Der anonyme Weltstar
Das Phantom ist 80: Thomas Pynchon
Man mag von Bob Dylan und dem Bohei um den Literatur-Nobelpreis halten, was man will: Die Spannung, ob er zur Verleihung erscheint, den Preis überhaupt annimmt und die dazugehörige Rede hält – das wäre bei einem anderen, immer wieder gerne gehandelten Kandidaten mindestens ebenso groß gewesen – und seine Preiswürdigkeit als Literat dazu wohl unumstritten. Die acht Romane, die der am heutigen 8. Mai 80 Jahre alt werdende Thomas Pynchon geschrieben hat, werden von amerikanischen wie deutschen Kritikern allesamt für nicht weniger als „Weltliteratur“ gehalten. Und dabei ist der Mann ein Phantom!
Keiner außer einer Handvoll offenbar Eingeweihter in seiner (auch literarischen) Heimat New York weiß, wie Thomas Pynchon aussieht; er ist nach seinem sensationell klugen und erfolgreichen Debüt „V.“ (1963) im Alter von 25 Jahren untergetaucht. Von ihm existieren nur drei sehr alte Fotos. Hätte da der Nobelpreis nicht wunderbar gepasst in eine Zeit, in der so viel über die gläserne Identität des Menschen geredet wird? Und in der mit Elena Ferrante eine Autorin für Furore sorgt – nicht nur weil schon der Auftakt zu ihrer vierteiligen Siziliensaga, das Buch „Meine geniale Freundin“, so viele beglückte, sondern auch, weil die Frau hinter diesem Pseudonym eigentlich unerkannt bleiben wollte (aber nicht durfte, weil dies ein besonders engagierter investigativer Journalist zu verhindern wusste)? Thomas Pynchon macht das seit bald 55 Jahren! Was wäre das also für ein literarischer Nobelpreis-Wirbel geworden … Aber jetzt: Ob Pynchon die nächste Chance für einen Amerikaner noch erlebt? Ob wir überhaupt von seinem Tod erfahren würden?
Sein letztes Lebenszeichen liegt vier Jahre zurück: „Bleeding Edge“, ein so spannender wie aberwitziger wie fachkundiger Roman über die Terroranschläge vom 11. September und die Untiefen des Internet im Dark Web. 2014 dann kam die erste Pynchon-Verfilmung ins Kino, „Natürlich Mängel“, ein Buch von 2009: Kiffer-Detektiv-Satire-Thriller oder so, schrullig, eher leicht zugänglich wie sein Gesellschaftsroman „Vineland“. Typischer für Pynchon ist der furiose 1200-Seiten-Ritt „Die Enden der Parabel“ – nur für fortgeschrittene Leser geeignet. Nobelpreis hin oder her – das alles bleibt uns sowieso von ihm. Und diese Präsenz in der Abwesenheit, diese Nicht-Lebensgeschichte.
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