Kanha Nationalpark: Safari auf Indisch
Ob Barbecue mitten im Dschungel oder Pirsch nach dem Königstiger – im Kanha Nationalpark erleben Besucher genussvolle Höhepunkte. Ein Reisebericht.
"Monkey-Alarm aus Südwest“, ruft Guruji in den Salwald, „schnell dahin, bevor wir den Tiger verpassen.“ Der Nationalparkwärter klammert sich an seinen Sitz im offenen, nach oben gestuften Safari-Jeep und durchbohrt den im Morgennebel schwirrenden Dschungel mit suchenden Blicken. Sein Partner, Führer Ashish, tritt sofort auf das Gaspedal. Staub wirbelt auf, Reifen knirschen. Das eben noch müde Safaritouristenpaar in der ersten Reihe schaut aufgeregt umher, zieht sich die Decken fester um die Schultern, die Wärmflaschen dichter an den Schoß. Unaufhörlich schallt der Stakkatoruf der Languren aus dem Wald herüber. Immer lauter wird er, immer näher kommt der Jeep dem Alarmschrei der Affen. Doch dann ist es plötzlich wieder still.
Guruji und Ashish lauschen seit nunmehr 20 Jahren dem Warnruf der Languren. Sie sind ständig auf der Suche, in Alarmbereitschaft, in erwartungsvoller Neugierde, nur ein Ziel vor Augen: Den Safaritouristen ein Rendezvous mit dem Königstiger zu ermöglichen. Für die meisten Urlauber wäre es das Highlight ihrer Reise, schließlich ist dieser Tiger die gefährlichste Raubkatze der Welt. Im Kanha Nationalparl im zentralen Hochland Indiens sollen sich heute noch zwischen 50 und 70 dieser eitlen Einzelgänger verstecken. Zwischen immergrünen Salbäumen, die wie Besenstile in den Himmel ragen, silberfarbenen Languren und den letzten wild lebenden Hochland-Zackenhirschen, die ihr zwölfspitziges Geweih auf offenem Grasland und an Tümpeln zur Schau tragen, kann man sie manches Mal erspähen. Meist im Morgengrauen, wenn es mit 15 Grad Celsius noch eiskalt ist für indische Verhältnisse oder abends, wenn es wieder kalt wird. Nur dann trauen sich die Tiger aus dem Unterholz, das sie zur heißen Mittagszeit so schön vor der brennenden Sonne schützt.
Abseits des Trubels indischer Metropolen
Der Kanha Nationalpark erstreckt sich über 2000 Quadratkilometer am südöstlichen Rand des Bundesstaates Madhya Pradesh, ein Sechstel davon ist für den Tourismus geöffnet. Hier herrscht eine friedvolle Idylle, Natur pur abseits des Trubels indischer Metropolen und Menschenmassen. Pfauen stolzieren in Grüppchen umher. Seidenspinnen legen ihre tischdeckengroßen Netze aus. Permanent tropft es von den Blättern, ein Geräusch wie ein kleiner Regenschauer. Über dem Bamhni Dadar Plateau, wo die Einheimischen früher Felder bewirtschafteten, zieht ein Adler gemächlich seine Runden.
Am Eingang zum Park drängen sich die wenigen hellblauen Häuser des Dörfchens Mukki, zwei Kilometer weiter schauen die safranfarbenen Zeltsuiten der Banjaar Tola Lodge, der einzigen Luxusherberge, wie mexikanische Hüte zwischen hohen Bambushainen hervor. In großzügiger Reihe blicken sie auf den Banjaar River, der seine Farbe mit den Lichtverhältnissen von olivgrün über silbergrau bis stahlblau wechselt, und die Herde perfekt gepunkteter Axishirsche, die hier regelmäßig grast und trinkt. Safarizelten in Luxusform ist das, unter imprägnierter Leinwand, zwischen Skulpturen lokaler Künstler, in handgearbeiteten kreisrunden Bambusbetten mit Stoffen aus schönster indischer Seide – Butler inklusive.
Schon die Anfahrt ist ein Abenteuer. In fünf Stunden geht es im bequemen Privattaxi von Indiens geografischem Mittelpunkt, der Millionenstadt Nagpur, gen Nordosten – Zeit genug, um den Sitz auf bequem zu stellen und das Bollywoodleben an sich vorbeiziehen zu lassen. Zunächst geht es an schlichten Steinhäusern in Rosa und Azurblau vorbei, an Wiesen und Feldern. Kein Straßen-, kein Ortsschild. Ab und zu versperrt eine Affenhorde den Weg, säumt eine schöne Bahar-Allee mit ihren knorrigen Bäumen die Fahrbahn.
Aus einem Sandweg kommen drei Mädchen mit silberfarbenen Wasserschüsseln auf dem Kopf. Ganze Familien spazieren am Rande der Straße, die Männer im Anzug, die Frauen im leuchtenden Sari. Dann die ersten Dörfer, wo Kioske mit Bananen, Orangen und Äpfeln aus hellblauen Häusern schauen, Wasserbüffel gemütlich über die Straße trotten und hunderte Menschen geschäftig im Gespräch zu sein scheinen. Im Flusswasser des Bagnedi stehen weiße Rinder zwischen ebenso weißen Steinfelsen, daneben baden Kinder, Männer waschen ihre Haare – indisches Leben.
Frühstück auf der Motorhaube
Zurück im Kanha Park erschallt plötzlich wieder der Stakkatoruf der Languren, der Affenalarm. Dieses Mal gibt es tatkräftige Unterstützung: Ein Axishirsch scheint den Tiger gewittert zu haben und ergänzt seinen Wow-Schrei. Der Jeep-Trupp, frisch gestärkt durch ein spätes Rastplatz-Frühstück von der Motorhaube, wagt den nächsten Annäherungsversuch. Minutenlang bleibt es spannend. Wird sich der Tiger diesmal zeigen? Ist die Begegnung mit dem Urwaldkönig tatsächlich das Highlight dieser Tage?
Nein. Zwei massive schwarze Gaurbullen schnauben auf einer Lichtung. Atemschwaden steigen aus ihren Nasenlöchern, Gras raschelt unter den weißbestrumpften Hufen. Mit über einer Tonne Gewicht schieben sich die Zwei-Meter- Kolosse, die größten Rinder der Welt, hin und her, ihre Hörner ineinander verkeilt – ein seltenes Kampfritual. Weltweit gibt es nur noch geschätzte 10.000 dieser scheuen Tiere, in Zentralindien hat der Kanha Park die meisten.
Die Anfänge des Nationalparks waren nicht leicht. Bis zur Eröffnung als Tigerschutzgebiet 1973 unter der Schirmherrschaft von Staatschefin Indira Gandhi mussten zahlreiche Menschen umgesiedelt werden. Zwar gab es großzügige Abfindungen, doch angefreundet haben sich die Betroffenen mit der Situation erst, seitdem auch sie vom Tourismus profitieren – als Chauffeur für die Lodge oder als Tänzer bei deren Bayga. Der traditionelle Tanz der Bettler um ein offenes Feuer im Dschungel ist, neben dem Dinner am Pool, das Touristen-Highlight am Abend.
Wilderer machen Probleme
Die Zahl der Tiger im Park nimmt trotz der Schutzmaßnahmen seit Jahren ab. Das Wildern ist noch immer ein Problem, auch wenn es offiziell niemand laut zugeben mag. Bei einem Durchschnittslohn von 4000 Rupien im Monat, rund 50 Euro, ist es ein verlockender Zusatzlohn für manchen Inder. Da nützen auch die hohe religiöse Verehrung des Tigers und das Jagdverbot nichts.
Als sich Ashish am Nachmittag erneut mit seinen Safaritouristen aufmacht, haben die beiden bereits indische Haut Cuisine auf der Terrasse der Banjaar Tola Lodge genossen: Drei Salate aus Papaya, Rote Beete, Kichererbsen und Weißkohl, dann Hühnchentikka in Honig, Mewa Kebab und Orangen-Phirni, serviert auf einer armlangen Etagere – ein Genuss. Entspannung pur ist danach die Fahrt durch die ursprüngliche Nationalparknatur, in der über 200 Vogelarten mit ihrem Pfeifkonzert prahlen.
Plötzlich raschelt es im Gebüsch. Aufdringlich, immer wieder, dazwischen Stille. Ein ganzer Busch scheint in Bewegung, so als würde ihn jemand versetzen wollen. Ist das der Tiger? Doch kein Stakkatoruf, kein Affenalarm hat Gefahr vermeldet. Ashish, Guruji und das Safaripaar stehen vor ihren Sitzen. Dann zeigt er sich, für drei Sekunden nur, bevor er wieder im Unterholz verschwindet: ein Leopard. Ein Kraftprotz! Das gefleckte Fell glänzt in der Sonne. Ein schönes Tier. Später in der Lodge werden sie davon schwärmen, die Safaritouristen. Die Banjaar Tola Crew wird sie winkend begrüßen, ihnen ein Erfrischungstuch, dann einen Cocktail reichen, so wie immer. Doch die anderen Urlauber werden sie beneiden, denn für die Raubkatzensichtung gibt es keine Garantie. Allein schon deshalb wird es das Highlight dieser Tage sein, auch wenn der Leopard kein Königstiger ist.
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