Usbekistan: Ein bisschen wie in Tausendundeiner Nacht
Wer nach Usbekistan reist, taucht in eine andere Welt ein. Die Sowjetherrschaft prägt den Alltag. Bald sind Wahlen, das uralte Land sucht nach neuer Identität. Ein Reisebericht.
Die Stimme des Mullahs ist leise, aber fest. Der kühle Novemberwind trägt sein Gebet weit über den Stadtfriedhof von Samarkand, doch in diesem Moment gilt es nur einem Toten: Islam Karimow. Anfang September starb der Präsident der Republik Usbekistan an den Folgen eines Schlaganfalls. Viele Usbeken trauern bis heute.
„Karimow hat unser Land geboren und großgezogen“, sagt eine Frau aus Buchara, die eben noch am rosenbedeckten Grab saß. Nun spaziert sie durch Samarkand, etwas Sightseeing, man komme ja nicht oft hierher. Sie mag Ende 40 sein, schwer zu schätzen, aber offensichtlich ist, dass sie sich schick gemacht hat: Sie trägt ein grünes Kopftuch, große Ohrringe und eine schwarze Tasche; der gefälschte Dior-Schriftzug ist leicht in Schieflage geraten.
Sie habe geweint am Grab, erzählt sie und kommt langsam in Plauderlaune. Natürlich werde sie in eineinhalb Wochen zur Wahl gehen. Das Land braucht einen neuen Präsidenten und am besten sollte es einer werden, der schon reich ist. Die Frau lacht herzlich und zeigt dabei ihre goldüberzogenen Schneidezähne. Reich? Ja, denn wenn er schon genug hat, werde er vielleicht dafür sorgen, dass jetzt auch etwas beim Volk ankommt.
Für usbekische Verhältnisse ist diese subtile Kritik an Islam Karimow deutlich. 25 Jahre lang führte er die Republik – seit sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 für unabhängig erklärt wurde. Sein Regime galt als die härteste Diktatur der Region: Karimow zwang muslimische Geistliche auf Linie, verbot weltliche Oppositionsparteien und kontrollierte die Wirtschaft so stark, dass es auch nach 25 Jahren Eigenständigkeit noch keine echte Marktwirtschaft gibt. Ihn und seine Familie hat diese Form des Wirtschaftens reich gemacht. Ein Drittel der Bevölkerung dagegen lebt unter der Armutsgrenze.
Usbekistan ist reich an Bodenschätzen
Trotzdem wünschen sich viele Usbeken, dass die Wahl am 4. Dezember keine unberechenbaren Veränderungen bringt. Die besten Chancen unter den vier Präsidentschaftskandidaten werden deshalb Premierminister Shavkat Mirziyoyev eingeräumt. Er würde, hofft nicht nur die Frau aus Buchara, das Land im Stil Karimows weiterführen. „Für uns hieße das vor allem, dass wir in Frieden leben können.“
Usbekistan liegt mitten in Zentralasien, in direkter Nachbarschaft zum ewigen Krisenherd Afghanistan. Es ist ein unwirtlicher Wüstenstaat, dessen Städte und Siedlungen der Natur abgetrotzt sind. Die Menschen leben von der Landwirtschaft, vor allem von der Baumwolle. Doch während die Pflanze in anderen Ländern mehrjährig ist, muss in Usbekistan jedes Jahr neu gepflanzt werden: die Winter sind zu hart und die Sommer viel zu trocken.
Der Boden ist reich an Gold-, Erdöl-, Erdgas-, Uran- und Kupfervorkommen. Beim Volk allerdings kommt davon nicht viel an, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Das sorgt für Unzufriedenheit und steigert die Bereitschaft aufzubegehren. Terroristische Gruppen in Afghanistan und in Pakistan sehen in Usbekistan auch deshalb Potenzial für Rekruten. Den USA und der EU präsentierte sich Karimow als Partner im Kampf gegen den Terrorismus, weshalb der Westen ihm stets nachsichtiger begegnete als anderen Diktatoren. Ein weiterer Grund dieser Milde ist wohl, dass die Öl- und Gasvorräte Usbekistans Begehrlichkeiten wecken: Der Westen möchte mithilfe der Republik die Abhängigkeit von russischem Erdgas und dem Erdöl der Opec verringern.
In der Hauptstadt Taschkent ist der Einfluss der ehemaligen Sowjetunion, zu der Usbekistan über 70 Jahre lang gehörte, noch zu spüren. Seit 1977 verkehrt dort die einzige U-Bahn Zentralasiens. Über den Schächten der drei Linien prägen sozialistische Plattenbauten und breite, mehrspurige Straßen das Bild. Monumentale Regierungsgebäude posaunen die Macht des einstigen Präsidenten hinaus. Karimow ließ alles verbieten, was diese Macht hätte infrage stellen können, selbst in den Moscheen: Obwohl 90 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, hört man in keiner Stadt einen Muezzin vom Minarett rufen, die Imame predigen niemals von der Kanzel – nicht einmal die Religion sollte über dem Herrscher stehen.
Die Frauen in Usbekistan lieben kräftige Farben
Doch Usbekistan ist auch ein offenes Land. Die Frauen lieben kräftige Farben, Strass und Glitzer. Sie tragen keinen Schleier, höchstens ein lose gebundenes Kopftuch. Und die Menschen erzählen gern. Bei einem Spaziergang durch einen Vergnügungspark treffen wir früh am Morgen auf Akbar. Er verkauft Zuckerwatte, seit vielen Jahren schon. Drei Frauen hat er, eine sei nach Russland ausgewandert. Mit seiner jüngsten, 36, und dem gemeinsamen dreijährigen Sohn steht er nun hier, mischt geduldig Zucker und Rosenwasser und wickelt die klebrigen Fäden um dünne Holzstäbe. Am Ende des Tages werde hoffentlich so viel Geld zusammengekommen sein, dass er seiner Familie Essen kaufen kann.
Ein paar Kilometer weiter fotografieren sich drei Frauen aus dem usbekischen Ferghanatal vor der Festung Ark. Sie sind mit dem Auto angereist, Freundinnen, ein gemeinsamer Ausflug. Ob sie denn keine Männer dabeihaben? Sie lachen: Nur einen, man brauche schließlich einen Fahrer, aber für ihren gemeinsamen Bummel haben sie ihn fortgeschickt. Fast 20 Minuten unterhalten sie sich mit uns Touristen aus Europa – und laden uns am Ende zu sich nach Hause ein. Es ist ein ernst gemeintes Angebot: Die Menschen in Usbekistan sind herzlich und gastfreundlich; wo die Sprache als Verständigungsmittel an ihre Grenzen gerät, behelfen sie sich mit Händen, Gesten und einem aufrichtigen Lachen.
Usbekistan wirbt um Touristen
Buchara, Chiwa und Samarkand waren einst bedeutende Handelszentren auf der Route der Seidenstraße. Abgesehen von wohlklingenden Namen erinnern Moscheen, Medresen (Koranschulen) und Minarette an diese Zeiten. Die mit blau-weißen Kacheln verzierten Kuppelbauten überstrahlen bei Sonnenlicht das sandig-braune Land. Ein bisschen Orient noch, ein bisschen Tausendundeine Nacht – zur Ordnung gerufen durch mehr als 70 Jahre Sowjetherrschaft. Was es bedeutet haben muss, mit schwer beladenen Karawanen durch dieses karge Land zu reisen, erschließt sich am ehesten, wenn man mit dem Zug von Stadt zu Stadt fährt. Erst dann bekommt man ein Gefühl für die Landschaft, die Entfernungen. Die Eisenbahn zählt in Usbekistan zu den beliebtesten Verkehrsmitteln, komplette Wohnungseinrichtungen werden in den Waggons von einer Stadt zur anderen transportiert. Die ersten Linien entstanden um 1890, inzwischen gibt es Verbindungen in alle „-stan“-Länder der ehemaligen Sowjetunion. Das Schienennetz wird kontinuierlich ausgebaut.
Auch für Touristen, um die Usbekistan zuletzt stark geworben hat, ist eine Zugreise interessant: Wer auf eigene Faust fährt, wird in den meist übervollen Abteilen mit Einheimischen ins Gespräch kommen, wobei etwas Russisch hilft, wenngleich die Landesspreche usbekisch ist. Wer sich für eine organisierte Zugtour entscheidet, bekommt Länder und Orte zu sehen, die individuell nur schwer zu bereisen wären. Es ist Nachmittag geworden an diesem Novembertag und die Schlangen vor der Grabstätte Islam Karimows werden langsam kürzer. Bald wird die Sonne untergehen über den Moscheen Samarkands. Die Händler im Basar werden ihre Waren zusammenräumen und nach Hause gehen. Wahrscheinlich werden sie bei einer Tasse Tee dann über das sprechen, was das Land beschäftigt: Die Frage nach der Zukunft, die hoffentlich doch besser wird. Inschallah – so Gott will...
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