Degenhardt, Anwalt der Schmuddelkinder
Es gab bessere Sänger und bessere Dichter, aber es gab keinen, der so eigensinnig, so unverbiegbar war wie er. Nachruf auf den umstrittenen Liedermacher Franz Josef Degenhardt.
Am besten hat Franz Josef Degenhardt seine verzwickte Lage in der „Großen Schimpflitanei“ zusammengefasst. Dafür brauchte er gar nicht zu dichten, er reihte einfach Zitate aus den Droh-, Schmäh- und Hassbriefen aneinander, die über Jahre verlässlich in seinem Briefkasten landeten. „Rote Advokatensau...hau ich dir die Fresse blau... Abschaum von der schlimmsten Art...Gaskammer für Degenhardt!“ Im Konzert vermischten sich bei diesen Zeilen Gelächter und Entsetzen zu Lauten zwischen Oh und Ah; im wirklichen Leben haben ihm die aggressiven Konfrontationen zugesetzt. Wieso zog er Hass auf sich? Warum wurde gerade er zum Feindbild? Was FJS für die deutsche Linke war, war FJD für die deutsche Rechte.
Die Lieder des Kommunisten nicht mehr gespielt
Vermutlich war es gar nicht eines seiner Lieder, das so heftige Reaktionen auslöste. Es war wohl sein Bekenntnis: Franz Josef Degenhardt war Kommunist, einfach so, ohne Einschränkungen und Kapriolen, ohne die Koketterie, die Kommunisten in Deutschland erst salon- und talkshowfähig macht. 1978 trat er in die DKP ein. Da hatte ihn die SPD längst ausgeschlossen, da hatten die öffentlich-rechtlichen Sender längst beschlossen, seine Lieder nicht mehr zu spielen.
Der DKP blieb er treu, auch nach dem Zusammenbruch der DDR, der sein Weltbild weniger durcheinanderbrachte, als hämische Kritiker erwartet hatten. Die DDR, das war für Degenhardt ein redlicher, wenn auch nicht überzeugender Versuch. Das Unredliche an diesem Versuch blendete er aus. Nicht der real existierende Sozialismus war seine gedankliche Heimat, sondern der total idealisierte Kommunismus.
Wer Degenhardt verstehen will, muss zweierlei kennen: seine Lieder und seine Herkunft. In der tiefsten Provinz, im westfälischen Schwelm, wurde er 1931 geboren. Er wuchs in einem Elternhaus auf, das eisern katholisch war und sich unbeirrt gegen die Nazis stellte. Aus seiner Familie ging der Kardinal Joachim Degenhardt hervor. In gewisser Weise blieb Franz Josef Degenhardt sein Leben lang in dieser Welt seiner Kindheit zuhause.
Vom Krieg blieb er geradezu besessen
Dass er den Katholizismus gegen den Kommunismus tauschte, ist nur für den überraschend, der beides schlecht verstanden hat. Gerechtigkeit, universeller Anspruch, das Aufbegehren gegen die Obrigkeit, das Mitleiden an der Not anderer, das Gewissen als letzte Instanz – Degenhardt schrieb die Lektionen seiner Kindheit in seinem politischen Denken fort. Dazu gehörte auch, dass er vom Krieg, von der Angst vor alten und neuen Nazis und von der Verehrung des Widerstandes zeitlebens bewegt, ja geradezu besessen blieb.
Das einzige Lied, das eine größere Öffentlichkeit erreichte, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ (1965), war ein Zufallserfolg. Allerdings traf der ironische, antibürgerliche Ton den Nerv jener Zeit, in der Generationen und Wertewelten aufeinandertrafen. Manchmal wollte Degenhardt auch Raubein und Rüpel sein, radikal und rabiat. Doch wer ihn kennenlernte, war überrascht, auf einen zarten, geradezu sanftmütigen Menschen zu treffen.
Degenhardt blieb immer Außenseiter
„Deutscher Sonntag“, die „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“, vor allem aber sein wohl bestes Lied, die zeitlose Hymne „In den guten alten Zeiten“, gehörten ins Brevier der Post-68er-Generation. Degenhardt, promovierter Jurist, RAF-Verteidiger, Romanautor, Katzenfreund, Pfeifenraucher und Vegetarier, blieb immer ein Außenseiter, selbst in der deutschen Liedermacherszene. Er blieb selbst das Schmuddelkind, mit dem sich keiner so recht einlassen wollte.
Es gab bessere Sänger als ihn und bessere Dichter, aber es gab keinen, der so eigensinnig, so unverbiegbar war wie er. Degenhardt starb am Montag in Quickborn bei Hamburg. Er wurde 79 Jahre alt.
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