Lüneburger Heide: Die Lust auf Lila
Ein Teil des Heidschnuckenweges in der Lüneburger Heide wurde auch schon zu Deutschlands schönstem Wanderweg gewählt. Ein Reisebericht.
Das erste „oha!“ kommt nach einer Stunde. Bis dahin war der Weg durch ein paar Vororte von Buchholz und durch Wald verlaufen. Nicht unangenehm – aber keine Sensation. Immerhin war er gut ausgeschildert: Immer wenn man dachte, jetzt geht gar nichts mehr, tauchte wieder eines jener weißen „H“s auf schwarzem Grund auf, die die ganzen 223 Kilometer des Heidschnuckenwegs zwischen Hamburg und Celle kennzeichnen.
Doch jetzt führt der Pfad aus dem Dunkel heraus – und da ist sie, erstmals, die Heide. Links und rechts steigen weite Flächen in Lila, Altrosa und Violett sanft an. Die Besenheide, Calluna vulgaris, steht in voller Blüte. Dazwischen schlängelt sich ein kiesiger Weg den Hügel hoch, dem jemand einst mit dem Namen Brunsberg gewaltig schmeicheln wollte. Einzelne Kiefern erheben sich dazwischen, Flecken mit kleinen Birken, die letzte Sommerhitze brütet im Gestrüpp.
Die Lüneburger Heide ist in Lilatöne getaucht
Auf dem 129 Meter hohen „Gipfel“ treffen fünf Wege sternförmig zusammen. Wie eine erhöhte Insel liegt die Kuppe mitten in einem anbrandenden Ring von Lila, dahinter erstreckt sich bis zum Horizont Wald. Und aus dem Südosten grüßt ein anderer Gigant herüber: Der Wilseder Berg, die höchste Erhebung in der norddeutschen Tiefebene, ist immerhin 169 Meter hoch. Eine Stunde später folgt der nächste Hügel dieser Art, der Pferdekopf. Zu seinen Füßen erstreckt sich das Büsenbachtal, ein sanftes, aber überschaubares Auf und Ab in Violett. Struppige Wacholderbüsche züngeln hervor, Birkenschösslinge drängen ans Licht – wartet nur, bis die Schnucken kommen! Dann führt der Weg wieder in Wald, verläuft am Ende gar parallel zur Straße, ehe Handeloh erreicht ist, der Endpunkt der zweiten Etappe nach 15 Kilometern. Das wandert sich alles ganz gelassen soweit – aber ist es wirklich der schönste Wanderweg Deutschlands?
Spätestens an dieser Stelle wird es Zeit für einen Grundkurs in Sachen „Heide“ für Anfänger. Es ist in der Lüneburger Heide nicht etwa so, dass man irgendwo aus dem Zug steigt, 300 Meter weit spaziert und sich garantiert in einer fliederfarbenen Idylle wiederfindet, rundum eine Herde von Heidschnucken, während von fern das Waldhorn erschallt und jemand Hermann Löns zitiert.
Die rund 7000 Quadratkilometer große Fläche ist ein Puzzle aus Rübenäckern, Städten, Pferdekoppeln und Wäldern, und die stahlgrüne Mais-Pest dringt auch hier immer weiter vor. Selbst in ihrem Herzen, dem 234 Quadratkilometer großen Naturschutzgebiet, machen die echten Heideflächen nur 20 Prozent aus. Der Heidschnuckenweg schafft es immerhin, 30 solcher „Hotspots“ unterschiedlicher Größe zu verbinden.
Es ist gerade mal 13 Uhr, kein Problem also, auch die dritte offizielle Etappe in Angriff zu nehmen. Wieder geht es in den Wald – aber in was für einen diesmal! Bemooste Birkenstämme modern kreuz und quer zwischen Heidelbeersträuchern, Licht fällt in Strahlenbündeln zwischen alten Kiefern ein, und hinter jungen Ebereschen glitzern Teiche, auf denen Wasserlinsen schwimmen. Ein verwunschener kleiner Urwald dämmert im Tal der Seeve vor sich hin, so unaufgeräumt, dass sich bei seinem Anblick die Nackenhaare jedes traditionellen Fortwirts sträuben würden.
Die Heidschnucken sind ein Markenzeichen der Lüneburger Heide
Hinter Wesel beginnt erneut Heide, und diesmal ist es die wahre. Zur Heide gehört Weite – und die hier ist weit und wellig und violett und altrosa, es summt in den Blüten und vor den Bienenstöcken, und nur ganz wenige Besucher sind an diesem Nachmittag unterwegs. Von ganz, ganz links bis nach ganz rechts erstreckt sich der farbige Teppich. Wacholderbüsche setzen Landmarken – fährt man mit der Hand über das stachlige Grün, riecht sie nach Gin. Auf einigen begrenzten Flächen zwischendurch steht das Heidekraut niedriger und gleichmäßiger, fast als wäre es angepflanzt worden.
Hier wurde „geplaggt“, erfährt man später im Heidezentrum in Undeloh: Seit Jahrhunderten hackten die Bauern das Heidekraut und die oberste Humusschicht ab und verwendeten sie als Streu für die Schafe. Nur so war gewährleistet, dass die Landschaft sich immer wieder regenerierte und nicht verbuschte. Heute erledigen Traktoren die Plackerei. Und auch die Heidschnucken taten und tun das Ihre, um die Flächen frei von aufkommenden Bäumen zu halten.
Sandige Wege schlängeln sich durch die Weseler Heide, das Land schlägt lila Wellen, die Spätnachmittagsonne lässt die Blüte purpurn aufleuchten. Und den ganzen Tag noch keine Heidschnucke in Sicht – immerhin sind noch sieben Herden mit fast 9000 Tieren unterwegs? O doch, es gibt sie. Abends auf dem Teller im Restaurant in Undelohe baden drei Scheiben dunkler, fettloser Schnuckenhüfte in einer sämigen, leicht bitteren Wacholderrahmsauce.
Die lebenden Schnucken und ihre Schäfer aber haben Wichtigeres zu tun, als sich von Touristen stören und Löcher in den Bauch fragen zu lassen. Die tummeln sich da, wo die Parkplätze weit, weit weg sind.
Die Diskussion ist geschlossen.