Die großen Rätsel der Welt? Fragen Sie doch Dan Brown!
Auf der Buchmesse stellen sich viele Fragen – über den Buchmarkt etwa und die Bestseller. Manche Fragen aber sind so komplex, dass sie nur der amerikanische Star-Autor lösen kann.
Es gibt eine Geschichte, die Dan Brown gerne erzählt. Also oft. Wer schon viele Interviews mit dem amerikanischen Bestsellerautor gelesen hat, kennt sie. Aber weil sie so schön ist und noch dazu von Weihnachten handelt, soll sie hier noch einmal erzählt werden. Weihnachten in der Familie Brown, das verlief nämlich früher so: Da kam der kleine Dan herunter, rannte zum Weihnachtsbaum, suchte nach Geschenken und fand nur einen Zettel: Auf dem stand ein Rätsel, ein Code. Erst wenn er den geknackt hatte, wusste er, wo er weitersuchen musste. Zum Beispiel im Kühlschrank. Da lag dann wieder ein Zettel, wieder mit einem Code. So ging es durchs ganze Haus, und das letzte Rätsel führte wieder zurück zum Baum: Da lagen dann die Geschenke. Für kein Kind der Welt also ist Weihnachten jemals rätselhafter gewesen als für Dan Brown. Er liebt dieses Spiel mit den Codes noch immer, nun aber spielt er es mit der ganzen Welt.
„Origin“ heißt der fünfte Roman um den Harvard-Professor Robert Langdon, der vor einer Woche erschienen ist. Das Übliche, könnte man sagen: Es geht um Gott und die Menschheit, das ganz große Ding also. Irgendwo gibt es eine versteckte Botschaft, irgendwas muss entschlüsselt werden, keiner kann das so gut wie Langdon. Keiner auch so schnell, ein Tag sollte reichen. Nebenbei klappert er diesmal die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Spaniens ab, Guggenheim-Museum in Bilbao, Gaudis Sagrada Familia in Barcelona. Das Übliche ist aber vor allem dies: Keine Woche auf dem Markt, schon steht Browns Roman auf Platz eins der Bestseller-Listen. Und wenn es daher einen Schriftsteller gibt, der auf die Buchmesse in Frankfurt verzichten könnte, weil mehr Aufmerksamkeit in dieser Bücherwelt schier nicht möglich ist, dann Brown. Er ist dennoch da.
Und mit ihm ja auch wieder all diese anderen Büchermenschen, Verleger, Autoren, Buchhändler, die wie Pilger jeden Morgen zum Messeturm ziehen, um die großen Rätsel der Branche zu lösen: Wird das Lesen überleben? Was passiert mit dem Buchmarkt? Gibt es so etwas wie eine Bestseller-Garantie? Und wie kann man die Menschen noch zu den Büchern bringen, wenn alle immerzu aufs Smartphone starren und abends ihre Serien bei Netflix glotzen. Die großen Fragen eben. Letztendlich immer noch unbeantwortet, insofern ist die Messe also genau der richtige Ort für einen wie Dan Brown beziehungsweise Robert Langdon. Wann hatte der Mann schließlich schon mal fünf Tage Zeit, um ein Rätsel zu knacken? Sollte klappen.
Noch so eine Frage: Wie geht es mit Gott weiter?
Erst einmal sind aber andere wichtige Dinge zu klären. Wie es zum Beispiel mit Gott weitergeht. Es mag auf dieser Messe wirklich sehr viele sehr kluge Menschen geben, die in den wie Waben angeordneten Ständen sehr kluge Worte zum Zustand der Welt und der Literatur äußern, aber die XXL-Fragen sind nur etwas für Dan Brown. Der lächelt fein, streicht sich durchs geföhnte Haar, muss aber doch einmal etwas klarstellen: Er weiß das gar nicht! Er sei weder so klug wie sein Held, noch so mutig und mit seinen Romanen wolle er die Menschheit auch nicht belehren, sondern nur gut unterhalten. Was man an dieser Stelle vielleicht anfügen darf: Er sieht auch nicht ganz so knuffig aus wie der Schauspieler Tom Hanks als Robert Langdon. Der wirkt wiederum dafür oft ein wenig ramponiert und Brown mit blauem Sakko und heller Hose wie aus dem Ei gepellt.
Aber zurück zu, äh, genau, dem lieben Gott. Nein, natürlich nicht Dan Brown, der ist Agnostiker und sieht die Sache so: Organisierte Religion werde wohl nicht überleben, ein äußerlicher Gott verschwinden, nicht aber die Spiritualität, die sich mit einer künstlichen Intelligenz kurzschließen werde… Zu kompliziert? Etwas ausführlicher, nämlich auf 670 Seiten, steht das so ähnlich auch im neuen Roman. Daraus wird Dan Brown auf dieser Messe auch lesen. Wie es ja alle tun und dann darüber reden, die wenigsten aber wie Brown vor 1800 Zuhörern.
Wer sich nur lange genug durch die Hallen treiben lässt, mal hier lauscht, mal da, braucht zumindest für den Small-Talk gar nicht in die Bücher hineinschauen. Mit den Gesprächsfetzen lässt sich schon ordentlich etwas anfangen. „Robert Menasse? Ist doch der neue Buchpreisträger.“ „Stimmt ja, großer Europa-Roman.“ „Und, klingt total verrückt, aber den Terroranschlag in Brüssel hatte er im Buch bereits vorhergesehen.“ „Echt?…“ „Und, bei Rushdie gewesen?“ „Salman? Ja, Gott, war das voll. Sagt übrigens Ähnliches wie Menasse, dass sein Roman schon gewusst habe, dass Donald Trump gewählt würde, er selbst es nicht habe wahrhaben wollen…“ „Na, so was, interessant. Ich gehe jetzt rüber zu Sebastian Fitzek, Thrillerautor, hält bei den Selbstpublishern einen Vortrag, wie man erfolgreich wird, hahaha...“ „Na dann viel Spaß noch, man sieht sich!“ „Heute Abend bei Yasmina Reza?“
Ist es jetzt finster in der Buchwelt oder doch heiter bis wolkig?
In fünf Tagen kann man auf der Messe keine einzige Seite gelesen haben und dennoch zumindest ein Gefühl für diesen Bücherherbst bekommen. Wobei, es fühlt hier ja jeder anders. Auch so ein Rätsel. Ein Verleger erklärt, es sei schon sehr finster in der Buchwelt und alle, die Verlage und die Autoren, würden nur noch die Hälfte verdienen. Ein anderer Verleger sieht die Lage wolkig bis heiter. Weil doch Geschichten erzählen und konsumieren auch für die neuen Generationen wichtig sei. Und dazwischen mahnt die Augsburgerin Eva Leipprand vom Verband der deutschen Schriftsteller, dass durch billige Bücher der „Self-Publisher“ allmählich eine „Umsonstkultur“ in der Branche etabliert werde. Unwetterwarnung also. Tatsache aber ist: Der Sommer war mies, minus ein Prozent, der Herbst sollte besser groß werden, und zwar mit solchen Kalibern wie Dan Browns „Origin“ oder Daniel Kehlmann und seinem Roman „Tyll“.
Kehlmann hat während dieser Messe dort gelesen, wo nur die Großen lesen. Im Schauspielhaus. Vor ihm war Michel Houellebecq an der Reihe, schmal und strubbelig, und die Frankfurter Allgemeine hat ihn danach mit einem „wurmstichigen Waran“ verglichen. Dann kam Kehlmann, gut gekämmt, las aus seinem Roman, und so großartig klang das Ganze, dass jedem Waran die Spucke weggeblieben wäre… Aber Houellebecq war da natürlich schon wieder lange fort.
Kehlmann, dessen Roman vom Dreißigjährigen Krieg handelt, hat beim Schreiben übrigens auch etwas Merkwürdiges erlebt. „Die Gegenwart, in der ich lebe, und die Zeit, über die ich schreibe, sind einander immer näher gekommen.“ Das nun, muss man sagen, ist tatsächlich besorgniserregend. Für die heutige Zeit… Ken Follett, dessen neuer Roman „Das Fundament der Ewigkeit“ nur ein paar Jahrzehnte früher, im 16. Jahrhundert spielt, hat hingegen das Gefühl, dass die damaligen Bewohner von Kingsbridge vielleicht vernünftiger gewesen sind als manche heutigen, hätten so einen Quatsch wie den Brexit nämlich nie mitgemacht: „Alles remainer.“ Europäer eben.
Wann ermittelt Robert Langdon in China, wann in Abu Dhabi?
Follett ist im übrigen Atheist, aber geht sehr gerne noch in die Kirche, auch wegen der Musik – „wenn sie gut ist“. Und damit wäre man, verrückte Sache, auch schon wieder bei Dan Brown, dessen Mutter nämlich Kirchenmusikerin war, sein Vater Mathematiker. „Symbols and codes“, was sollte der Mann schon anderes werden. Noch Fragen? Aber natürlich. Zum Beispiel, wann Robert Langdon in China ermitteln werde. Fragt die chinesische Journalistin. Und wann in Polen? Fragt der polnische Journalist. Und wann in Abu Dhabi? Fragt... Irgendwann ist man dann in Rumänien und die Moderatorin muss mal eine Sache klarstellen: Jetzt seien erst mal Köln und der Dom dran!
Und damit zur Auflösung der Antwort auf alle Fragen. Die nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Oder zumindest die, die man auf der Buchmesse wirklich gerne vom Tisch hätte: Was ist das Geheimnis hinter einem Bestseller? Wäre dies nun ein Langdon-Roman, würde Dan Brown erschossen werden, noch bevor er die Antwort preisgibt. Brown aber überlebt, antwortet ähnlich, wie es einst der Computer bei Bestsellerautor Douglas Adams getan hat: „Die Antwort ist drei. Oder mehr...“ Das klingt gut, drei ist eine feine Sache, aber es handelt sich wohl doch um einen Code. Robert Langdon, übernehmen Sie! Zwei Tage bleiben in Frankfurt noch Zeit.
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