zieht und dem Tier den Gnadenschuss gibt. Ein Mann springt aus dem Gebüsch und die beiden beginnen eine Schlägerei nach allen Regeln fernöstlicher Kampfkunst, aus der das Mädchen als klare Siegerin hervorgeht. „Den Hirsch kannst du allein nach Hause tragen“, sagt der Bärtige und verschwindet.
Die ersten zehn Minuten von Joe Wrights außergewöhnlichen Action-Thriller „Wer ist Hanna?“ sind furios und rätselhaft, atemlos und trotzdem voll kontemplativer Konzentration. Saoirse Ronan („Abbitte“) schlüpft in die Rolle der Hanna, und diese junge Schauspielerin ist eines der wertvollsten Geschenke, die das Kino in den letzten Jahren bekommen hat.
Aber wer ist diese Hanna, die dort im tiefen Wald mit ihrem Vater (Eric Bana) in einer Blockhütte wohnt? Die Beantwortung dieser Frage dauert 111 Filmminuten – jede davon ist spannend und von visueller Brillanz. Der Vater ist ein ehemaliger CIA-Agent, der seine Tochter in der Abgeschiedenheit Nordfinnlands zu einer Überlebenskampfmaschine ausgebildet hat. Nur zwei Bücher hat das Mädchen in seiner Hüttenkindheit gehabt: ein Lexikon sowie ein Märchenbuch der Gebrüder Grimm. Zwei Wege, die Welt zu begreifen, die sich auch der Film zueigen macht.
Cate Blanchett ist die böse Stiefmutter
Denn Wright verbindet hier kühn modernes Action-Kino mit mythischen Märchenmotiven. Dazu gehört vor allem die Figur der bösen Stiefmutter, die die wunderbare Cate Blanchett als CIA-Bevollmächtigte mit kompromissloser Niederträchtigkeit spielt.
Ein Sondereinsatzkommando verschleppt Hanna in ein Verhörzentrum in der marokkanischen Wüste, aus dem das Mädchen mit List und Schlagkraft flüchten kann. Mit einer britischen Hippie-Familie reist Hanna weiter und sieht zum ersten Mal, wie eine normale Kindheit mit Mutter, Geschwistern und Freundinnen aussieht. In Berlin kommt es im Märchenwald eines verlassenen Vergnügungsparks zum Showdown und zur Konfrontation mit der grausamen Wahrheit ihrer eigenen Existenz.
In „Wer ist Hanna?“ entwickelt der britische Regisseur Wright („Stolz und Vorurteil“, „Abbitte“) ein genaues Gespür für den Puls des Genres, in dem die Spannung gerade durch den Kontrast mit Momenten vollkommener Ruhe entsteht. Hanna ist eine durch und durch physische Kämpferin, die sich ganz auf ihre Körperkraft und Reaktionsschnelligkeit verlässt. Gleichzeitig gehört sie zu jenen mädchenhaften Heldinnen, die sich mit enormer Willensstärke den zerstörerischen Mächten der Erwachsenenwelt entgegenstemmen, so wie es kürzlich Hailee Steinfeld in „True Grit“ oder Jennifer Lawrence in „Winter’s Bone“ auf ganz anderem Terrain getan haben.
Eine Perle des Genres
Aber nicht nur die Kampfkraft, sondern vor allem die unbändige visuelle Energie und der Mut, auch in einem Actionfilm mit metaphorischem Bildmaterial zu spielen, machen „Wer ist Hanna?“ zur echten Perle eines Genres, das sich viel zu oft willenlos dem dumpfen Rausch der Effekte ergibt. ****
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