Becketts "Endspiel" feiert eine umjubelte Premiere
Dieter Dorn zelebriert bei den Salzburger Festspielen Becketts „Endspiel" vor den Augen von Kanzlerin Merkel meisterhaft. Die Zuschauer erfahren eindringlich das Gewicht der Zeit.
„Das ganze Leben dieselben Fragen, dieselben Antworten.“ – „Das Ende ist immer nah und doch macht man weiter.“ – „Wenn ich falle, werde ich weinen – vor Glück.“ Was Angela Merkel wohl denkt, wenn sie solche Sätze hört?
Wäre die Bundeskanzlerin nach der umjubelten Premiere von Samuel Becketts verstörend diabolischem „Endspiel“ am Samstagabend mit ihrem Mann nicht so schnell aus dem Landestheater Salzburg verschwunden – man hätte sie vielleicht fragen können. Wie sie sich des Gefühls erwehrt, dass alles Tun und Reden, alles Hoffen und Miteinander vergeblich und sinnlos sein könnte. Wie sie die Endlosschleifen der Wiederholung und die Leere aushält, von der unsere Gefangenschaft im Dasein bestimmt ist …
Becket nannte sein Stück "Endspiel" einmal einen Gruselschocker
Beckett nannte sein 1957 in London uraufgeführtes düster-absurdes Kammerspiel in einem Akt einen „Gruselschocker“ im Vergleich zu seinem „Warten auf Godot", das dagegen „der reine Frohsinn“ sei. Auf der kahlen Bühne der Salzburger Festspielpremiere ist ein trostloses Verließ zu sehen: Vergilbte, fleckige Wände, ein Raum, in dem drei Versehrte nicht mehr vom Fleck kommen. Hamm, blind und lahm, sitzt mittig in einem thornartigen Sessel. Seine Eltern Nagg und Nell, die ihre Beine bei einem Tandem-Fahrradunfall verloren haben, hausen am Rand in Mülltonnen, die sie nie verlassen können. Nur Clov, der Diener Hamms und vielleicht sein Pflegesohn, ist ächzend und stöhnend in Bewegung – gekrümmt, gequält und mit steifen Beinen herumschlurfend, seinerseits unfähig, zu sitzen.
Wie in einem illegalen Keller-Versuchslabor lässt Beckett diese vier grotesken und abgerissenen, von Verfall und Versehrtheit gezeichneten Figuren miteinander die Zeit totschlagen. Verwahrloste kriechen einer Morgenröte entgegen, die nicht kommt. Sind sie die letzten Überlebenden auf der Erde? Müssen sie zwanghaft spielen („Warum diese Komödie jeden Tag?“, fragt Clov einmal) damit sie überhaupt existieren? Sie wetzen sich mit Bosheit und Zärtlichkeit aneinander, um ein paar Funken Licht aus dem düsteren Leben zu schlagen, zu dem sie verurteilt sind. Sie klammern sich an Rituale, würgen am Überdruss, wünschen sich zum Teufel und schreien ihre Verzweiflung heraus.
In "Endspiel" erfährt der Zuschauer eindringlich das Gewicht der Zeit
Das Absurde hält sie in Atem und vieles scheint alternativlos. Clov: „Wenn ich diese Ratte nicht töte, dann wird sie sterben.“ Hamm: „Die armen Toten.“ Manchmal hoffen sie, ein wenig. Dass am Horizont etwas auftaucht, dass sie die Kraft finden, zu gehen, dass es Brei gibt oder Beruhigungsmittel, dass beten hilft, dass es endlich zu Ende geht. Und? Nichts. Nichts. Gott existiert nicht. „Noch nicht.“
Tatsächlich hat man im Theater lange nicht mehr so beklemmend eindringlich das Gewicht der Zeit erfahren, ja: zelebriert gesehen. So gedehnt und entschleunigt, so souverän und furchtlos runtergedimmt auf Beckett-Pulsfrequenz. Altmeister Dieter Dorn (Bühnenbild: Jürgen Rose) führt mit seiner vollkommen mätzchenfreien, puristisch texttreuen Inszenierung (Kooperation der Salzburger Festspiele mit dem Burgtheater Wien) ein Meisterstück der dienenden, uneitlen Regie vor. Erkenntnis durch Aushalten. Sogar der Wecker kann so lange klingeln, bis er eben aufhört zu klingeln. Die Szenerie darf sich Minuten entwickeln, bis auf der Bühne überhaupt einmal das erste Wort fällt: „Ende.“
Schauspieler Nicholas Ofczarek und Michael Maertens spielen feinsinnig
Mit den Burgtheater-Stars Nicholas Ofczarek als Hamm und Michael Maertens als Clov hat Dorn zwei überragende Schauspieler, die Becketts abgrundtief gezeichnetes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Herr und Knecht feinsinnig ausgestalten. Insbesondere Maertens prägt diese Inszenierung durch seinen Clov, der ein unheimliches, beunruhigendes Wesen bleibt. Wir lachen über ihn („Nichts ist komischer als das Unglück“), aber dann geht sein Blick in die Ferne und bohrt sich in die Augen der Zuschauer. Fragend, flehend, wissend: Wenn es ein Entkommen gibt aus all dem – sagt es. Oder ist das Ende doch nur der Anfang? Bravorufe, Jubel nach der Schockstarre.
Das Stück wird am 1., 3., 4., 6. 7. und 8. August gespielt.
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