Augsburgs neue „Traviata“ gehört den Frauen
Am Theater Augsburg punktet Sophia Christine Brommer in der Titelpartie der Oper Verdis, Carolin Nordmeyer überzeugt als Dirigentin. Durchwachsen ist die Regie von Markus Trabusch.
Augsburg In den Publikumsjubel nach vollbrachter Premiere war gewiss ein Gutteil Erleichterung darüber gemischt, dass auf die zuletzt am Theater Augsburg hervorgebrachte Zwölfton-Moderne („Lulu“) und die darauf folgende Operettendekonstruktion („Fledermaus“) nun mit „La Traviata“ nicht nur wieder der Belcanto Einzug hat halten dürfen, sondern bei der szenischen Realisation auch die Axt im Werkzeugkasten der Regie belassen worden ist. Das Frohlocken über die Zugänglichkeit der Produktion vermag bei nüchterner Betrachtung freilich kaum verdecken, dass die Neuinszenierung nicht in allen Belangen halten kann, was sie verspricht.
Der Liebhaber brutzelt ein Wokgericht
Augsburgs Schauspieldirektor Markus Trabusch hat mit „La Traviata“ seine erste Oper inszeniert. Die ursprünglich im Paris des 19. Jahrhunderts situierte Geschichte der Kurtisane Violetta Valéry, die kurz vor ihrem krankheitsbedingten Ableben in echter Liebe entflammt für den Studenten Alfredo, hat Trabusch ins Heute gehoben – das von Violetta zu Beginn eifrig gepflegte Herumfingern auf einem iPad weist darauf ebenso hin wie das im ersten Bild des II. Akts zentral positionierte schicke Küchenmodul, an dem Alfredo ein Wokgericht brutzelt. (Das japanisierende Bühnenbild von Volker Hintermeier entfaltet hier, im Verbund mit Su Bühlers Kostümen, durchaus ironischen Charme.) Doch aus diesem Heranholen auf der Zeitachse zieht Trabusch keinen Gewinn. Die Fetische heutigen Lebens bleiben leere Requisiten, werden nicht zu Schlüsseln, die neue Räume in einer alten Geschichte öffnen. So überzeugend der Ansatz – die Wirkmacht von Bildern, die Gefahr ihres Missbrauchs –, so enttäuschend die Durchführung des nun wahrlich aktuelle Relevanz enthaltenden Themas.
Ähnlich verblasst im Laufe der Aufführung auch die Zeichnung der Figuren. Trabuschs Einführung der Violetta besitzt zunächst plastische Kontur: eine Frau, die, wenn der Vorhang sich hebt, ihre Dolce Vita als durchaus reizvoll erlebt. Diese Tiefenschärfe findet sich jedoch nicht in den folgenden Wandlungsstadien Violettas, weder in den Szenen der um ihre Liebe kämpfenden (II. Akt) noch der in Agonie versinkenden Frau (III. Akt) – das Agieren bleibt hier konventionell und voll unbestimmten Ausdrucks.
Blutleer auch die anderen Protagonisten: Man fragt sich, ob in eine zwar anrüchige, doch kultivierte Frau wie Violetta angesichts eines derart oberschülerhaft herausgeputzten Kerlchens wie Alfredo tatsächlich der Liebesblitz einschlagen kann? Und was den alten Germont, Alfredos Vater, betrifft: Von der Hitze des argumentativen Zweikampfs, den er sich mit Violetta im II. Akt liefert, ist in dem vonstattengehenden biederen Händeringen nichts zu verspüren. Wie viel szenische Energie vermag da doch die stumme Rolle eines Todesengels (Ulrich Rechenbach) zu entfalten, der Violetta von Beginn an immer wieder nahekommt, sie am Ende in forderndem Sprint umkreist, um sie schließlich auf die Arme zu nehmen und hinwegzutragen – ein starkes Bild für einen auf der Bühne nicht so ohne Weiteres wirkungsvoll darzustellenden Exitus!
Auch tönend ein steter Fingerzeig aufs Ende
Schon wenn im Orchestervorspiel das Liebesmotiv über einem typischen Verdi-Rhythmus einsetzt, macht Dirigentin Carolin Nordmeyer deutlich, dass sich in dieser Oper das Hochgefühl nur im Spiegel der Trauer zeigt. Augsburgs 2. Kapellmeisterin hat fraglos ein Händchen für Verdi. In den schnellen Nummern pulst es nur so, und dem Orchester hat sie einen rauen, unsentimentalen Klang verordnet, der auch in den melodieseligsten Momenten ein steter Fingerzeig aufs unausweichliche Ende ist. Nur in den Großszenen mit ihrer Abfolge verschiedener Tempi und Rhythmen vermisst man (noch) den dramaturgisch stimmigen Bogen, erscheint manches doch allzu gewollt verlangsamt und so der Spannung beraubt.
Auch von Ji-Woon Kim und seinem Alfredo ist man angenehm überrascht, scheint der Tenor doch an Fülle und an dunkel getönten, maskulinen Farben zugelegt zu haben – dass er heldische Spitzen meidet, etwa am Ende von „O mio rimorso“, mag man ihm nicht verargen. Dass Dong-Hwan Lees Bariton hervorragende Qualität besitzt, bestätigt er als Vater Germont erneut; nur müsste dazu noch ein stärker auf die Rolle bezogenes Agieren treten, im Falle Germonts wohl ein Quäntchen Demagogie.
Sophia Christine Brommer, sie hat es schon als Lucia bewiesen, ist Augsburgs erste Wahl für das Belcanto-Fach. Zwar mangelt es ihrem Singen nicht an Eigenheiten. Angeschärft, mit vernehmlichem Hauchlaut klingt es immer mal wieder in der Mittellage – man hat den Eindruck, dass die Sopranistin zu vehement um Ausdruck bemüht ist, wo sie eigentlich nur Verdis Linie vertrauen müsste. Dann aber erhebt sich die Stimme in die Höhe, beginnt zu leuchten und kristalline Glanzpunkte weit über dem Liniensystem zu setzen. Doch keine überzeugende Violetta ohne mezza voce, ohne gedämpften Ausdrucksgesang – Sophia Christine Brommer rundet auch in dieser Hinsicht, vor allem in der großen Abschiedsarie „Addio del passato“, ihre Violetta zum ergreifenden Rollenporträt.
Wieder am 14., 16., 22., 25. März
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