Paris lächelt wieder
Ein Jahr ist seit den Anschlägen von Paris vergangen. Die Stadt will sich seine Eigenart nicht verbieten lassen. Und doch hat die Bewachung zugenommen.
Früher Sonntagabend in Paris: Man könnte jetzt im Antiquariat in der Rue de Lyon stöbern, das hat geöffnet. 150 Meter weiter vorne an der Bastille strömen gerade die Leute aus der Oper. Sieht so aus, als ob diese Nachmittagsvorstellung ausverkauft war. Einige verschwinden in den Untergrund in die Metro, viele aber gehen auf ein Glas in eines der Cafés der Umgebung – besser gesagt: vor eines der Cafés. Man sitzt eng, Happy Hour, unter den Heizstrahlern kann man auch jetzt im Oktober im T-Shirt sein Bier trinken. 6 Euro das Pint – billiger wird’s nicht. Happy, wer einen freien Platz ergattert. Es dämmert langsam, Paris ist hellwach, auf den Straßen großes Passantentheater, ganz gewöhnlicher Auftritt der Individualität einer Weltstadt.
Noch immer gilt der Ausnahmezustand in Frankreich
Nicht so weit von hier mordeten vor einem Jahr, am 13. November 2015, Terroristen im Musikklub Bataclan und feuerten auf Besucher, die vor Cafés saßen. Die Fernsehbilder davon sind im Kopf, die Blumenberge auf den Straßen in den Tagen danach. Noch immer gilt der Ausnahmezustand in Frankreich – und in Paris damit im Besonderen. Was bekommt der Reisende davon mit? Einer, der Paris seit 30 Jahren regelmäßig (aber immer noch: viel zu selten) besucht, aber nicht hier lebt. Zunächst: Weniger Militär und martialische Polizeipräsenz auf den Straßen, als die Berichterstattung und manches alarmistische Geraune aus Paris hatte befürchten lassen. Ja: befürchten. Denn es verändert (und schlimmstenfalls: vergiftet) eine Stadt und die Atmosphäre, wenn du auf zu viele Gewehrläufe schauen musst und die Straße zu oft die Farbe von Uniformen hat, wenn dir mehr Patrouillen als schöne Zufälle begegnen. Was für viele nach mehr Sicherheit und Wachsamkeit aussieht, ist immer auch die Demonstration öffentlichen, kollektiven Misstrauens. Misstrauen beruhigt eigentlich nie, es erzeugt vielmehr vor allem Unbehagen.
Natürlich sind staatliche Gebäude, Ministerien und die Top-Plätze dieser Stadt sichtbar bewacht – aber an vielen Orten erschöpft sich das Sicherheitsaufgebot auf Taschenkontrollen und Metalldetektoren im Gebäude. Vor Notre-Dame stehen die Leute Schlange, weil es Einlasskontrollen gibt. Niemand kommt einfach so ins Kaufhaus Lafayette, ohne an einem Sicherheitsmann vorbei zu müssen, weshalb die Seiteneingänge alle geschlossen sind. Mal in die Taschen schauen wollen sie auch im gerade neu aufgemöbelten Forum Les Halles. Kein Gedöns, das funktioniert quasi im Vorübergehen. Leute stehen Schlange vor den Museen – aber das wäre nicht viel anders ohne die Prozedur. Keine Ahnung, wie das in anderen Ländern, bei uns zum Beispiel, wäre – aber die Vermutung, dass es weniger freundlich, weniger kultiviert abginge, ist erlaubt. Paris ist auch nicht New York, wo das zu lange Schauen und Stehenbleiben schon mal leicht als verdammt verdächtig interpretiert wird.
Misstrauen beruhigt eigentlich nie, es erzeugt vielmehr Unbehagen
Centre Pompidou: Sehr höflich und geduldig, aber mit geschmeidiger Gelassenheit werden die Besucher durch die Kontrollzone geschleust. Drinnen dann: alles wie früher und je. Keine Paranoia, nirgends ein Finger am Abzug. Überhaupt: Wenn es eine Stadt gibt, in der man, wenn es nicht anders geht, angerempelt werden will in einer vollen U-Bahn, dann Paris. „Oh, Pardon“ – die Leute sind auffallend höflich und rücksichtsvoll miteinander. Straßenmusiker bedanken sich im Waggon auch dann, wenn niemand eine Münze in den Becher wirft. Und wenn der Eindruck nicht täuscht, leben die Pariser ihren Alltag jedenfalls nicht unter der sichtbaren Last der Befürchtung, es könnte jederzeit überall zu einem Anschlag kommen.
Im Vergleich zu 2010, als ich zuletzt in Paris war, hat allerdings die softe, die kaum sichtbare Überwachung stark zugenommen. Nahezu überall im öffentlichen Raum finden sich die Glupschaugen von Kameras. Manchmal sehen sie aus wie Laternen mit zu kleinen Leuchtkörpern. Es dürfte nicht mehr viele Winkel in Paris geben, die außerhalb des Blicks dieses flächendeckend ausgebreiteten Glupschaugenaufgebots liegen. Aber an einem Freitagnachmittag auf der Ile Saint-Louis unter dem typisch grauen Pariser Himmel beispielsweise ist man vor Aufgeregtheit und lauernder Wachsamkeit, von Ausnahmezustand und Sicherheitsschleusen so sicher wie die Spaziergänger auf der jetzt für den Verkehr gesperrten Stadtautobahn vor Autos.
Weniger Besucher? Das mag sein, aber es sind immer noch genügend, um die Decks der riesigen Touristenboote abends auf der Seine mit einer Masse aus Köpfen zu füllen, über denen ständig Blitzlichter zucken. Dass die Stadt zu einem festungsartig gesicherten Freilichtmuseum geworden ist, in dem Touristen aus aller Welt unter Bewachung Attraktionen zwischen Eiffelturm und Louvre abklappern, trifft nicht zu. Auch wenn die Immobilienpreise in den Schaufenstern der Agenturen einen schwindlig werden lassen und die Mieten atemberaubend sind – Paris hat sein Eigenleben. An dem anfangs erwähnten milden Sonntag sind es vor allem die Pariser, die in den Bois de Bologne strömen – und in langen Blechschlangen und Staus unter Baumwipfeln zu entspannen versuchen. Auch wahr ist, dass wahrscheinlich noch nie so viel Englisch zu hören war. In der Metro, in den Bars, in den Läden, auf der Straße – la vie quoditienne klingt überraschend häufig fremdsprachig, strange.
Paris ist entschlossen, sich seine Art, Stadt zu sein, nicht zerstören zu lassen
Natürlich kann man als Besucher nicht beurteilen, wie sich die Pariser fühlen, welche Bilder ihnen durch den Kopf gehen, wenn Polizeisirenen durch die Straßen heulen oder wenn sie an einem Freitagnachmittag auf der graugrünen Seine dieses eine Schlauchboot sehen, in dem fünf Polizisten mit schusssicheren Westen stehen, Maschinengewehre im Arm. Ist etwas passiert? Ist das Routine? Hat sich die Sicherheitslage verändert? Es steht einem nicht zu, dieser Stadt Normalität zu bescheinigen. Traumatisierungen, die es geben wird, zeigen sich nicht auf dem Zebrastreifen, nicht am Brunnenbecken im Jardin du Luxembourg, wo die Kinder wie eh und je Segelboote mit Stöcken antreiben, nicht im Louvre.
Aber tatsächlich ist zu spüren, dass Paris entschlossen ist, sich seine Art, Stadt zu sein, nicht zerstören zu lassen. Nicht durch Wagenburgmentalität, nicht durch übertriebene Vorsicht, nicht durch ein Klima des Misstrauens.
Und als am Samstagmittag in den Seitenstraßen rund um die Place de la Republique dutzende Polizeifahrzeuge parken und sehr viele Beamte mit Vollgummi-Schutzausrüstung herumstehen, da zweifelt man kurz … Was ist los? „Ach, eine Demonstration gegen Ceta, nichts Aufregendes“, sagt eine Freundin, die in Paris lebt. Sie freut sich übrigens auf den Abend: Da geht sie zum Oktoberfest. Auch das gibt es in dieser Stadt.
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