Wenn der Blick in die Freiheit wehtut
Die Vöhringerin Sieglinde Aigner arbeitete fast zwei Jahrzehnte als Psychoanalytikerin in der Justizvollzugsanstalt in Aichach. Warum sie dabei ganz neue Sichtweisen gewann.
Wenn Sieglinde Aigner durch Vöhringen geht, begegnet sie meist einigen Bekannten. Man redet übers Wetter, lacht, ein bisschen Smalltalk eben. Schließlich ist die 72-Jährige ein echtes Vöhringer Gewächs, sie ist hier geboren und aufgewachsen, arbeitet jedoch in München. Wer die Leichtigkeit sieht, mit der sie auf andere zugehen kann, käme wohl nie auf den Gedanken, dass sie lange Zeit im Gefängnis war. „Ich war im Knast“, spöttelt Aigner selbst mitunter. Auf dem Kerbholz hat die Vöhringerin, die den verein für Stadt- und Industriegeschichte leitet, allerdings nichts – sondern einen außergewöhnlichen Berufsweg hinter sich. Als Psychoanalytikerin war Aigner 18 Jahre in der Justizvollzugsanstalt in Aichach (Kreis Aichach-Friedberg) tätig. Dort hat sie einiges erlebt: Menschliche Schicksale und schreckliche Geschichten. Sie saß dutzenden Straftätern gegenüber, hatte mit Kindsmörderinnen zu tun, mit Prostituierten, Betrügern und Dieben. Aber nie kommt das Wort „Sträfling“ über ihre Lippen. Für sie waren Männer und Frauen, die eine Straftat begangen hatten, Menschen denen man helfen musste. Ob diese Hilfe gelang? Da antwortet sie nur: „Ein Drittel schafft den Sprung ins normale Leben, zwei Drittel kommen zurück.“ Und dann schwingt ein bisschen Resignation in der Stimme mit.
Ihren beruflichen Weg hat sie sich selbst vorgegeben: Als sie begann als Zwölfjährige auf ihren Fahrten zur Schule Sigmund Freud zu lesen, den Urvater der Psychoanalyse. Das Thema faszinierte sie. Sie wollte Psychologie studieren. Doch zunächst sah es nicht so aus, dass ihr das gelingen würde. Sieglinde Aigner stammt aus einer Handwerkerfamilie. Das Geld war knapp. So erübrigte sich die Frage nach dem Besuch des Gymnasiums. Die Mittlere Reife schaffte sie an der damaligen Mittelschule – heute Realschule – in Neu-Ulm. Aber sie gab den Gedanken an ein Studium nie auf. 1969 begann sie als Beamtin beim Fernmeldeamt Ulm, wechselte dann nach München. „Dort gab es ein Abendgymnasium und ich konnte dort Abitur machen.“ Nach vier Jahren hatte sie es geschafft. Ihre Abitur-Arbeit wurde mit 1,5 benotet. Aigner studierte an der Ludwig-Maximilian-Universität und hielt 1981 ihr Diplom in Händen. Ihre Abschlussarbeit beschäftigte sich mit der „Psychologie im Strafvollzug.“ Was die Professoren damals überzeugte war nicht nur die reale Situation der Psychologen in Haftanstalten, sondern auch deren Typisierung. „Da gibt es die Organisatoren, den durch seine Arbeit zum Zyniker gewordenen Psychologen, den Pragmatiker und den realistischen und idealistischen Therapeuten.“ Sie zählt sich zu den Letztgenannten.
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