Das Nein zum gekreuzigten Frosch
Eine heiße Debatte ist im sommerlichen Deutschland entbrannt. Im Kern geht es darum, wie stark Kunst und Medien den Religionen zusetzen dürfen.
Muss es sich Papst Benedikt XVI. gefallen lassen, abgebildet zu werden in einer Soutane, die vorn und hinten befleckt ist mit Exkrementen? Muss die katholische Gemeinde Sankt Peter in Köln es hinnehmen, dass ein Künstler ein gekreuzigtes Schwein ausstellen will? Nein, sie müssen es nicht. Im einen Fall genügte der Verweis auf die Persönlichkeitsrechte des Papstes, die durch die Darstellung mutmaßlich verletzt wurden, dass die Satirezeitschrift Titanic ihren umstrittenen Titel unter der Überschrift „Die undichte Stelle ist gefunden“ zurückzog. Im anderen Fall sagten der Pfarrer und der Kurator der geplanten Ausstellung in der Kunststation Sankt Peter schlichtweg Nein zum gekreuzigten Schwein – weil in der Kirche Gottesdienst gefeiert wird.
Bamberger Erzbischof fordert ein Gesetz gegen Blasphemie
Eine heiße Debatte ist im sommerlichen Deutschland entbrannt: Wie arg darf Kunst, dürfen Medien den Religionen zusetzen? Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick forderte ein Gesetz gegen Blasphemie: „Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden.“ Religiöse Werte und Gefühle verdienen laut Schick staatlichen Schutz. Eine Gesellschaft, die das, was religiösen Menschen hoch und heilig sei, nicht schütze, schade sich selbst. Sie dränge einen Teil ihrer Bürger an den Rand oder sogar in den Untergrund. Gegen heilige Personen, heilige Schriften, Gottesdienste und Gebete, heilige Geräte und Gegenstände und auch gegen Prozessionen dürfe keine öffentliche Verunglimpfung zugelassen sein.
Gotteslästerung beleidigt „schwerer und tiefer“
Steht also künftig in jeder Kabarettaufführung wieder ein Polizeispitzel, der unbotmäßige Äußerungen protokolliert und zur Anzeige bringt? Hatten wir schon im Kaiserreich und dann nochmals im Dritten Reich. Werden Staatsanwälte die privaten Fernsehkanäle auf vulgäre, platte und geschmacklose Religionsbeschimpfung durchkämmen? Sollte ein Saubermann das Gezwitscher in den sozialen Netzwerken kontrollieren? Es wäre völlig unmöglich, die schiere Masse an öffentlichen Äußerungen zu überblicken.
Der Philosoph Robert Spaemann meint dazu: „Gott braucht nicht geschützt zu werden. Er ist es, der schützt. Geschützt werden müssen Menschen, denen es um Gott geht.“ Sie würden durch eine Religionsbeschimpfung beleidigt – „und zwar schwerer und tiefer als durch Beleidigung ihrer eigenen Person“. Tatsächlich: Erhebliches Unbehagen beschleicht den Bürger, der an Gott glaubt, wenn nach Lust und Laune in den Schmutz gezogen wird, was ihm heilig ist. Blasphemie zielt auf das Verletzlichste der Religion: ihr Gottesgeheimnis, das sie in Symbolen und Riten ausdrückt.
Der konservative Schriftsteller Martin Mosebach pries vor wenigen Wochen in der Berliner Zeitung den „Wert des Verbietens“: „Blasphemie als lässige Attitüde oder als kalkulierte Spielerei ist billig und feige“, schrieb er. Sie verstoße gegen die instinktive Abneigung, Wehrlose zu verletzen. Zensur und Strafe für Blasphemie sei keineswegs eine Bedrohung für die Kunst. Vom Standpunkt des Künstlers aus – so argumentiert Mosebach – „ist in der Geschichte der Kunst die Beschränkung dieser Freiheit der Entstehung von Kunst höchst förderlich gewesen. Nicht alles aussprechen zu dürfen, von rigiden Regeln umstellt zu sein, hat auf die Phantasie des Künstlers überaus anregend gewirkt und sie zu den kühnsten Lösungen inspiriert.“ Zum Beleg bemühte er den Wiener Satiriker Karl Kraus: „Ein Satz, den der Zensor versteht, wird zurecht verboten.“
Der Anspruch des Künstlers auf seine Freiheit ist total
Dort jedoch, so Mosebach im selben Atemzug, wo den Künstler das eigene Genie drängt, „muss er schreiben, was ihm die Engel oder die Teufel, die Musen oder die Dämonen, sein Unbewusstes und seine Träume ins Ohr blasen und diktieren“. Denn: „Der Anspruch des Künstlers auf seine Freiheit ist total und duldet nicht die geringste Einschränkung“, findet er. Die Konsequenzen dieser Freiheit – schlimmstenfalls Bestrafung – müsse er allerdings in Kauf nehmen. Der wirklich freie Künstler werde den Preis generös begleichen, auch wenn es seine Existenz gefährdet.
Ingo Schulze, ein ebenfalls hochgelobter Schriftsteller, geboren 1962 in der DDR, hat für derlei Pathos nur ironischen Spott übrig. Jawohl, die Kunst brauche Leidensdruck, damit sie nicht in der Ödnis des Anything goes still vor sich hin grast und wiederkäut, schrieb er in der Frankfurter Rundschau. Die DDR-Zensurbehörde habe eben die Schriftsteller ernst genommen, die von ihr bestraft wurden. Karl Kraus liege in diesem Fall nicht richtig: „Die Zensoren haben alles verstanden, auch unsere besten Autoren. Sie verstanden sogar meist mehr als diese selbst.“
Vor allem Muslime verstehen bei Gotteslästerung keinen Spaß
Heikel wird es, wenn Mosebach dem Druck der Straße das Wort redet. „Seitdem in Deutschland eine starke islamische Minorität lebt, ist plötzlich wieder Musik in die Sache gekommen“, schrieb er. Sie verstünden in Hinsicht auf Blasphemie keinen Spaß. Mosebach bekannte sich „unfähig, mich zu empören“, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern einen „gewaltigen Schrecken“ einjagen. „Hat die Fatwa Rushdie etwa geschadet?“, keilt Schulze ironisch zurück und erinnert daran, dass der aufgehetzte Mob ein paar von Rushdies Übersetzern „abgemurkst“ habe. Sollte es im Ernst wieder salonfähig werden, dass Schlägertrupps ihre Sache selbst in die Hand nehmen, weil sie die Ehre von Mohammed oder Jesus durch Künstler verletzt sehen?
Strafgesetz sanktioniert „beschimpfenden Unfug“
Selbst der abgeklärte Philosoph Spaemann fürchtet um die innere Stabilität Deutschlands. „Ein Staat, der seine Bürger nicht gegen die Verunglimpfung dessen, was ihnen das Heiligste ist, schützt, kann nicht verlangen, dass diese Menschen sich als Bürger ihres Gemeinwesens fühlen“, unkt er finster. Dabei bestehen einschlägige Paragrafen in der Bundesrepublik. Im Strafgesetzbuch mit Sanktion belegt ist sowohl die Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“ (§ 166), als auch die Störung der Religionsausübung durch „beschimpfenden Unfug“ (§167). Würde eine Gay-Pride-Parade mit grell kostümierten Teilnehmern in aufreizenden Posen absichtlich zur Provokation eine Fronleichnamsprozession queren, kann der Staat sanktionierend einschreiten.
Oft wird von denen, die schärfere Blasphemie-Verfolgung fordern, angeführt, der weltanschaulich neutrale Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst weder schaffen noch garantieren kann. Immerhin wurde das Grundgesetz verfasst „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Der Staat sei mithin verpflichtet, jenen Gott, auf dessen Geboten er seine sittliche Ordnung aufbauen will, vor Schmähung zu bewahren, „die dieser Ordnung auf Dauer den Respekt entziehen würde“ (Mosebach).
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