Literaturnobelpreis 2016: Die vielen Gesichter des Bob Dylan
Bob Dylan wurde als Protestsänger gefeiert. Auf seinen Tourneen spielte das Multitalent Folk, Country und Blues. Nun bekam er den Literaturnobelpreis 2016. Ein Porträt.
Gibt es Bob Dylan überhaupt? Und wenn ja, wie viele Dylans sind es denn? Die Frage ist legitim, denn kein anderer Musiker der Popwelt hat sich als Chamäleon immer wieder so neu positioniert wie der einstige Folk-Pionier. Nicht eingeordnet werden zu können in die Fächer einer Musikbox – das macht auch sein Charisma aus.
Für seine Lieder wurde er oft gefeiert und geehrt - nun sogar mit dem Literaturnobelpreis 2016. Die Jury lobt seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Song-Tradition.
Literaturnobelpreis 2016 an Bob Dylan: Der Sänger ist immer unterwegs
Der Bob Dylan macht sich nichts daraus, dass er erstaunlicherweise von seiner eigenen Generation noch immer abgelegt wird als Protestsänger und gelegentlicher Filmschauspieler. Es gibt kaum einen besseren Sachwalter der amerikanischen Populärgeschichte als den inzwischen verknitterten Songpropheten. Eben hat er das Album „Fallen Angels“ herausgebracht, den Nachfolger der ebenfalls Standard-Songs gewidmeten CD „Shadows In The Night“.
Wer am liebsten die Best-of-Platten auflegt mit „Masters Of War“ oder „The Times They Are A-Changing“ – das ist Dylan Nr. 1 –, sollte die Finger lassen von „Fallen Angels“.
Und wer auch immer einen Meter Regalbreite für Jazz reserviert hat, sucht sich womöglich andere Versionen von „Polka Dots And Moonbeams“ oder „Young At Heart“. Wie soll da Dylan, dessen Stimmbänder offenbar mit Kreide behandelt wurden, konkurrieren mit Frank Sinatra und all den Pseudo-Sinatras?
Er kann – zumindest mit der lässigen Version von „That Old Black Magic“, die allein schon das Album rechtfertigt. Dylans Absicht: die große amerikanische Musiktradition der 30er Jahre glaubwürdig ins Heute zu verlagern. Wie Blues, Country, Vaudeville, Minstrel-Klänge samt Texten, die Shakespeare und Rimbaud atmen. Was er schon in den Sixties tat.
Und er ist ständig unterwegs. Im Moment hat er seine „Never Ending Tour“ unterbrochen. Was den Mann umtreibt, in hunderten von Hotelzimmern weltweit zu nächtigen, was die Fantasie eines Song-Autors nicht gerade beflügelt, wissen wir nicht. Wahrscheinlich hat er einfach Lust darauf, vor Publikum aufzutreten. Und jedes Konzert anders zu gestalten. Lieder zu zertrümmern, sie aber gleichzeitig neu zu erfinden.
Oft versteht man die Worte nicht, die er mit den Arrangements seiner eingespielten Band verbindet. Egal, man staunt über seine Themen, über die politischen wie religiösen Figuren, über die er seine knarzende Stimme legt und es schafft, soziale Utopien und konservative Vergangenheitsbewältigung zu kombinieren.
Bob Dylan: Vom Protestler zum Songautor
Freilich war er mal ein Folk-Hero. Von Joan Baez in die Protestszene eingeführt, eroberte er auch das strenge Publikum des alljährlichen Newport-Festivals, bei dem er erstmals eine elektrische Gitarre einstöpselte. Ob das dem Folk-Onkel Pete Seeger nicht passte oder einfach nur der Sound unerträglich war, darüber streiten sich die Folk-Gurus noch heute. Fakt war, dass das Trio Peter, Paul & Mary Dylans „Blowin’ In The Wind“ zum Riesenhit machte.
Das war Dylan Nr. 1. Aber im Grunde genommen hatte er mit der politischen Community nicht viel am Hut. Zumal er sich 1966 nach einem Motorradunfall in das legendäre pinkfarbene Haus bei Woodstock zurückzog, um mit den Haudegen von The Band Songs aufzunehmen.
Was da entstand, machte den einstigen Protestler zum Songautor erster Güte. Songs wie „I Shall Be Released“, „Mighty Quinn“ und „This Wheel’s On Fire“ ließen die Tantiemen plätschern wie einen Bach in einem Wäldchen Neu-Englands.
Folgt Dylan Nr. 2. 1969 wurde er von der Linken beschimpft, weil er auf dem Album „Nashville Skyline“ ein Duett mit Johnny Cash gesungen hatte. Cash, das spätere Monument der Country Music, galt damals als reaktionär. Dylan stand drüber. Spielte mit ausgefuchsten Nashville-Musikern sein unterschätztes „Self Portrait“ ein, unter anderem mit Songs der Everly Brothers und Gordon Lightfoot. Die Kritiker zeigten mit dem Daumen nach unten.
Das taten sie auch, als der aus einer jüdischen Familie stammende Musiker zum Christen mutierte und seine Alben schwächer wurden (Nr. 3). Bis er sich fing, vor allem mit „Modern Times“ (1996) und „Tempest“ (2012). Auf dem lieferte er eine Hommage an John Lennon ab („Roll On John“). Metaphern-König Dylan singt sogar „I Heard The News Today, Oh Boy“, womit er den Beatles-Song „Day In The Life“ zitiert.
Bob Dylan, Nr. 4: So belesen muss einer erst mal sein. Shakespeare ist bevorzugtes Opfer seiner Textkaskaden. Das fing schon 1966 an mit „Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again“. Wenn der Blues durch die Literaturgeschichte wandert, ist bei einem wie ihm vieles möglich. Als Dylan zwischen 2006 und 2009 in den USA eine kuriose Radioshow mit Musik für Oma und Opa moderierte, las er einmal in der Pause aus Shakespeares „Hamlet“ vor.
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