Blutbad im Schwimmbecken
Operndirektor Matthias Kaiser inszeniert Richard Strauss’ „Elektra“ als optisch packendes Drama mit guten Solisten und einem groß aufspielenden kleinen Orchester
Was für eine Familie: König Agamemnon gewinnt seine Frau Klytämnestra, in dem er ihren Mann und ihr Kind tötet und sie vergewaltigt. Klytämnestra revanchiert sich, indem sie zusammen mit Liebhaber Ägisth dann Agamemnon ermordet. Sohn Orest wird in die Verbannung geschickt, die Töchter Elektra und Chrysothemis im Palast gefangen gehalten. Wer würde da keinen Knacks bekommen?
Richard Strauss’ 1909 uraufgeführte Oper „Elektra“, die nun am Theater Ulm Premiere feierte, ist in erster Linie ein psychologisches Drama über drei Frauen, die dringend professionelle Hilfe bräuchten: Elektra, die besessen von Vater Agamemnon ist und vor Hass und Blutdurst geradezu kocht, Chrysothemis, die sich in die Opferrolle fügt und von einem Helden gerettet/gefreit werden möchten, und Klytämnestra, die mit Hokuspokus dem eigenen Tod entkommen will.
Regisseur Matthias Kaiser und sein Team – Detlev Beaujean (Bühne) und Angela C. Schuett (Kostüme) – fügen dieser Konstellation keine weiteren Deutungsebenen hinzu, verlegen sie aber in eine ästhetisch überwältigende postapokalyptische Szenerie, die ein wenig an „Mad Max“ oder Zombiefilme erinnert. Die Zuschauer blicken in das leere Becken eines verfallenen Schwimmbads. Dort vegetiert Elektra (Susanne Schimmack), eine abgestürzte Momo mit verfilztem Haar, wie ein eingesperrtes Tier dahin – mit Agamemnons Mantel als Kuscheldecke. Besuch bekommt sie von der alienhaften Chrysothemis (Edith Lorans) im Hochzeitskleid, die zwanghaft ihre Finger putzt und Blut abtupft – sowie von Klytämnestra, einer menschlichen Ruine mit Plastikmantel und Birkenstocks, die Beine mit Pflastern übersät. Die Wunden der Seelen sind auch äußerlich sichtbar.
„Elektra“ ist eine Oper, die an den Nerven zerrt: Strauss’ kantige, in Ulm relativ transparente Musik, das pathetische und blutrünstige Libretto Hugo von Hofmannsthals, die Figuren selbst, die aus einem Psychologie-Lehrbuch stammen könnten. Wobei die Solistinnen positiv auffallen: Gast Susanne Schimmack als Elektra dosiert Wut und Hysterie nicht sparsam und zeigt nach ihrem Auftritt in „Turandot“ erneut eine überzeugende Leistung in Ulm. Edith Lorans als Chrysothemis gefällt mit verwundeter Sensibilität in der Stimme – wobei das Textverständnis mitunter leidet. I Chiao Shih zeichnet ihre Klytämnestra differenziert: nicht nur Monster, sondern auch Opfer. Und die Männer? Sie sind nur Randfiguren, abgesehen von Orest. Schade nur, dass Tomasz Kaluzny nach der ergreifenden Erkennungsszene durch das leere Becken irren muss wie ein Handwerker bei der Schwimmbadtechnik-Inspektion.
Bemerkenswert an diesem Abend ist, wie gut die Philharmoniker im engen Ulmer Graben vergessen lassen, dass diese Oper eigentlich für eine viel größere Besetzung geschrieben ist: Generalmusikdirektor Timo Handschuh kitzelt aus seinem Orchester eine Intensität und eine Dynamik heraus, die diese „Elektra“ zu einem musikalischen Erlebnis machen. Am Ende: euphorischer Applaus und Bravo-Rufe für die Solistinnen.
Wieder am 11., 15. und 23. Februar. Weitere Vorstellungen bis Anfang Juni.
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