Die Zauberflöte als Fortsetzungsstory
Mozarts Oper "Die Zauberflöte" war bei den Salzburger Festspielen ein musikalisches Hochamt unter Nikolaus Harnoncourt.
Salzburg Dass selbst Mozarts „Zauberflöte“ nicht als Solitär vom Himmel gefallen ist, sondern als Story gleichsam Eltern, Geschwister, Kinder hat, weiß die Theaterwissenschaft. Sie war nur eine Station einer modischen Zauberopern-Reihe am Wiener Theater auf der Wieden, dieser Volksoper Emanuel Schikaneders, gestorben 1812. Die Gattung bereicherten eine „Zauberinsel“-Oper (1790), eine „Zauberzither“-Oper (1791) und als Fortsetzung „Das Labyrinth“ (1798), „der Zauberfloete zweyter Theil“ von Schikaneder und Peter Winter. So sonnenklar wie beim Musical heute, war bei dieser Zauber-Singspiel-Fabrikation: Erst kommt der Verkaufs-, dann der Kunstwert, Mozart und Konsorten hin oder her. Das Volk will sich vergnügen, die Kasse hat zu klingeln.
Mit hohem Ernst und ansteigender Feierlichkeit
So grundverschieden also ist die Lage gar nicht, wenn nun Salzburgs neuer Intendant Alexander Pereira seine ersten Sommerfestspiele auf der Opernbühne mit Mozarts „Zauberflöte“ einläutet und in ein paar Tagen noch das „Labyrinth“ folgen lässt, in dem sich – kein Scherz – viele kleine Papagenos und Papagenas tummeln. Ist diese Kombination nicht ein Zeichen? Ein Zeichen für das von Pereira geschätzte Theater für die ganze Familie?
Nach der vom Publikum eher ermattet aufgenommenen Premiere in der Felsenreitschule kann die Frage kaum bejaht werden. Sie wird von Nikolaus Harnoncourt am Pult mit hohem Ernst und ansteigender Feierlichkeit auf den Händen getragen – und wenn sich auch Jens-Daniel Herzog, Lieblingsregisseur Pereiras, einige alpenländische Spaßetteln (von mäßiger Zündkraft) erlaubt, so wirft er doch insgesamt nicht mit dem Speck nach der Wurst. Trotz Dirndln, trotz eines „weanerisch“ parlierenden Papageno, der die von ihm erlegten Singvögel aus einem italienischen Dreirad-Lieferwagen heraus verkauft: Das Gewicht dieser „Zauberflöte“ liegt nicht auf prallem Volkstheater, sondern auf bedeutungslastiger Haupt-, Staats- und Prüfungsoper. Allein schon deshalb, weil Herzog das Reich Sarastros als ein strenges, ja mitunter rabiates medizinisch-wissenschaftliches Institut mit angeschlossenem Zöglings-Internat zeigt. Es herrscht Zucht; die Laboranten führen Dossiers über ihre Weisheitsanwärter und deren Fortschritte; die Aspiranten in Schuluniform schlafen in Stockbetten. Ein repressiver Zirkel, der – man kann es als Theaterrequisit schon nicht mehr sehen – den „politischen“ Gefangenen Säcke über die Köpfe stülpt. Das Ganze spielt zwischen türgefüllten Felsenreitschul-Arkadenbögen, die wie die Stoffprospekte der Barockoper vierfach hintereinander gestaffelt sind und durch Verschieben zwischen den 28 Auftritten des Werks immer neue labyrinthische Ortssituationen umreißen (Ausstattung: Mathis Neidhardt).
Dass es hier wie in Wagners „Ring“ letztlich um nichts anderes als Macht geht, dies zeigt das Finalbild, in dem sich Sarastro und die Königin der Nacht um den „siebenfachen Sonnenkreis“ balgen: eine Apparatur, die im Herzschlagrhythmus blinkt und zuvor an Sarastros Hinterkopf angeschlossen war. Tamino aber trägt das rätselhafte Ding davon und beugt sich mit Pamina, Papageno, Papagena und dem Publikum ratlos darüber. Wie erwähnt: Fortsetzung folgt.
Herzog hat in all das demonstrativ viel Hirnschmalz und Assoziationsmaterial investieren wollen – bis hin zu Brandschutzanzügen für die Feuerprobe, bis hin zu einer zwar elektrisch ferngesteuerten, aber dennoch am intravenösen Tropf hängenden Papagena. Doch nicht seine gesuchte Ausdeutung der „Zauberflöte“ bleibt die Hauptschwäche der Inszenierung, sondern seine konventionelle, fast steife Personenregie mit den Unarten des Stadttheaters alter Prägung. Bis auf Papageno und die Pennäler – die drei (Tölzer) Knaben sind vergreiste Kinder – kann sich hier keiner richtig lockermachen für das Singspiel, das also immer wieder in sich selbst erstarrt.
Allerdings zelebriert Harnoncourt auch die Partitur. Ihm hätte ein Regisseur zur Seite gestellt werden müssen, der das tiefbohrende Auskosten der Musik durchgängig mit Leben und menschlicher (Re-)Aktion füllt. Nun aber blickt allein Mozart in alle Seelen seiner Protagonisten, und Harnoncourt sowie der viel gerühmte Concentus Musicus Wien mitsamt der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sind ihm (erstmals bei der „Zauberflöte“) Sprachrohr. Auf historischen Instrumenten wird bei extremen Tempi gestochen scharf, gewissenhaft und voller Sorgfalt musiziert. Hier erhält quasi jede Note ihrer Funktion nach Eigengewicht. Kantabel in den Hauptstimmen, trocken-knapp in den Harmoniestimmen. Das Nebeneinander der Instrumentalfarben bleibt unerreicht; der geduldige Hörer kann sich versenken. Ein tönend reflektierendes Hochamt für Mozart und seine einfühlende Menschlichkeit.
Pamina und Papageno erzielen Bewunderung
Die Sänger profitieren vom heiligen Ernst: voran Georg Zeppenfeld als gravitätischer Sarastro und Bernard Richter mit substanzvollem und klarem Tamino-Tenor. Julia Kleiter (Pamina) und Markus Werba (Papageno) erzielen in ihrer schönen Gesangsnatürlichkeit mitfühlende Bewunderung. Mandy Fredrich (Königin der Nacht) kann erst in der Rache-Arie vollends überzeugen; Papagena (frisch: Elisabeth Schwarz) kommt sowieso erst spät am Abend, nach dreieinhalb Stunden, zu dankbarem Auftritt. Und Monostatos, der in Salzburg, wie Mozart ihn tatsächlich immer schrieb, nämlich Manostatos, heißt? Im entscheidenden Moment („Alles fühlt der Liebe Freuden“) beeindruckt Rudolf Schasching durch seine gesungene Angst, bei sittlich ungehörigem Voyeurismus entdeckt zu werden.
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